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[[Datei:Gänsberg 1960.jpg|miniatur|rechts|Stadtplan des Gänsbergviertels]] | [[Datei:Gänsberg 1960.jpg|miniatur|rechts|Stadtplan des Gänsbergviertels, Stand ca. 1960 - mit Ausnahme Synagogenplatz und Jüdischer Friedhof. Hier nachträgliche Eintragung der durch die Nationalsozialisten 1938/39 zerstörten Gebäude]] | ||
[[Datei:Gänsberg Luftbild 1935.jpg|miniatur|rechts|Luftbild des Gänsbergviertels, 1935]] | [[Datei:Gänsberg Luftbild 1935.jpg|miniatur|rechts|Luftbild des Gänsbergviertels, 1935]] | ||
Der '''Gänsberg''' ([[Fürther Sprache|färdderisch]]: "Goonsberch") war ein Fürther Altstadtteil. "Gänsberg" ist der Flurname für den Uferberg in Erstreckung zwischen [[Königstraße]] und [[Jüdischer Friedhof|jüdischem Friedhof]]. Der Name leitet sich von den ''Gänsen'' ab und nicht - wie um [[1700]] herum erfunden - vom ''Gehen''. Als eine der ersten Erwähnungen dieser bis heute geläufigen Bezeichnung ist bereits der März des Jahres [[1449]] zu nennen. Um [[1700]] versuchte man, den Namen durch die an die erfundene Definition angepasste Phantasiebezeichnung ''Gänger'' oder ''Gängenberg'' zu verdrängen. Im Bereich des Gänsbergviertels war von [[1617]] bis zum Jahre [[1938]], als es dem Naziterror zum Opfer fiel, das Zentrum der [[Fiorda|Jüdischen Gemeinde]] von Fürth - der [[Schulhof]]. | Der '''Gänsberg''' ([[Fürther Sprache|färdderisch]]: "Goonsberch") war ein Fürther Altstadtteil. "Gänsberg" ist der Flurname für den Uferberg in Erstreckung zwischen [[Königstraße]] und [[Jüdischer Friedhof|jüdischem Friedhof]]. Der Name leitet sich von den ''Gänsen'' ab und nicht - wie um [[1700]] herum erfunden - vom ''Gehen''. Als eine der ersten Erwähnungen dieser bis heute geläufigen Bezeichnung ist bereits der März des Jahres [[1449]] zu nennen. Um [[1700]] versuchte man, den Namen durch die an die erfundene Definition angepasste Phantasiebezeichnung ''Gänger'' oder ''Gängenberg'' zu verdrängen. Im Bereich des Gänsbergviertels war von [[1617]] bis zum Jahre [[1938]], als es dem [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|Naziterror]] zum Opfer fiel, das Zentrum der [[Fiorda|Jüdischen Gemeinde]] von Fürth - der [[Schulhof]]. | ||
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== Entstehung == | == Entstehung == | ||
Die bäuerliche Prägung Fürths bestimmte lange das Stadtbild, ehe im 16. Jahrhundert das [[Handwerk in Fürth|Handwerk]] und die Gewerbetreibenden im Ortsbild dominanter wurden. Diese Entwicklung ging einher mit der Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen aus den Niederlanden und Frankreich und dem Zuzug von Juden, deren Ansiedlung u. a. in Nürnberg untersagt war. Letzteres war zumindest von dem Bamberger | Die bäuerliche Prägung Fürths bestimmte lange das Stadtbild, ehe im 16. Jahrhundert das [[Handwerk in Fürth|Handwerk]] und die Gewerbetreibenden im Ortsbild dominanter wurden. Diese Entwicklung ging einher mit der Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen aus den Niederlanden und Frankreich und dem Zuzug von [[Geschichte der jüdischen Gemeinde Fürth|Juden]], deren Ansiedlung u. a. in [[Nürnberg]] untersagt war. Letzteres war zumindest von dem [[Bistum Bamberg|Bamberger Dompropst]] und dem [[Markgraftum Brandenburg-Ansbach|Ansbacher Markgraf]] gewünscht bzw. bewusst als Ansiedlungspolitik betrieben worden, um z. B. die Einnahmen von Schutzgeldzahlungen zu erhöhen oder das Wachstum des Ortes durch Handel zu fördern.<ref name="Windsbacher">Bernd Windsbacher: Geschichte der Stadt Fürth, C. H. Beck, München, 2007, S. 31</ref> | ||
