24.653
Bearbeitungen
KKeine Bearbeitungszusammenfassung |
|||
Zeile 7: | Zeile 7: | ||
Der jahrhundertealte Streit zwischen den verfeindeten Nachbarstädten Fürth und Nürnberg erreicht in diesem Jahr einen seltsamen Höhepunkt: Die Fürther Administration verhandelt offen mit Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Luppe über eine Einverleibung nach Nürnberg! | Der jahrhundertealte Streit zwischen den verfeindeten Nachbarstädten Fürth und Nürnberg erreicht in diesem Jahr einen seltsamen Höhepunkt: Die Fürther Administration verhandelt offen mit Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Luppe über eine Einverleibung nach Nürnberg! | ||
Seit dem Bau der ersten deutschen [[Ludwigseisenbahn|Eisenbahn]] im Jahr [[1835]] kommen derartige Gedanken immer wieder auf, ermöglichte die moderne Verkehrstechnik doch schon recht schnell, von Fürth aus die Kunst- und Bildungsanstalten Nürnbergs zu nutzen. Auch geographisch wuchsen die Städte einander entgegen. Auf Nürnberger Seite hat man vor allem die Vorteile durch den Besitz des Handelsortes am Zusammenfluss von [[Pegnitz]] und [[Rednitz]] im Blick - jedoch verhindern die Mit - Grundherren Bamberg und Ansbach einen Anschluss Fürths an [[Nürnberg]]. | Seit dem Bau der ersten deutschen [[Ludwigseisenbahn|Eisenbahn]] im Jahr [[1835]] kommen derartige Gedanken immer wieder auf, ermöglichte die moderne Verkehrstechnik doch schon recht schnell, von Fürth aus die Kunst- und Bildungsanstalten Nürnbergs zu nutzen. Auch geographisch wuchsen die Städte einander entgegen. Auf Nürnberger Seite hat man vor allem die Vorteile durch den Besitz des Handelsortes am Zusammenfluss von [[Pegnitz]] und [[Rednitz]] im Blick - jedoch verhindern die Mit-Grundherren Bamberg und Ansbach einen Anschluss Fürths an [[Nürnberg]]. | ||
Anders ist die Situation jetzt, Anfang der 1920er Jahre: Fürths unabhängiger [[Stadtrat]] liebäugelt offen mit den Plänen des Nürnberger Oberbürgermeisters. Zusammen mit Fürths 70.000 Einwohnern könnte [[Nürnberg]] (mit damals 361.000 Einwohnern) München einholen und dessen Sonderstellung in Frage stellen. | Anders ist die Situation jetzt, Anfang der 1920er Jahre: Fürths unabhängiger [[Stadtrat]] liebäugelt offen mit den Plänen des Nürnberger Oberbürgermeisters. Zusammen mit Fürths 70.000 Einwohnern könnte [[Nürnberg]] (mit damals 361.000 Einwohnern) München einholen und dessen Sonderstellung in Frage stellen. Separatistische Franken sehen mit einem Leuchten in den Augen die Gelegenheit, der bayerischen Landeshauptstadt einen fränkischen Gegenpol entgegenzusetzen. Selbst der Fürther Oberbürgermeister Dr. [[Robert Wild|Wild]] gab seinen anfänglichen Widerstand rasch auf. Was in Fürth zu heftigen Diskussionen führte interessierte in der ehemalig freien Reichsstadt in arroganter Manier fast keinen. Man möchte die ungeliebte "Westvorstadt" am liebsten still und heimlich schlucken, von ihr profitieren und sie mundtot à la Südstadt vegetieren lassen. Und die Mehrheit der Fürther einschließlich ihrer Stadtverwaltung war klar dafür! - Fürth war in großer Gefahr! | ||
