Karolinenstraße 106

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Karolinenstraße 106/108 schrieb Industrie-Geschichte[Bearbeiten]

Als Pionier der Industrialisierung in Fürth gilt Johann Wilhelm Engelhardt, der 1841 die erste Maschinenfabrik in Fürth gründete. Gefertigt wurden z.B. Dampfmaschinen für die Brandbekämpfung und Brauereimaschinen ab 1850. Eine Eisengießerei lieferte u.a. Ladeneinbauten, von denen noch viele in Fürth erhalten geblieben sind. 1889 zog die Fabrik von der Gebhardtstraße auf eine größere Fläche um an die obere Karolinenstraße. Die Maschinenfabrik von J. W. Engelhardt, Karolinenstr. 106/108, richtete dort ein neues Industriegleis ein mit Anbindung an die Staatsbahn. Sie hatte eine Weiche im Fabrikhof, westlich der Gießereistraße. Die Gleise wurden 1908 erneuert und zwar ersetzte man sowohl die Schienen, als auch deren Einbettung in das Straßenpflaster Pläne der Kgl. Eisenbahndirektion Nürnberg zur behördlichen Genehmigung verdeutlichten dies. Die Eisengießerei wurde 1898 vergrößert, ein Montagesaal errichtet und 1905 nochmals erweitert. Die gefertigten Sauggas-Motoren lieferten die Betriebskraft für alle gewerblichen Zwecke sowie für Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke. Aber die Aufträge gingen zurück und 1913 kam die Firma in Liquidation. Von 1913 bis 1920 stellte man noch Eisenkonstruktionen in Werkstätten auf dem Gelände her durch die Ingenieure Hans Engelhardt und Andreas Fuchs (in einer GmbH ab 1909). Außerdem pachteten 1914 die „Vereinigte Fränkische Schuhfabrikation Nürnberg“ hinten liegende Werkstätten nahe der Sonnen-, Herrnstraße, Zufahrt von der Gießereistraße. Nach Übergang der Gebäude 1917 an die Firma Bauernfreund, Konservenfabrik, diente das Industriegleis für den Transport von Schlachtvieh in die Stallungen und Schlachträume und für den Transport der Konserven „aller Art“. Die benachbarte Firma Arnold & Co., Karolinenstraße 104, stellte Obst- und Gemüsekonserven her sowie Marmeladen und Fruchtsäfte. Auch diese Firma benötigte das Industriegleis für den Transport der leeren Dosen ins Lager und die „Expedition“ der hergestellten Dosen mit den Konserven.

Zwischennutzung als Kaserne[Bearbeiten]

Die drei vorderen Gebäude an der Karolinenstraße wurden nach 1913 für militärische Zwecke umgebaut. Es entstanden Mannschaftsräume, Kantine, Speisesaal, Büros für Unteroffiziere und Wachstube. Die „Engelhardts-Kaserne“ wurde von der Garnison für Rekruten und Reserve-Infanterie aber nur für kurze Zeit genutzt, bis neue Bauten an der Sedanstraße (spätere Steubenstraße) ab 1916 zur Verfügung standen. August Bauernfreund, Besitzer der "Fabrik für Militärkonserven Nürnberg", schrieb am 20. März 1917 an die Stadt, "... dass ich das der Firma J. W. Engelhardt gehörige Fabriketablissement erworben habe ... und bitte deshalb gütigst veranlassen zu wollen, dass das z.Zt. in diesen Räumlichkeiten untergebrachte Militär, wenn möglich, in allernächster Zeit in anderen Räumlichkeiten untergebracht wird".[1] Tags darauf wandte sich Oberbürgermeister Dr. Wild an den Garnisonsältesten mit der Bitte um Verlegung des dort untergebrachten Ersatzbataillons des Reserve-Infanterie-Regiments No. 6, "da die Gültigkeit des Kaufvertrags von der Räumung der Fabrik bis längstens 15. Mai abhängt", und bot sogar an: "... und sind gerne bereit, falls die militärischen Gebäude und Räumlichkeiten trotz der günstigen Unterbringungsmöglichkeiten nicht ausreichen sollten, ein weiteres etwa notwendiges Schulhaus zur Verfügung zu stellen."[1] Am 28. April kündigte Bauernfreund die Räumung durch das Militär bis zum 5. Mai an und drängte die Stadt zur Zusage auf eine weitere Voraussetzung für die Gültigkeit des Kaufvertrags, die Genehmigung der Schlachtung in der Fabrik sowie die Zusage von Gebührenermäßigungen - am 2. Mai 1917 fasste der Stadtmagistrat entsprechende Beschlüsse (die fortan noch Anlass für manche Streitigkeiten bringen sollten).[1]