Steinerne Zeitzeugen der bäuerlich geprägten Zeit sind heute noch die bestehenden Bauernhöfe, z. B. im Bereich der [[Gustavstraße]] der [[Rednitzhof|Rednitz]]- und [[Traubenhof]]. Mit den Zuwanderungswellen kamen ebenfalls neue Gewerbearten und Berufsgruppen nach Fürth, so z. B. die Gewerbearten der Gieß- und Kohlehütten sowie Messingbetriebe, Tabakanbau, Uhr- und Brillenmacher. Am förderlichsten für das Wirtschaftsleben war, insbesondere im 18. Jahrhundert, die Konkurrenz zu Nürnberg. Durch eine restriktive Auslegung der Zunftordnung wurde sowohl den Juden als auch vielen anderen [[Handwerk in Fürth|Handwerk]]ern die Ausübung ihrer Tätigkeit in der Reichsstadt Nürnberg untersagt, so dass diese sich in Fürth – vor den Toren Nürnbergs – ansiedelten und damit das städtische Wirtschaftsleben deutlich beförderten. Diese berufliche Verdrängung der landwirtschaftlichen Betriebe spiegelte sich auch in der Entwicklung des Gänsbergs wieder, in dem die bäuerlichen Betriebe zunehmend räumlich aus dem Siedlungskern an den Rand verdrängt wurden. | Steinerne Zeitzeugen der bäuerlich geprägten Zeit sind heute noch die bestehenden Bauernhöfe, z. B. im Bereich der [[Gustavstraße]] der [[Rednitzhof|Rednitz]]- und [[Traubenhof]]. Mit den Zuwanderungswellen kamen ebenfalls neue Gewerbearten und Berufsgruppen nach Fürth, so z. B. die Gewerbearten der Gieß- und Kohlehütten sowie Messingbetriebe, Tabakanbau, Uhr- und Brillenmacher. Am förderlichsten für das Wirtschaftsleben war, insbesondere im 18. Jahrhundert, die Konkurrenz zu Nürnberg. Durch eine restriktive Auslegung der Zunftordnung wurde sowohl den Juden als auch vielen anderen [[Handwerk in Fürth|Handwerk]]ern die Ausübung ihrer Tätigkeit in der Reichsstadt Nürnberg untersagt, so dass diese sich in Fürth – vor den Toren Nürnbergs – ansiedelten und damit das städtische Wirtschaftsleben deutlich beförderten. Diese berufliche Verdrängung der landwirtschaftlichen Betriebe spiegelte sich auch in der Entwicklung des Gänsbergs wieder, in dem die bäuerlichen Betriebe zunehmend räumlich aus dem Siedlungskern an den Rand verdrängt wurden. | ||
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[[Bild:'Alter'_Gänsberg.jpg|mini|right| Luftbild des "alten" Gänsbergs zu Beginn der Flächensanierung, der Parkplatz rechts in der oberen Bildhälfte nahe der [[Kirche St. Michael]] liegt im Bereich des zerstörten "[[Schulhof]]s"]] | [[Bild:'Alter'_Gänsberg.jpg|mini|right| Luftbild des "alten" Gänsbergs zu Beginn der Flächensanierung, der Parkplatz rechts in der oberen Bildhälfte nahe der [[Kirche St. Michael]] liegt im Bereich des zerstörten "[[Schulhof]]s"]] | ||
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gänsberg nach dessen völliger Zerstörung im Jahre [[1634]] sich nur langsam baulich wieder erholte. Dabei konnte aber das Wachstum der baulichen und infrastrukturellen Substanz nicht mit dem Wachstum der Bevölkerung mithalten, so dass es in vielen Bereichen zu eklatant schlechten Wohnverhältnissen kam. Die gleichzeitige Industrialisierung und Zunahme der gewerblichen Betriebe führten zu einer weiteren Verschlechterung der Gesamtsituation. In der Summe – neben dem weiteren Aspekt des steigenden Verkehrsaufkommens – konnte sich