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LIEBE MITBÜRGERINNEN UND MITBÜRGER, LIEBE FREUNDE DER FÜRTHER ALTSTADT!

Bürgerinitiativen - wofür oder wogegen sie sich auch wenden - sind immer Zeichen für ein offen dargebrachtes Unbe­ hagen. Dies mag schon lange im Verborgenen vorhanden ge­ wesen sein, es kann aber auch das plötzlich und durchaus spontan aufgekommene Bewußtsein eines existenten Defizits bezeichnen, d.h., daß etwas eben nicht so ist. wie es nach den Vorstellungen kritischer Bürger sein sollte. Ein deut­ liches Beispiel für beide Entstehungsgründe ist nicht zuletzt auch unsere Bürgervereinigung Altstadtviertel St. Michael. Seit den Sechziger Jahren leiden die Fürther Allstadt­ bewohner unter den teilweise katastrophalen Folgen einer falschen und die etwaigen Folgen niemals vorausschauenden Sanierungspolitik: der Sanierungskahlschlag, die allgemei­ nen Auszehrungstendenzen, die komplexe Gastarbeiter­ problematik, sind nur allzu beredte Zeugen dafür. Das Be­ dürfnis, diesen Zustand zu ändern, bzw. die an das förmliche Sanierungsgcbiet angrenzenden Altstadtquartiere wenig­ stens noch in letzter Minute zu retten, setzte sich erst allmäh­ lich durch; konkrete Vorschläge und Maßnahmen zur Abänderung dieser Negativsituation folgten dann allerdings rasch aufeinander. Der Bürgerwille hat dann auch ein wenig auf die Stadtverwaltung abgefärbt - freilich noch viel zu gering. Unterstützt wurden die Anstrengungen beider durch das ständig und überall zunehmende Bewußtsein von schnell­ stens zu organisierender Altstadtsanierung und wohlüber­ legter Denkmalpflege. Erwiesen hat sich in diesem Zusammenhang jedenfalls die Notwendigkeit unmittelbarer oder mittelbarer (durch Bürger­ initiativen, Ausschüsse, Sanierungsbeiräte etc.) Teilnahme und Mitwirkung der betroffenen Bewohner - nicht nur in Fürth. Überlegungen zur Organisation dieser Mitwirkung auf breiter Basis und zur konsequenten Umsetzung entstandener Ideen im einzelnen lassen sich thesenartig zusarnrnenfassen. Freilich können sie hier nur sehr verkürzt erläutert werden. 1.

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Die Beteiligung am Entstehungsprozeß von Ideen und die engagierte Mitwirkung zu ihrer Verwirklichung ist wegen der unmittelbaren Betroffenheit der jeweiligen Bürger notwendig und deshalb legitim. Mit w i r k u n g s möglichkeit muß demnach jeder einzelne besitzen, wenn auch unterschiedlich nach seiner persön­ lichen Eignung. Er darf - was leider zu oft geschieht keineswegs in seinem sozialen Engagement unterdrückt werden; auch dann nicht, wenn es ihm an intellektueller und sprachlicher Argumentationsfähigkeit mangelt. M itg e s ta ltu n g s möglichkeit hat sicherlich nicht jeder; sic ist abhängig von der individuellen Qualifikation der am Gestaltungsprozeß beteiligten Personen. Wissenschaft­ ler. Pädagogen, Architekten, bildende Künstler z. B. sollten ihren ganzen sachkompetenten Einsatz, darüberhinaus auch individualpsychologisches Geschick in den Dienst der jeweiligen Sache stellen. Ihr fachlicher Vor­ sprung und die daraus folgende intellektuelle Verantwor­ tung - nicht etwa elitäres Bewußtsein - müßte sie geradezu zu persönlichem Einsatz zwingen. Der „Normal­ verbraucher" sollte zu Recht von ihnen ein gestalte­ risches Vorbild erwarten dürfen, nicht nur am einzelnen Objekt, sondern auch innerhalb einer städtebaulichen Gesamtkonzeption. Leider sieht die Wirklichkeit nicht immer so ideal aus. Trägheit und individueller Egoismus dieses erwähnten Personenkreises bilden oft schier un­ überwindliche Hindernisse. Voraussetzung zur Mitgestaltung, aber eben auch zur Mitwirkung, um die es hier vor allem geht, sind deshalb sowohl die innere Bereitschaft als auch die davon abge­ leitete nach außen sichtbare Initiative.

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Initiativen sind eng verbunden mit den Personen, die sie tragen, und den Situationen, für die sie gelten; sie sind also in der Regel nicht delegierbar. Es bedarf unbedingt der Beteiligung des Initiators, da sonst die Verwirklichung der jeweiligen Idee - mangels Bereitschaft oder Zustän­ digkeit bei damit Beauftragten - nicht gewährleistet ist. Das häufigste Problem dabei, das auch für die Bürger­ vereinigung Altstadtviertel St. Michael z u trifft: Gute Ideen und Vorschläge gibt es wie Sand am Meer, nur fehlen meist die Personen, die sie auf Dauer umsetzen; zumal da die jeweils besonders Aktiven ohnehin durch intensi­ ven, mehrfachen Einsatz überlastet sind. Eine länger­ fristige Beteiligung an der Realisation ist also dringend notwendig. Das „Dranbleiben am Ball" ist oberste Forde­ rung für Bürgerinitiativen, insbesondere dann, wenn die meist und allzu gern praktizierte Hinhalte- und Tot­ schweigetaktik kommunaler und regionaler Behörden die anfangs so schwungvolle Initiative Schritt für Schritt zu zemürben versucht! Deshalb auch erfordert die Umsetzung einer Initiative Konfliktbereitschaft und Konfliktfähigkeit - auf beiden Seiten, sowohl bei dem jeweiligen Bürgerverein als auch bei der betreffenden Kommune. Beide Eigenschaften lassen sich trainieren und konditionieren, freilich meist erst in einem langen Zeitraum und unter zahlreichen offen aufbrechenden Konfliktsituationen. Auch in Fürth gibt es allgemein bekannte Beispiele dafür. Und gegenseitiges Vertrauen, das sich dann - zumindest ab und zu - in kon­ kreter Zusammenarbeit niederschlägt, sollte das folge­ richtige Ergebnis der oben erwähnten nötigen Eigen­ schaften sein. Auch hierfür gibt es gute Fürther Beispiele, etwa die in Zusammenarbeit zwischen Stadt und Altstadtverein in ca. zwei Jahren (!) Entwicklungsdauer entstandene Baugestaltungsverordnung für das St.-Michaels Viertel, die endlich Möglichkeiten direkter Einflußnahme bietet. Auch einzelne bereits realisierte oder in Angriff genommene Modernisierungs- und Sanierungsvorhaben gehören hierher.

St. Michael, Westportal (Tympanon: 1378/80)