Nutzung für Lebensmittel-Fabrikation[Bearbeiten]

1917 übernahm die Firma August Bauernfreund, Konservenfabrik Nürnberg-Fürth die ehemals Engelhardt’sche Fabrik. Durch bauliche Änderungen wurden Kühl-, Gefrier- und Fabrikationsräume eingerichtet. Nun gab es Stallungen und Schlachträume auf dem Areal, eine Wurstfabrik, Räucherei, Pökelraum und Packräume. 1917 nannte der Inhaber den Betrieb noch „Fabrik für Militärkonserven“. Die Umbauten gestalteten sich schwierig wegen der staatlichen Beschränkung für Eisen und Zement. Da aber der Betrieb „wichtig für die Volksernährung und die Beschäftigung von 200 bis 300 Arbeitern“ war, wurde er 1918 fertig gestellt. Auch hier wurde wieder ein Industriegleis benötigt; um das zu schlachtende Vieh hierher zu transportieren. Das Stallgebäude lag am Gleis. In den 20er Jahren warben die „Süddeutsche Lebensmittelwerke August Bauernfreund AG“, Karolinenstraße 106/108, als „modernst eingerichtete Spezialfabrik“ für ihre Konserven aller Art. Täglich wurden 200 Rinder und 500 Schweine verarbeitet und 50.000 Dosen hergestellt, hieß es 1919 stolz auf dem Briefkopf der Firma. Als Nachbar in der Karolinenstraße 104 etablierte sich ab 1923 die Firma E. Arnold & Co. für Obst- und Gemüsekonserven sowie Marmeladen und Fruchtsäfte. Die Inhaber Ludwig und Max Bauernfreund gerieten 1932 wegen der gemeinsamen Benutzung des Industriegleises in Streit mit den Inhabern der August Bauernfreund AG. Man einigte man sich schließlich nach Hinweis der Stadt auf den Privatrechtsweg.

1935 bekamen die Süddeutsche Lebensmittelwerke mit 350 Beschäftigten eine „rein arische Führung“ mit den Direktoren Kaufmann Stefan Winter, Ratsherr der NSDAP, und dem Ökonomierat Brügel.

1939 errichtete man bei Arnold eine Lagerhalle und ein Dosenlager für leere Dosen „zur schnellen Expedition der hergestellten Dosen mit den Konserven“. Die Firma sei „als lebenswichtiger Betrieb anerkannt worden, sie liefern in großem Umfang für Militärbehörden, Arbeitsdienst usw.“.

Bei dem verheerenden Fliegerangriff am 21. Februar 1945 wurden die Anlagen zerstört bis auf die Umfassungsmauern. Aus den Aufzeichnungen des Standesamts Fürth und dem Chronikschreiber Gottlieb Wunschel sei zitiert: Am 20/21. Februar 1945 wurden die zwei Betriebe von Lebensmittel-Herstellern in der Karolinenstraße vernichtet (Nr. 104/106 und Nr. 108). Die Bilanz: 86 Tote einschließlich der an den Folgen Verstorbenen. In den Konservenfabriken kamen die Menschen in den einstürzenden Bauten um durch „Zertrümmerung, Verschüttung, Erstickung“, darunter Kriegsgefangene und Ostarbeiter/innen mit russischer, kroatischer, französischer, belgischer und italienischer Nationalität.

Ab Dezember 1945 als „lebenswichtige Betrieb“ wieder aufgebaut; 1947/48 Instandsetzung der Werkshallen, Maschinensaal, Marmeladenküche, Dosenlager. 1951 wurde der Betrieb wegen schlechten Geschäftsgangs in der Konservenindustrie eingestellt.