die Stadtentwicklung nur südlich bzw. südöstlich weiter ausdehnen, wie es das 18. und vor allem das späte 19. Jahrhundert sehr anschaulich belegen durch die Vielzahl der entstanden Häuser in der Ost- und Südstadt. Die meisten Investitionen der Grundstückseigentümer, aber auch der Kommune, konzentrierten sich auf die neuen zentralen Bereiche der Stadt und deren Erweiterungsgebiete, womit sich die Mitte der Stadt immer weiter nach Osten verschob. Im Gegensatz zu anderen Städten wie Nürnberg, Regensburg oder Rothenburg war die Fürther Altstadt zu diesem Zeitpunkt für die Bevölkerung nicht identitätsstiftend genug, um einen weiteren Verfall aufzuhalten. Vielmehr beginnt eine Abwanderungsbewegung aus der Altstadt, wer es sich leisten kann, versucht bereits im späten 19. Jahrhundert aus dem Gänsberg wegzuziehen, in die weit modernen und besseren Stadtteile Fürths. | Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gänsberg nach dessen völliger Zerstörung im Jahre [[1634]] sich nur langsam baulich wieder erholte. Dabei konnte aber das Wachstum der baulichen und infrastrukturellen Substanz nicht mit dem Wachstum der Bevölkerung mithalten, so dass es in vielen Bereichen zu eklatant schlechten Wohnverhältnissen kam. Die gleichzeitige Industrialisierung und Zunahme der gewerblichen Betriebe führten zu einer weiteren Verschlechterung der Gesamtsituation. In der Summe – neben dem weiteren Aspekt des steigenden Verkehrsaufkommens – konnte sich die Stadtentwicklung nur südlich bzw. südöstlich weiter ausdehnen, wie es das 18. und vor allem das späte 19. Jahrhundert sehr anschaulich belegen durch die Vielzahl der entstanden Häuser in der Ost- und Südstadt. Die meisten Investitionen der Grundstückseigentümer, aber auch der Kommune, konzentrierten sich auf die neuen zentralen Bereiche der Stadt und deren Erweiterungsgebiete, womit sich die Mitte der Stadt immer weiter nach Osten verschob. Im Gegensatz zu anderen Städten wie Nürnberg, Regensburg oder Rothenburg war die Fürther Altstadt zu diesem Zeitpunkt für die Bevölkerung nicht identitätsstiftend genug, um einen weiteren Verfall aufzuhalten. Vielmehr beginnt eine Abwanderungsbewegung aus der Altstadt, wer es sich leisten kann, versucht bereits im späten 19. Jahrhundert aus dem Gänsberg wegzuziehen, in die weit modernen und besseren Stadtteile Fürths. | ||
Während der Bevölkerungszuwachs in Fürth vor dem 20. Jahrhundert primär noch durch die Landflucht bedingt war und durch die Industrialisierung verschärft wurde, spielte der Zuwachs der Bevölkerung durch Kriegseinflüsse zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Das sollte sich im 20. Jahrhundert massiv ändern. Bereits um [[1930]] – so der 2. Bürgermeister Johann-Adam „Hans“ Segitz – wurden erstmals Überlegungen laut, den Gänsberg einer Sanierung zuzuführen bzw. dessen Abriss in Erwägung zu ziehen. Doch hierzu kam es nicht mehr, da die Kriegswirren solche Überlegungen in den Hintergrund treten ließen. Dies wäre aus heutiger Sicht dennoch der günstigste Zeitpunkt gewesen – zwischen den beiden Weltkriegen – wenn man ernsthaft den weiteren Verfall des Gänsbergs hätte aufhalten wollen. Denn was nach dem Zweiten Weltkrieg folgte, führte nun endgültig zum Aus des Altstadtviertels. | Während der Bevölkerungszuwachs in Fürth vor dem 20. Jahrhundert primär noch durch die Landflucht bedingt war und durch die Industrialisierung verschärft