Da schlug die Stunde des bereits im Jahr [[1918]] gegründeten "Verein zur Wahrung der Interessen der Stadt Fürth" kurz "Treu Fürth" unter ihren Wortführern, dem Pfarrer und [[Stadtrat]] [[Paul Fronmüller]], dem Vorsitzenden der israelitischen Realschulen in Fürth Isaak Löw Weiskopf sowie [[Babette Bauer]]: [[Bild:Einverleibung Fürth.jpg|thumb|right|Postkarte zum Thema Zusammenschluss Fürth und Nürnberg um 1920]] | Da schlug die Stunde des bereits im Jahr [[1918]] gegründeten "Verein(s) zur Wahrung der Interessen der Stadt Fürth" kurz "Treu Fürth" unter ihren Wortführern, dem Pfarrer und [[Stadtrat]] [[Paul Fronmüller]], dem Vorsitzenden der israelitischen Realschulen in Fürth Isaak Löw Weiskopf sowie [[Babette Bauer]]: [[Bild:Einverleibung Fürth.jpg|thumb|right|Postkarte zum Thema Zusammenschluss Fürth und Nürnberg um 1920]] | ||
== Volksbegehren gegen den Zusammenschluss Fürth und Nürnberg == | == Volksbegehren gegen den Zusammenschluss Fürth und Nürnberg == | ||
In einem extra für diesen Zweck mit diversen Fürther Verbänden, wie | In einem extra für diesen Zweck mit diversen Fürther Verbänden, wie z. B. dem Grund- und Hausbesitzerverein oder den Innungen, gebildeten Gremium namens "Arbeitsausschuss zur Erhaltung der Selbstständigkeit der Stadt" setzte man sich gegen den Zusammenschluss der beiden Städte ein. Mit einer nie dagewesenen Agitation ficht der "Erzengel von [[St. Michael]]" genannte Fronmüller gegen die [[Eingemeindung]]; es gab keinen Einhalt vor kuriosen Behauptungen und drastischen Kampagnen. Der Verein "Treu Fürth" erlebte einen ungeahnten Zulauf, im Januar [[1922]] war sogar jeder zehnte Fürther Mitglied! Jedes Mittel war [[Paul Fronmüller|Fronmüller]] recht, "''die Selbstständigkeit von Fürth [...] ein so hohes Gut, dass er sich nicht entschließen könne, es irgendwie aufzugeben''" zu verteidigen. Am [[22. Januar]] [[1922]], dem Tag der Abstimmung ließ "Treu Fürth" in den Stadtfarben dekorierte Pferdegespanne und Lastwagen durch die Stadt fahren. Mit der Parole: "''Wir sind Fürther und wir bleiben Fürther!''" | ||
Mit 65 % Mehrheit schmetterte die Fürther Bevölkerung die Pläne der Stadtregierungen ab. Ein Verdienst von "Treu Fürth". | Mit 65 % Mehrheit schmetterte die Fürther Bevölkerung die Pläne der Stadtregierungen ab. Ein Verdienst von "Treu Fürth". | ||
* Den Hauptartikel zur Eingemeindung | * Den Hauptartikel zur Eingemeindung bzw. zum Zusammenschluss der beiden Städte finden Sie hier: [[Eingemeindung Fürths nach Nürnberg]] | ||
== Nach dem Volksbegehren 1922 == | == Nach dem Volksbegehren 1922 == | ||
[[Bild:Treu Fürth Werbung.jpg|thumb|right|Zeitungsanzeige von Treu Fürth gegen die sog. "Eingemeindung Fürths nach Nürnberg" vom 21. Januar 1922]]Bei den Gemeindewahlen am [[15. Juni]] [[1919]] gelang es dem Verein durch eine bürgerliche Einheitsliste ("Selbständigkeit") ihre Wortführer in den [[Stadtrat]] zu bekommen (2 Sitze von 41 Stadträten). Die Einheitsliste verfolgte eine sehr bürgerliche Politik im Sinne des gewerblichen Mittelstandes, bedingt durch ihre Mitgliederstruktur - jedoch frei von jeder Parteipolitik. | [[Bild:Treu Fürth Werbung.jpg|thumb|right|Zeitungsanzeige von Treu Fürth gegen die sog. "Eingemeindung Fürths nach Nürnberg" vom 21. Januar 1922]]Bei den Gemeindewahlen am [[15. Juni]] [[1919]] gelang es dem Verein, durch eine bürgerliche Einheitsliste ("Selbständigkeit") ihre Wortführer in den [[Stadtrat]] zu bekommen (2 Sitze von 41 Stadträten). Die Einheitsliste verfolgte eine sehr bürgerliche Politik im Sinne des gewerblichen Mittelstandes, bedingt durch ihre Mitgliederstruktur - jedoch frei von jeder Parteipolitik. | ||