Luftangriff Februar 1945[Bearbeiten]

Das Gebäude Karolinenstraße 106 wurde beim Luftangriff der Alliierten vom 20. auf den 21. Februar 1945 vollständig zerstört. In dem Gebäude befand sich ein Gewerberunternehmen der Fa. Evenord-Nbg zur Fleischverarbeitung. Zur Zeit des Luftangriffes waren nicht nur sog. Reichsangehörige und Ostarbeiterinnen anwesend, sondern auch Kriegsgefangene und betriebsfremde Personen. Folgende Personen wurden nach dem Luftangriff vermisst bzw. für tot erklärt:

  • Ludwig Altmann, Metzger: geb. 1911
  • Farrnbauer-Schmidt, Metzgersgehilfe: geb. 1902
  • Emma Hafner, Arbeiterin: geb. 1925
  • Karl Barwencik, Metzgersgehilfe: geb. 1. Januar 1901 in Ruschau
  • Fritz Biermeyer, Metzgermeister: geb. 26. März 1892 in Ostheim / Gunzenhausen
  • Ferdinand Zimmermann, Metzgersgehilfe: geb. 17. Dezember 1900 in Nürnberg
  • Karl Weiss, kaufm. Angestellter der Evenord-Nbg: geb. 12. Mai 1904 in Nürnberg
  • Margarete Herbst, Arbeiterin: geb. 27. Dezember 1899
  • Margareta Meier, geb. Zogel, Arbeiterin: geb. 16. September 1902 in Seukendorf
  • Elisabeth Mülller, geb. Latteyer, Arbeiterin: geb. 23. November 1903 in Münchaurach
  • Jefimija Danirenko, Ostarbeiterin: geb. 29. September 1921 in Cedwora, Kreis Odessa UdSSR
  • Ksenia Darnostup, Ostarbeiterin: geb. 17. Januar 1921 in Prosjano, Kreis Dnjepropetrowsk
  • Galina Gorila, Ostarbeiterin: geb. 14. Juni 1926 in Adamowka, Kreis Dnjepropetrowsk
  • Maria Mitjuchina, Ostarbeiterin: geb. 15. März 1922 in Walowka
  • Tanje Stan, Ostarbeiterin: geb. 1. Januar 1926 in Saplitschki, Kreis Dnjepropetrowsk

Zu den Toten des Luftangriffes gehörten auch sog. Kriegsgefangene:

  • Pierre Dubrun, Zwangsarbeiter aus Belgien, Gefangennahme 28. Mai 1940: geb. 8 August 1909 in Marneff
  • Barthemelemy Mertens, Zwangsarbeiter aus Belgien: geb. 26. November 1907 in Liege
  • Auguste Fievez, Zwangsarbeiter, Gefangennahme 28. Mai 1940: geb. 28. Juni 1908 in Marchine
  • Gaston Lecherig, Zwangsarbeitern, Gefangennahme 1. Mai 1940: geb. 10. November 1920 in Liege
  • Aime Dupuis, Zwangsarbeiter, Gefangennahme 28. Mai 1940: geb. 17. März 1916 in Paris
  • Raymond Garnier, Zwangsarbeiter, Gefangennahme 22. Juni 1940: geb. 18. Dezember 1916 in Asnieres[2]

An der Stelle des im 2. Weltkrieg zerstörten Gebäudes steht seit den 1950er Jahren ein Neubau. Das Grundstück wurde nach dem 2. Weltkrieg von der Fränkische Pelzindustrie Märkle & Co. zur Betriebserweiterung erworben und bebaut.

Siehe auch[Bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. 1,0 1,1 1,2 Stadtarchiv Fürth, AGr. 5 / 1343: Niederlassung der Fabrik für Militär- und Obstkonserven, Inhaber August Bauernfreund, in der Engelhardt'schen Fabrik
  2. Stadtarchiv Fürth, AGr 3 / 224 - Fliegerangriff auf das Stadtgebiet Fürth

Bilder[Bearbeiten]