wurde, spielte der Zuwachs der Bevölkerung durch Kriegseinflüsse zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Das sollte sich im 20. Jahrhundert massiv ändern. Bereits um [[1930]] – so der 2. Bürgermeister Johann-Adam „Hans“ Segitz – wurden erstmals Überlegungen laut, den Gänsberg einer Sanierung zuzuführen bzw. dessen Abriss in Erwägung zu ziehen. Doch hierzu kam es nicht mehr, da die Kriegswirren solche Überlegungen in den Hintergrund treten ließen. Dies wäre aus heutiger Sicht dennoch der günstigste Zeitpunkt gewesen – zwischen den beiden Weltkriegen – wenn man ernsthaft den weiteren Verfall des Gänsbergs hätte aufhalten wollen. Denn was nach dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] folgte, führte nun endgültig zum Aus des Altstadtviertels. | ||
Zunächst hatte Fürth den Vorteil, dass die Bausubstanz während des Zweiten Weltkrieges weitestgehend erhalten geblieben war, was sich jetzt aber gewissermaßen zu einem Nachteil für die Stadt auswirkte. Die meisten umliegenden Städte waren ausgebombt und boten somit keinen Wohnraum – nur Fürth nicht - hier befanden sich noch intakte Häuser und Wohnungen, gerade im Altstadtbereich bzw. am Gänsberg. Während also die Zuwanderungswellen in der Vergangenheit noch in der Quantität überschaubar waren, stellte es nach [[1945]] die Stadt vor fast unlösbare Probleme. Bei Kriegsende wohnten in Fürth knapp 60.000 Menschen, doch das änderte sich schnell. Zunächst mussten die Menschen aus den ausgebombten Nachbarstädten im vorhandenen Wohnbestand untergebracht werden (ca. 10.000 Menschen alleine aus Nürnberg), gefolgt von den Kriegsflüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten des Reiches. Gleichzeitig kamen die Heimkehrer und Kriegsgefangenen langsam wieder in ihre Stadt zurück (ca. 8 – 10.000 Menschen) und zusätzlich mussten noch Ausländer und Staatenlose aufgenommen werden, die eine Bleibe suchten. Erschwerend kam hinzu, dass die US-Militärregierung ca. 600 bis 700 Wohnungen für ihre eigenen Zwecke beschlagnahmt hatte.<ref>Barbara Ohm: Fürth – Geschichte der Stadt. Jungkunz Verlag, Fürth, 2007, S. 319</ref> Bereits im Sommer [[1945]] war die Einwohnerzahl wieder gleich der der Vorkriegszeit, nämlich ca. 79.000 Einwohner – innerhalb von nur wenigen Wochen ein Plus von knapp 20.000 Menschen. Nur wenige Monate später waren es erneut 10.000 Einwohner mehr und im Oktober [[1946]] erreicht die Stadt knapp die 100.000-Einwohner-Marke. Das Zuzugsverbot, dass bereits am [[27. Juli]] [[1945]] durch die US-Militärregierung erlassen wurde, hatte faktisch keine Bedeutung.<ref> Mitteilungen der Amerikanischen Militärregierung Fürth, Nr. 21, 1. August 1945, S. 1</ref> Bis [[1955]] kamen insgesamt weitere 17.010 Vertriebene aus den ehem. Ostgebieten und nochmals 3.629 Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone, der künftigen DDR, nach Fürth.<ref>Hirt, W.: Fürth – Wiederaufbau eines Gemeinwesens – Entwicklung einer Großstadt 1946 – 1955, Fürth, 1956, S. 105</ref> Ein Großteil der Zuwanderer fand erst einmal ein Bleibe im völlig überfüllten Gänsbergviertel, ehe neue Wohnsiedlungen fertig gestellt wurden und für eine Entlastung am Wohnungsmarkt sorgten. | Zunächst hatte Fürth den Vorteil, dass die Bausubstanz während des Zweiten Weltkrieges weitestgehend erhalten geblieben war, was sich jetzt aber gewissermaßen zu einem Nachteil für die Stadt auswirkte. Die meisten umliegenden