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Der SA-Obersturmführer von Obernitz mobilisierte seine etwa 150 Mann starke Truppe; zum größten Teil handelte es sich dabei um Schüler der SA-Schule im Fürther [[Stadtwald]]. Zwischen 1:00 Uhr und 1:30 Uhr sprengten diese mit Rammwerkzeugen die schweren Eisentore auf, die den jüdischen Besitz zwischen [[Königstraße|König]]- und [[Mohrenstraße]] abgrenzten. In der Synagoge zerschlugen sie den Thoraschrein, holten die Gebetsrollen heraus, warfen alles, was sie von den Wänden rissen, auf einen Haufen und zündeten es an. Das Feuer breitete sich schnell auf die ganze Synagoge aus.<ref name="Manfred Mümmler"/> [[Albert Neubürger]], ein führendes Mitglied der jüdischen Gemeinde<ref>Albert Neubürger war der jüngste Sohn des früheren Rabbiners [[Jakob Immanuel Neubürger]]</ref>, wurde aus dem Bett geholt und „einige SA-Männer führten den jüdischen Rechtsanwalt Neubürger, der am Kopf blutete und dessen Kleider zerrissen waren, in die Synagoge. Sie schleppten ihn in ein Nebenhaus, in dem sich die Wohlfahrtsstelle der israelitischen Gemeinde befand. Dort versuchten sie, mit seinem Kopf die Tür einzurammen...“<ref>Manfred Mümmler: ''Der Progrom 1938'' in [[Fürth 1933 - 1945 (Buch)|Fürth 1933 - 1945]]. 1995, Seite 152</ref> Neuburger entging weiterer Tortur nur, weil der Hausmeister inzwischen die Tür mit einem Schlüssel geöffnet hatte. Weisungsgemäß schützte die Feuerwehr die angrenzenden Häuser, wollte jedoch auch im Gotteshaus selbst löschen, was aber durch SA-Männer verhindert wurde. Bis zum Morgen brannte darum die Synagoge vollständig aus.<ref>ziemlich gleichlautend auch der Auszug aus der "Ballin-Chronik" zum 9. November 1938</ref> | Der SA-Obersturmführer von Obernitz mobilisierte seine etwa 150 Mann starke Truppe; zum größten Teil handelte es sich dabei um Schüler der SA-Schule im Fürther [[Stadtwald]]. Zwischen 1:00 Uhr und 1:30 Uhr sprengten diese mit Rammwerkzeugen die schweren Eisentore auf, die den jüdischen Besitz zwischen [[Königstraße|König]]- und [[Mohrenstraße]] abgrenzten. In der Synagoge zerschlugen sie den Thoraschrein, holten die Gebetsrollen heraus, warfen alles, was sie von den Wänden rissen, auf einen Haufen und zündeten es an. Das Feuer breitete sich schnell auf die ganze Synagoge aus.<ref name="Manfred Mümmler"/> [[Albert Neubürger]], ein führendes Mitglied der jüdischen Gemeinde<ref>Albert Neubürger war der jüngste Sohn des früheren Rabbiners [[Jakob Immanuel Neubürger]]</ref>, wurde aus dem Bett geholt und „einige SA-Männer führten den jüdischen Rechtsanwalt Neubürger, der am Kopf blutete und dessen Kleider zerrissen waren, in die Synagoge. Sie schleppten ihn in ein Nebenhaus, in dem sich die Wohlfahrtsstelle der israelitischen Gemeinde befand. Dort versuchten sie, mit seinem Kopf die Tür einzurammen...“<ref>Manfred Mümmler: ''Der Progrom 1938'' in [[Fürth 1933 - 1945 (Buch)|Fürth 1933 - 1945]]. 1995, Seite 152</ref> Neuburger entging weiterer Tortur nur, weil der Hausmeister inzwischen die Tür mit einem Schlüssel geöffnet hatte. Weisungsgemäß schützte die Feuerwehr die angrenzenden Häuser, wollte jedoch auch im Gotteshaus selbst löschen, was aber durch SA-Männer verhindert wurde. Bis zum Morgen brannte darum die Synagoge vollständig aus.<ref>ziemlich gleichlautend auch der Auszug aus der "Ballin-Chronik" zum 9. November 1938</ref> | ||