Zumindest im | Zumindest im 20-köpfigen Ausschuss, der den engeren Vorstand aus seinen eigenen Reihen wählte, waren fast ausschließlich Selbständige, Angestellte oder Beamte.<ref>Nordbayerische Zeitung vom 09. April 1929 und 04. April 1930</ref> Im Vorstand und Ausschuss wie in den Vorstandschaften des Innungsausschusses und des Haus- und Grundbesitzervereins fand man zum Teil stets die gleichen Personen: Stadtrat und Pfarrer [[Paul Fronmüller]], Kaufmann Isaak Löw Weiskopf, [[Stadtrat]] und [[Metzger]] Adam Schildknecht, Stadträtin [[Babette Bauer]], Bäckermeister Ebersberger, Schneidermeister Hans Fuß, Fabrikant Wirth, Bezirksoberlehrer Meerwald, Bäckermeister und [[Stadtrat]] Helmreich und Baumeister Egelseer. | ||
Programmatisch war Treu Fürth im Gegensatz zu manch anderen Parteien nicht antisemitisch, | Programmatisch war Treu Fürth im Gegensatz zu manch anderen Parteien nicht antisemitisch, stand aber in starker Oppositon zur [[SPD]] in Fürth, insbesondere in der Fragestellung der [[Eingemeindung]] Fürths nach [[Nürnberg]]. Durch die Weltwirtschaftskrise [[1929]] - [[1932]] stiegen in Fürth die Kosten der Wohlfahrtsfürsorge auf mehr als 5 Mio. Reichsmark, was der Verein "Treu Fürth" als "''Fluch der Parteienwirtschaft''" anprangerte.<ref>Nordbayerische Zeitung vom 25. Mai 1932</ref> | ||
Wie der Verein der Haus- und Grundstücksbesitzer und die Wirtschaftspartei forderten sie immer wieder zu strikten Sparmaßnahmen der Stadt Fürth, z.B. durch den Verkauf der städtischen Regiebetriebe (z.B. Verkehrs- und Strombetriebe, Krankenhaus). Weiterhin forderte "Treu Fürth" eine "produktive Gestaltung der Erwerbslosenfürsorge" (heute würde man vom Arbeitslosengeld bzw. Sozialhilfe sprechen) und insbesondere eine Einschränkung der Arbeitslosen- und Wohlfahrtsunterstützung, ohne jedoch die Unterstützung der wirklich Bedürftigen in Frage zu stellen. Hierzu vertrat Treu Fürth folgende Meinung: "''Sie (die Arbeitslosen) müssten unter allen Umständen auch leben können und bekommen, was sie unbedingt (!) benötigen. Dies gelte vor allem für die "verschämten Armen", die gerne arbeiten würden, nicht aber für die "unverschämten Armen", die zu stolz sind, eine Arbeit anzunehmen, die ihnen nicht gefällt oder deren Entlohnung nicht hoch genug ist, und die deshalb lieber den leichteren, aber "unehrenhaften Weg der Unterstützung" gingen.''"<ref> Fürther Anzeiger vom 28. | Wie der Verein der Haus- und Grundstücksbesitzer und die Wirtschaftspartei forderten sie immer wieder zu strikten Sparmaßnahmen der Stadt Fürth auf, z. B. durch den Verkauf der städtischen Regiebetriebe (z. B. Verkehrs- und Strombetriebe, Krankenhaus). Weiterhin forderte "Treu Fürth" eine "produktive Gestaltung der Erwerbslosenfürsorge" (heute würde man vom Arbeitslosengeld bzw. Sozialhilfe sprechen) und insbesondere eine Einschränkung der Arbeitslosen- und Wohlfahrtsunterstützung, ohne jedoch die Unterstützung der wirklich Bedürftigen in Frage zu stellen. Hierzu vertrat Treu Fürth folgende Meinung: "''Sie (die Arbeitslosen) müssten unter allen Umständen auch leben können und bekommen, was sie unbedingt (!) benötigen. Dies gelte vor allem für die "verschämten Armen", die gerne arbeiten würden, nicht aber für die "unverschämten Armen", die zu stolz sind, eine Arbeit anzunehmen, die ihnen nicht gefällt oder deren Entlohnung nicht hoch genug ist, und die deshalb lieber den leichteren, aber "unehrenhaften Weg der Unterstützung" gingen.''"<ref>Fürther Anzeiger vom 28. Juli 1930 und Nordbayerische Zeitung vom 25. März 1931 und 21. März 1932</ref> | ||