Städte waren ausgebombt und boten somit keinen Wohnraum – nur Fürth nicht - hier befanden sich noch intakte Häuser und Wohnungen, gerade im Altstadtbereich bzw. am Gänsberg. Während also die Zuwanderungswellen in der Vergangenheit noch in der Quantität überschaubar waren, stellte es nach [[1945]] die Stadt vor fast unlösbare Probleme. Bei Kriegsende wohnten in Fürth knapp 60.000 Menschen, doch das änderte sich schnell. Zunächst mussten die Menschen aus den ausgebombten Nachbarstädten im vorhandenen Wohnbestand untergebracht werden (ca. 10.000 Menschen alleine aus Nürnberg), gefolgt von den Kriegsflüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten des Reiches. Gleichzeitig kamen die Heimkehrer und Kriegsgefangenen langsam wieder in ihre Stadt zurück (ca. 8 – 10.000 Menschen) und zusätzlich mussten noch Ausländer und Staatenlose aufgenommen werden, die eine Bleibe suchten. Erschwerend kam hinzu, dass die US-Militärregierung ca. 600 bis 700 Wohnungen für ihre eigenen Zwecke beschlagnahmt hatte.<ref>Barbara Ohm: Fürth – Geschichte der Stadt. Jungkunz Verlag, Fürth, 2007, S. 319</ref> Bereits im Sommer [[1945]] war die Einwohnerzahl wieder gleich der der Vorkriegszeit, nämlich ca. 79.000 Einwohner – innerhalb von nur wenigen Wochen ein Plus von knapp 20.000 Menschen. Nur wenige Monate später waren es erneut 10.000 Einwohner mehr und im Oktober [[1946]] erreicht die Stadt knapp die 100.000-Einwohner-Marke. Das Zuzugsverbot, dass bereits am [[27. Juli]] [[1945]] durch die US-Militärregierung erlassen wurde, hatte faktisch keine Bedeutung.<ref> Mitteilungen der Amerikanischen Militärregierung Fürth, Nr. 21, 1. August 1945, S. 1</ref> Bis [[1955]] kamen insgesamt weitere 17.010 Vertriebene aus den ehem. Ostgebieten und nochmals 3.629 Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone, der künftigen DDR, nach Fürth.<ref>Hirt, W.: Fürth – Wiederaufbau eines Gemeinwesens – Entwicklung einer Großstadt 1946 – 1955, Fürth, 1956, S. 105</ref> Ein Großteil der Zuwanderer fand erst einmal ein Bleibe im völlig überfüllten Gänsbergviertel, ehe neue Wohnsiedlungen fertig gestellt wurden und für eine Entlastung am Wohnungsmarkt sorgten. | ||
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== Beschreibung des Gänsbergviertels anhand eines Stadtspaziergangs im Jahr 1933 == | == Beschreibung des Gänsbergviertels anhand eines Stadtspaziergangs im Jahr 1933 == | ||
[[Bild:Gänsberg.jpg|mini|Bekannteste Ansicht des Gänsberviertels: steil abfallende Bergstraße um 1900]] | [[Datei:Gänsberg 15.jpg|links|mini|ehemaliger [[Doktorshof]], Beispiel für die angesprochene allumfassende Verschieferung des Fachwerks]] | ||
[[Bild:Gänsberg.jpg|mini|300px|Bekannteste Ansicht des Gänsberviertels: steil abfallende Bergstraße um 1900]] | |||
Beschreibung des Gänsbergviertels anhand eines Stadtspaziergangs im Jahr 1933 von Dr. [[Eduard Rühl]], ausgehend von der [[Maxbrücke]]:<br> | Beschreibung des Gänsbergviertels anhand eines Stadtspaziergangs im Jahr 1933 von Dr. [[Eduard Rühl]], ausgehend von der [[Maxbrücke]]:<br> | ||