In dieser Nacht kam es zu weiteren Ausschreitungen: Die Schaufenster jüdischer Geschäfte zerbarsten, das Inventar wurde zertrümmert, die Warenbestände teilweise geplündert. Fast alle Juden wurden aus ihren Häusern geholt und auf dem [[Fürther Freiheit|Schlageterplatz]] zusammengetrieben.<ref>[[Paul Rieß]] in seiner Chronik zum 10. November 1938</ref> Dort wurde Rabbiner [[Siegfried Behrens]] unter dem Gejohle der gaffenden Menge gezwungen auf einer Thora herumzutrampeln.<ref>Edgar Rosenberg: [https://haitiholocaustsurvivors.wordpress.com/anti-semitism/kristallnacht/kristallnacht-memories-of-edgar-rosenberg/ Kristallnacht Memories]</ref> Dem orthodoxen Rabbiner [[Leo Breslauer]] wurde an gleicher Stelle der Bart abgeschert.<ref>Niall Ferguson: Kissinger - Der Idealist", 2016 dt. Ausgabe, S. | In dieser Nacht kam es zu weiteren Ausschreitungen: Die Schaufenster jüdischer Geschäfte zerbarsten, das Inventar wurde zertrümmert, die Warenbestände teilweise geplündert. Fast alle Juden wurden aus ihren Häusern geholt und auf dem [[Fürther Freiheit|Schlageterplatz]] zusammengetrieben.<ref>[[Paul Rieß]] in seiner Chronik zum 10. November 1938</ref> Dort wurde Rabbiner [[Siegfried Behrens]] unter dem Gejohle der gaffenden Menge gezwungen auf einer Thora herumzutrampeln.<ref>Edgar Rosenberg: [https://haitiholocaustsurvivors.wordpress.com/anti-semitism/kristallnacht/kristallnacht-memories-of-edgar-rosenberg/ Kristallnacht Memories]</ref> Dem orthodoxen Rabbiner [[Leo Breslauer]] wurde an gleicher Stelle der Bart abgeschert.<ref>Niall Ferguson: Kissinger - Der Idealist", 2016 dt. Ausgabe, S. 100; zitiert nach Edgar Rosenberg: "''for my nosy townsmen to crowd into the streets, spitting, yodelling, screaming, “Well, high time!” and “none too soon!” and bursting into a chorus of “Jew Sows” and “Croak Judas”—”Juda Verrecke!''”</ref> | ||
Während der [[Reichspogromnacht in Fürth|Reichspogromnacht]] "''war das Jüdische Krankenhaus mit Verletzten aus Nürnberg, Fürth und den umliegenden Landgemeinden überfüllt. Die Mehrzahl litt an von Schlägen ausgelösten Kopfverletzungen. Einigen Frauen, die ihre Männer zu schützen versuchten, hatten SA-Leute die Handgelenke gebrochen.''"<ref>Monika Berthold-Hilpert: [[Orte der Verfolgung und des Gedenkens in Fürth (Broschüre)|Orte der Verfolgung und des Gedenkens in Fürth]], S.13</ref> | Während der [[Reichspogromnacht in Fürth|Reichspogromnacht]] "''war das Jüdische Krankenhaus mit Verletzten aus Nürnberg, Fürth und den umliegenden Landgemeinden überfüllt. Die Mehrzahl litt an von Schlägen ausgelösten Kopfverletzungen. Einigen Frauen, die ihre Männer zu schützen versuchten, hatten SA-Leute die Handgelenke gebrochen.''"<ref>Monika Berthold-Hilpert: [[Orte der Verfolgung und des Gedenkens in Fürth (Broschüre)|Orte der Verfolgung und des Gedenkens in Fürth]], S.13</ref> | ||