Mitte [[1933]] wurde der Verein Treu Fürth im Rahmen der sog. NS-Gleichschaltung aufgelöst, obwohl führende Treu Fürth Anhänger, wie z.B. der [[Stadtrat]] und Pfarrer [[Paul Fronmüller]], durchaus offen mit dem NS-Regime symphatisierten. Nach dem 2. Weltkrieg gründete sich der Verein Treu Fürth erneut, dieses Mal unter dem Namen "[[Fürther Block e.V.|Kommunalpolitischer Verein Treu Fürth - Fürther Block e.V.]]" | Mitte [[1933]] wurde der Verein Treu Fürth im Rahmen der sog. NS-Gleichschaltung aufgelöst, obwohl führende Treu-Fürth-Anhänger, wie z. B. der [[Stadtrat]] und Pfarrer [[Paul Fronmüller]], durchaus offen mit dem NS-Regime symphatisierten. Nach dem 2. Weltkrieg gründete sich der Verein Treu Fürth erneut, dieses Mal unter dem Namen "[[Fürther Block e.V.|Kommunalpolitischer Verein Treu Fürth - Fürther Block e.V.]]" [[1952]] gelang ihnen wieder der Einzug ins [[Stadtrat 1952 - 1956|Stadtparlament]] mit 15,6 %. [[1972]] schieden sie aus dem [[Stadtrat]] aus, einzelne Mitglieder wechselten zur [[FDP]]. In der Folge löste sich der Verein endgültig auf. | ||
==Literatur== | ==Literatur== | ||
* ''[[Eingemeindung]]''. In: [[Adolf Schwammberger]]: ''[[Fürth von A bis Z]]. Ein Geschichtslexikon''. Fürth: Selbstverlag der Stadt Fürth, 1968, S. 104-106 | * ''[[Eingemeindung]]''. In: [[Adolf Schwammberger]]: ''[[Fürth von A bis Z]]. Ein Geschichtslexikon''. Fürth: Selbstverlag der Stadt Fürth, 1968, S. 104 - 106 | ||
* ''Treu Fürth''. In: [[Adolf Schwammberger]]: ''[[Fürth von A bis Z]]. Ein Geschichtslexikon''. Fürth: Selbstverlag der Stadt Fürth, 1968, S. 362 | * ''Treu Fürth''. In: [[Adolf Schwammberger]]: ''[[Fürth von A bis Z]]. Ein Geschichtslexikon''. Fürth: Selbstverlag der Stadt Fürth, 1968, S. 362 | ||
* Schnittger, Herbert: Die Eingemeindungsverhandlungen zwischen Nürnberg und Fürth von 1900 bis 1933, Diss. Erlangen 1952 | * Schnittger, Herbert: Die Eingemeindungsverhandlungen zwischen Nürnberg und Fürth von 1900 bis 1933, Diss. Erlangen 1952 | ||
Zeile 49: | Zeile 49: | ||
* ''Das Volk sagte nein - Ein Bürgerentscheid rettet 1922 die Selbständigkeit Fürths'', Stadtrat hatte die Vereinigung schon beschlossen. Fürther Nachrichten vom 15. Februar 1995, S. 43 | * ''Das Volk sagte nein - Ein Bürgerentscheid rettet 1922 die Selbständigkeit Fürths'', Stadtrat hatte die Vereinigung schon beschlossen. Fürther Nachrichten vom 15. Februar 1995, S. 43 | ||
* ''Sturmlauf gegen die Einheitsgemeinde''. Vor genau 90 Jahren wurde die Verschmelzung von Nürnberg und Fürth verhindert. Artikel in den Nürnberger Nachrichten vom 23. | * ''Sturmlauf gegen die Einheitsgemeinde''. Vor genau 90 Jahren wurde die Verschmelzung von Nürnberg und Fürth verhindert. Artikel in den Nürnberger Nachrichten vom 23. Januar 2012 [http://www.nordbayern.de/region/sturmlauf-gegen-die-einheitsgemeinde-1.1805425 NN] | ||
==Einzelnachweise== | ==Einzelnachweise== |