:''Beim Rückweg biegen wir etwas rechts aus und steigen diesmal die [[Bergstraße]] hinauf, die der Eingeborene "Gänsberg" nennt. Das Häuser- und Straßengewinkel, das sich längs dieser findet, in der wir vielleicht die älteste Durchgangsstraße sehen dürfen, ist von ganz anderer Art als etwa die [[Königstraße]] oder der [[Marktplatz]]. Hier eine gewisse Weite und Behäbigkeit, dort (am Gänsberg) ist alles eng und dürftig und bescheiden. Während wir drüben an Marktplatz - Königstraße einen ständigen Verschönerungsprozess beobachten können, vom Fachwerk- bis zum dekorativen Empiregiebel, scheint hier nach dem Wiederaufbau von 1634 Entwicklung und Zeit stehengeblieben zu sein. Wir stehen im ursprünglichsten Teile von Alt-Fürth. Und doch hat, und das ist noch nicht so lange her, dieser eine Stadtteil sein äußeres auch einmal verändert. Zahlreiche Häuser dieses Viertels sind nämlich verschiefert und zwar nicht nur auf der Wetterseite, sondern allseits. Dieser Wechsel kann erst nach Erbauung der Eisenbahn erfolgt sein, denn Schiefer gibt es bei uns nirgends; erst die Eisenbahn brachte die Möglichkeit, dieses Werkmaterial verhältnismäßig billig zu bekommen. Wenn nun durch diese Verschieferung das alte Fachwerk fast restlos zugedeckt wurde und Schiefer einer malerischen Wirkung nicht gerade entgegenkommt, so kann doch auch diesen Häusern, besonders wenn sie irgendwie zu einer Gruppe zusammengefasst sind, ein gewisser Reiz nicht abgesprochen werden. Schreiten wir nun zum Beweise links durch den [[Schulhof]] (Hof vor der Synagoge), zu dem der Spitzturm der [[Kirche St. Michael|Michaelskirche]] herübergrüßt. Schon stehen wir wieder in der Königstraße und jetzt fällt uns auf, das auch auf sie die Verschieferung übergegriffen hat (...)''.<ref>Dr. Eduard Rühl: Das Gesicht von Alt-Fürth. In: Fränkische Heimat, Sonderheft, 12. Jahrgang, Juni 1933, S. 192</ref> | :''Beim Rückweg biegen wir etwas rechts aus und steigen diesmal die [[Bergstraße]] hinauf, die der Eingeborene "Gänsberg" nennt. Das Häuser- und Straßengewinkel, das sich längs dieser findet, in der wir vielleicht die älteste Durchgangsstraße sehen dürfen, ist von ganz anderer Art als etwa die [[Königstraße]] oder der [[Marktplatz]]. Hier eine gewisse Weite und Behäbigkeit, dort (am Gänsberg) ist alles eng und dürftig und bescheiden. Während wir drüben an Marktplatz - Königstraße einen ständigen Verschönerungsprozess beobachten können, vom Fachwerk- bis zum dekorativen Empiregiebel, scheint hier nach dem Wiederaufbau von 1634 Entwicklung und Zeit stehengeblieben zu sein. Wir stehen im ursprünglichsten Teile von Alt-Fürth. Und doch hat, und das ist noch nicht so lange her, dieser eine Stadtteil sein äußeres auch einmal verändert. Zahlreiche Häuser dieses Viertels sind nämlich verschiefert und zwar nicht nur auf der Wetterseite, sondern allseits. Dieser Wechsel kann erst nach Erbauung der Eisenbahn erfolgt sein, denn Schiefer gibt es bei uns nirgends; erst die Eisenbahn brachte die Möglichkeit, dieses Werkmaterial verhältnismäßig billig zu bekommen. Wenn nun durch diese Verschieferung das alte Fachwerk fast restlos zugedeckt wurde und Schiefer einer malerischen Wirkung nicht gerade entgegenkommt, so kann doch auch diesen Häusern, besonders wenn sie irgendwie zu einer Gruppe zusammengefasst sind, ein gewisser Reiz nicht abgesprochen werden. Schreiten wir nun zum Beweise links durch den [[Schulhof]] (Hof vor der Synagoge), zu dem der Spitzturm der [[Kirche St. Michael|Michaelskirche]] herübergrüßt. Schon stehen wir wieder in der Königstraße und jetzt fällt uns auf, das auch auf sie die Verschieferung übergegriffen hat (...)''.<ref>Dr. Eduard Rühl: Das Gesicht von Alt-Fürth. In: Fränkische Heimat, Sonderheft, 12. Jahrgang, Juni 1933, S. 192</ref> | ||
