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Aktuelle Version vom 24. Juli 2024, 21:10 Uhr
körperlich und geistig nicht gesund und „würdig“ sei, dürfe sein Leid und seine Anomalien nicht in Form eines Kindes weitergeben. Entschlossener Wille der Gesetzgebung sei es, den Volkskörper zu reinigen und krankhafte Erbanlagen auszumerzen, eine „Auslese nach Leistung“ habe stattzufinden. Zu sterilisieren seien Erbkranke, die an angeborenem Schwachsinn leiden. Des angeborenen Schwachsinns verdächtig waren Personen, die ihren Unterhalt nicht „in einem geordneten Berufsleben“ verdienen und sich nicht sozial einfügen. Wer nur ständig „gleichmäßig wiederkehrende Arbeiten kann“, stehe ebenfalls im Verdacht. Besonders verdächtig seien Hilfsschüler. Kennzeichen von erblichem Schwachsinn seien Frühkriminalität, Konflikte mit Schule und Polizei sowie „Kritiklosigkeit gegenüber Beeinflussungen“ (!). Ungefähr 400.000 Menschen fielen zwischen 1934 und 1945 der Zwangssterilisierung zum Opfer. Das Sterilisierungsgesetz wurde 1934 offen diskutiert, allerdings waren praktisch nur zustimmende Meinungen zu hören, lediglich aus katholischen Kreisen kam verhaltene Kritik. Praktisch alle medizinischen Kapazitäten traten damals für diese Sterilisierungen ein.
Werkstätte in Bruckberg (Diakonie Neuendettelsau) um 1935. Man beachte das Körbchen rechts im Vordergrund, in dessen Boden ein Hakenkreuz eingearbeitet ist. (Repro A. Mayer, Original im Archiv Diakonie Neuendettelsau).
4. Beginn der nationalsozialistischen „Euthanasie“ Nach Aussagen seines Arztes habe sich Hitler zur „Euthanasie“ bereits 1933 oder früher entschlossen. Schon 1929 forderte er, 700.000 bis 800.000 der „Schwächsten“ zu „beseitigen“. Die Ermordung wurde ab 1933 propagandistisch vorbereitet. Schon 1933 reduzierte die Reichsregierung die Pflegesätze in den psychiatrischen Anstalten drastisch. 1938 trafen in der „Kanzlei des Führers der NSDAP“ (KdF) vereinzelt Gesuche Schwerkranker ein, die um Sterbehilfe baten, Ende 1938 oder Anfang 1939 ein Gesuch, das ein Kind betraf, das in der Leipziger Universitätsklinik lag. Das Kind war einer Zeugenaussage zufolge blind geboren,
schien geistig behindert zu sein, ihm fehlte ein Bein und teilweise ein Arm. Der Vater hatte sich an Hitler mit der Bitte gewandt, dem Kind „das Leben zu nehmen“. Hitler schickte seinen persönlichen Arzt nach Leipzig, wo dieser die Angaben überprüfte und den Ärzten die Durchführung der „Euthanasie“ genehmigte. Dieser Fall führte dazu, dass Hitler einige Amtsleiter seiner Kanzlei dazu ermächtigte, in Fällen ähnlicher Art entsprechend zu verfahren. Alle Gesuche seien allein von seiner Kanzlei zu bearbeiten. Am 18. August 1939 erging ein streng vertraulicher Runderlass des Reichsinnenministeriums, der den Kreis der betroffenen Kinder festlegte. Betroffen waren vor allem Kinder mit „Mongolismus, Hydrocephalie (Wasserkopf), Missbildungen jeglicher Art und Lähmungen“. Meldepflichtig waren Hebammen und Ärzte. Über 5.000 Kleinkinder, Kinder und Jugendliche wurden auf einer der „Kinderfachabteilungen“ ermordet, die der Rechtsausschuss an bestehende Heil- und Pflegeanstalten angliederte. Diese Tötungen waren somit in das öffentliche Gesundheitswesen eingebunden. Mit dem Beginn des Krieges am 1. September 1939 wurden die Zwangssterilisierungen weitgehend eingestellt, da die Ärzte bei den Truppen gebraucht wurden. An Stelle der Sterilisierungen trat nun die „Euthanasie“. Der Krieg ermöglichte es, „im Zuge kriegsbedingter Räumungsmaßnahmen“ ganze Anstalten zu verlegen, ohne dass dies anfänglich Verdacht erregte. Schon Anfang September wurden erste Pflegeanstalten vollständig geräumt. Am 21. September 1939 erging ein Erlass zur Erfassung aller Heil- und Pflegeanstalten. Ende September 1939 begann in Polen die Ermordung physisch Kranker mit der Erschießung von 3.700 Heiminsassen. Am 9. Oktober 1939 verfügte das Innenministerium, demzufolge sämtliche Patienten zu melden sind, die „1. an nachstehenden Krankheiten leiden und in den Anstaltsbetrieben nicht oder nur mit mechanischen Arbeiten (Zupfen u.ä.) zu beschäftigen sind: Schizophrenie, Epilepsie..., senile Erkrankungen, Therapie-refraktäre Paralyse und andere Lues-Erkrankungen, Schwachsinn jeder Ursache, Encephalitis, Huntington und andere neurologische Endzustände; oder 2. sich seit mindestens 5 Jahren dauernd in Anstalten befinden; oder 3. als kriminelle Geisteskranke verwahrt sind; oder 4. nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder nicht deutschen oder artverwandten Blutes sind ...“ Auf dem Fragebogen selbst fand sich unter anderem die Frage, ob und wie oft der Patient Besuch erhält, was mancherorts einen ersten Verdacht weckte. Noch bevor diese Meldebögen in den Heimen des Reiches eintrafen, räumten die Nationalsozialisten in Pommern und Westpreußen die ersten deutschen Heil- und Pflegeanstalten in Stralsund, Lauenburg und Treptow, Erschießungskommandos ermordeten die Pfleglinge in abgelegenen Waldstücken.
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