Auch die 42 Kinder aus dem Waisenhaus in der [[Julienstraße]] mussten, teilweise nur mit ihren Nachthemden bekleidet, in der kalten Novembernacht bis zum Morgen ausharren. Frauen und Kinder entließ man nach Hause. | Auch die 42 Kinder aus dem Waisenhaus in der [[Julienstraße]] mussten, teilweise nur mit ihren Nachthemden bekleidet, in der kalten Novembernacht bis zum Morgen ausharren. Frauen und Kinder entließ man nach Hause.<ref>Edgar Rosenberg gibt an, dass dies zwischen 7 und 9 Uhr am Morgen des 10. November war.</ref> Der Rest musste zum Berholzheimerianum, einem Fußmarsch von etwa 10 min am [[Parkhotel]] vorbei. Unterwegs wurden sie von neugierigen Mitbürgern begafft, "''die sich auf den Straßen drängten, spuckten, krakeelten, schrien: "Höchste Zeit!" und "Keinen Augenblick zu früh!" und im Chor "Judensau" und "Juda verrecke!" riefen''"<ref>Niall Ferguson: Kissinger - Der Idealist", 2016 dt. Ausgabe, S. 99</ref> | ||
"''Am nächsten Tag wurde der Schulhof durch Militärposten abgesperrt. SA-Abteilungen marschierten singend zum Synagogenplatz und einige Schulen erschienen geschlossen bei den verwüsteten Geschäften und ließen Sprechchöre erklingen. Es handelte sich dabei anscheinend um Privatleistungen besonders gesinnungsechter Lehrer.''"<ref>Ballin: ''Chronik Fürth 1933 - 1945''</ref> | Der Chronist berichtet, dass 132 Männer in Autobussen nach Dachau abtransportiert wurden.<ref>Manfred Mümmler: Der Pogrom zu Fürth. Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. In: Fürther Heimatblätter, 1988/4, S.101 - 112</ref> | ||
"''Am nächsten Tag wurde der Schulhof durch Militärposten abgesperrt. SA-Abteilungen marschierten singend zum Synagogenplatz und einige Schulen erschienen geschlossen bei den verwüsteten Geschäften und ließen Sprechchöre erklingen. Es handelte sich dabei anscheinend um Privatleistungen besonders gesinnungsechter Lehrer.''"<ref>Ballin: ''Chronik Fürth 1933 - 1945''</ref> | |||
Historiker stimmen darüber überein, dass Deutschen die Tatsache als solche weniger unangenehm war als die daraufhin vermüllten Straßen und Gehwege. Sie regten sich mehr auf über die Glassplitter, zerrissenen Mäntel, ausgehängte Schreibmaschinen und geköpfte Teddybären, die überall herumlagen; besonders über das Dali-esque Bild eines halben Klaviers das quer auf der Hauptverkehrsstraße lag.<ref>Edgar Rosenberg: Kristallnacht Memories</ref> | |||
[[Datei:Pogromnacht.jpg|mini|right|Hauptsynagoge nach der Pogromnacht 1938]] | [[Datei:Pogromnacht.jpg|mini|right|Hauptsynagoge nach der Pogromnacht 1938]] | ||
Mit der zynischen Umschreibung ''[[Wikipedia:Novemberpogrome 1938|Reichskristallnacht]]'' | Mit der zynischen Umschreibung ''[[Wikipedia:Novemberpogrome 1938|Reichskristallnacht]]'' verharmloste die nationalsozialistische Propaganda das zerstörerisches Werk jener Nacht im November 1938. Verantwortlich wurde ein lange aufgestauter Volkszorn gemacht und dabei kaschiert, dass es sich aber um einen gezielt geplanten Schlag handelte. In dieser Nacht wurde die Fürther Hauptsynagoge komplett zerstört. Die ausgebrannte Ruine wurde danach abgerissen. Durch Vernichtung und Neubebauung erinnert und mahnt heute an den '''Schulhof''' und seine Geschichte nur noch ein [[Synagogendenkmal|Denkmal]] in der [[Geleitsgasse]], von [[Kunihiko Kato]], aus dem Jahr [[1986]]. | ||
== Zeitzeugenberichte == | == Zeitzeugenberichte == |
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