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== "Flächensanierung" == | == "Flächensanierung" == | ||
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* Siehe '''Hauptartikel [[Flächensanierung]]''' | * Siehe '''Hauptartikel [[Flächensanierung]]''' | ||
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== Straßen des Gänsbergs == | |||
* [[Bergstraße]] (vollständig aufgegeben und überbaut) | |||
* [[Geleitsgasse (ehemals)|Geleitsgasse]] (vollständig aufgegeben und überbaut) | |||
* [[Katharinenstraße]] (Nordseite aufgegeben und überbaut) | |||
* [[Klausgässla]] (vollständig aufgegeben, funktional als breiterer Gehweg im nordöstlichen Teil der heutigen Geleitsgasse erhalten) | |||
* [[Königstraße]], die geraden Nummern von 2 bis 70 <ref>d.h. die südliche Seite der unteren und mittleren Königstraße</ref>, die mit (ehemals) näher bezeichnet werden (teilweise aufgegeben und überbaut bzw. Fassaden rekonstruiert) | |||
* [[Lilienplatz]] (vollständig aufgegeben, funktional als Vorplatz von Gebäude [[Fraveliershof|Beim Liershof 1]] erhalten) | |||
* [[Lilienstraße (ehemals)|Lilienstraße]] (vollständig aufgegeben und überbaut, Lilienstr. 1 u. 3 erhalten unter anderer Adresse) | |||
* [[Löwenplatz (ehemals)|Löwenplatz]] (vollständig aufgegeben und überbaut) | |||
* [[Markgrafengasse (ehemals)|Markgrafengasse]] (vollständig aufgegeben und überbaut) | |||
* [[Mohrenstraße]] (teilweise aufgegeben bzw. verkürzt und überbaut) | |||
* [[Rednitzstraße]] (vollständig aufgegeben und überbaut) | |||
* [[Schlehenstraße]] (teilweise aufgegeben bzw. Verlauf verändert und überbaut) | |||
* [[Schlezerbergla]] (vollständig aufgegeben und überbaut) | |||
* [[Schützenhof (ehemals)|Schützenhof]] (vollständig aufgegeben und überbaut) | |||
* Israelitischer [[Schulhof]] (vollständig aufgegeben und überbaut) | |||
* [[Staudengasse (ehemals)|Staudengasse]] (vollständig aufgegeben und überbaut) | |||
== Tourismus == | == Tourismus == | ||
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* [[Ernst-Ludwig Vogel]]: "[[Vergessene Stadt (Buch)|Vergessene Stadt]], Fürth, [[1987]] | * [[Ernst-Ludwig Vogel]]: "[[Vergessene Stadt (Buch)|Vergessene Stadt]], Fürth, [[1987]] | ||
* [[Gänsberg-Erinnerungen (Buch)|Gänsberg-Erinnerungen]], Fürth, [[1988]] - [[2008]] | * [[Gänsberg-Erinnerungen (Buch)|Gänsberg-Erinnerungen]], Fürth, [[1988]] - [[2008]] | ||
* [[Alexander Mayer]]: ''Gegenpol zum gewachsenen Viertel St. Michael: der geplante Gänsberg''. Fürth 1995 - [http://www.dr-alexander-mayer.de/downloads/Gaensberg.htm | * [[Alexander Mayer]]: ''Gegenpol zum gewachsenen Viertel St. Michael: der geplante Gänsberg''. Fürth 1995 - [http://www.dr-alexander-mayer.de/downloads/Gaensberg.htm online] | ||
* Susanne Rieger, Gerhard Jochem: ''Die Abräumer: 20 Jahre nach Abschluß der Flächensanierung des Gänsbergviertels in Fürth'', 13. Juli 2006 - [http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_FU_TO_gaensber.pdf PDF-Datei] | * Susanne Rieger, Gerhard Jochem: ''Die Abräumer: 20 Jahre nach Abschluß der Flächensanierung des Gänsbergviertels in Fürth'', 13. Juli 2006 - [http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_FU_TO_gaensber.pdf PDF-Datei] | ||
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== Lokalberichterstattung == | == Lokalberichterstattung == | ||
* [[Gerd Walther]]: ''"Gänsbergler" war leider kein Ehrenname''. In: [[Fürther Nachrichten]] vom 12. Dezember 1987, S. 47 | * [[Gerd Walther]]: ''"Gänsbergler" war leider kein Ehrenname''. In: [[Fürther Nachrichten]] vom 12. Dezember 1987, S. 47 | ||
* Birgit Heidingsfelder: "Fürths verlorenes Viertel: Glückliche Kindheit am Gänsberg". In: [[Nordbayern.de]] vom 16. Oktober 2016 - [http://www.nordbayern.de/region/fuerth/furths-verlorenes-viertel-gluckliche-kindheit-am-gansberg-1.5554583 online | * Birgit Heidingsfelder: "Fürths verlorenes Viertel: Glückliche Kindheit am Gänsberg". In: [[Nordbayern.de]] vom 16. Oktober 2016 - [http://www.nordbayern.de/region/fuerth/furths-verlorenes-viertel-gluckliche-kindheit-am-gansberg-1.5554583 online] | ||
* "Gänsberg im Wandel". Diashow bei Nordbayern.de - [https://www.nordbayern.de/region/fuerth/radikalkur-wie-der-further-gansberg-sein-gesicht-verandert-hat-1.5465524 online | * "Gänsberg im Wandel". Diashow bei Nordbayern.de - [https://www.nordbayern.de/region/fuerth/radikalkur-wie-der-further-gansberg-sein-gesicht-verandert-hat-1.5465524 online] | ||
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== Virtuelle Rekonstruktion == | == Virtuelle Rekonstruktion == | ||
Eine im Oktober 2021 gegründete "Arbeitsgruppe Gänsberg" von [[FürthWiki e. V.]] plant die detailgetreue virtuelle Rekonstruktion des Gänsberges mit Hilfe der freien 3D-Konstruktionssoftware "Blender" und sucht dafür ehrenamtlich tätige Projektmitarbeiter*innen.<ref>Ralph Stenzel: ''Virtuelle Rekonstruktion: Der »Gänsberg« in 3D''. In: Vereins-Website von FürthWiki e. V. vom 4. Oktober 2021 - [https://verein.fuerthwiki.de/2021/10/04/virtuelle-rekonstruktion-der-gaensberg-in-3d/ online | Eine im Oktober 2021 gegründete "Arbeitsgruppe Gänsberg" von [[FürthWiki e. V.]] plant die detailgetreue virtuelle Rekonstruktion des Gänsberges mit Hilfe der freien 3D-Konstruktionssoftware "Blender" und sucht dafür ehrenamtlich tätige Projektmitarbeiter*innen.<ref>Ralph Stenzel: ''Virtuelle Rekonstruktion: Der »Gänsberg« in 3D''. In: Vereins-Website von FürthWiki e. V. vom 4. Oktober 2021 - [https://verein.fuerthwiki.de/2021/10/04/virtuelle-rekonstruktion-der-gaensberg-in-3d/ online]</ref> | ||
Unabhängig davon erfasst ein Autorenteam seit 2017 planmäßig alle abgebrochenen Gebäude innerhalb des Sanierungsgebiets. Ziel der Aktion ist es, jedes Gebäude lagerichtig und mit allen derzeit verfügbaren Informationen und Fotos in einem eigenen Artikel abzubilden. So soll die später angedachte virtuelle Rekonstruktion erleichtert werden und Interessierte, Ortsfremde und Nachgeborene sich besser in dem völlig veränderten Gebiet zurechtfinden können. Der Abschluss der Arbeiten ist für 2023 vorgesehen. | Unabhängig davon erfasst ein Autorenteam seit 2017 planmäßig alle abgebrochenen Gebäude innerhalb des Sanierungsgebiets. Ziel der Aktion ist es, jedes Gebäude lagerichtig und mit allen derzeit verfügbaren Informationen und Fotos in einem eigenen Artikel abzubilden. So soll die später angedachte virtuelle Rekonstruktion erleichtert werden und Interessierte, Ortsfremde und Nachgeborene sich besser in dem völlig veränderten Gebiet zurechtfinden können. Der Abschluss der Arbeiten ist für 2023 vorgesehen. | ||
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* [[Fraveliershof]] | * [[Fraveliershof]] | ||
* [[Gastarbeiter in Fürth]] | * [[Gastarbeiter in Fürth]] | ||
*[[Gänsberch-Blues]] | |||
== Weblinks == | == Weblinks == |