Müll-Schwelbrennanlage: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 14. Juni 2018, 18:45 Uhr
- Baujahr
- 1997
- Bauherr
- Siemens KWU / Stadt Fürth
- Geokoordinate
- 49° 29' 56.00" N, 10° 56' 51.61" E, 49° 29' 59.48" N, 10° 56' 39.31" E
Siemens KWU bot der Stadt Fürth 1985 eine kostenlose Versuchsanlage zur Müllverschwelung an. Die Kosten wurden 1990 auf 32 Millionen Deutsche Mark beziffert (ca. 16 Mio Euro), die sich bereits bis 1995 auf 66 Millionen DM (ca. 33 Mio. Euro) verdoppelten. 1997 konnte die Fürther Müll-Schwelbrennanlage (kurz: SBA) fertig gestellt werden, jedoch waren bis zu diesem Zeitpunkt die Kosten völlig aus dem Ruder gelaufen und beliefen sich statt der ursprünglich geplanten 16 Mio. Euro nun 125 Millionen Euro, womit das Pilotprojekt der Firma Siemens zum damaligen Zeitpunkt eines der teuersten Pilotprojekte der Firma im regionalen Raum darstellte. Ziel der Anlage sollte die Verschwelung von Restmüll sein, zur Herstellung elektrischer Energie.
Nach der Genehmigung durch die Regierung von Mittelfranken begann der Bau der SBA im September 1994. Nach einem gescheiterten Bürgerbegehren (siehe Abschnitt: Protest) wurde die Anlage noch vor Inbetriebnahme privatisiert (1995) und an die Stromkonzern-Tochter UTM GmbH veräußert - mit dem Ziel, weiteren Müll aus der unmittelbaren Umgebung (z.B. Erlangen) aufzunehmen. Hintergrund der Erweiterung war, dass die Auslastungskapazitäten durch den Betreiber viel höher als benötigt geschätzt worden war, so dass die tatsächlich deutlich geringe Auslastung mit Müll kaum Rentabel für den Betreiber war, so dass nur durch eine deutliche Kapazitätsauslastung einer wirtschaftlicher Betrieb sinnvoll erschien.
Protest
Bereits vor dem Bau der Anlage wurde öffentlich der Protest gegen die Anlage laut, da bei der Verschwelung hochgiftige Schwelgase entstehen, und die Verschwelung des Mülls als ökologisch nicht sinnvoll erachtet wurde. Der Bund Naturschutz hielt der den Betreibern der SBA gemeinsam mit dem Verein "Müll und Umwelt e. V. Fürth" ein alternatives Abfallkonzept entgegen. Breite Unterstützung kam aus weiten Kreisen der Bevölkerung, unter anderem durch mehrere große Demonstrationen zwischen 1990 und 1993. Der Verein Müll und Umwelt initiierte schließlich im Jahr 1993 ein Bürgerbegehen, das innerhalb kürzester Zeit mit 27.000 Einwendungen die erste Hürde nehmen konnte. Es folgte eine neuntägige Anhörung im Nürnberger Messezentrum, bei der die Einwendungen und das alternative Müllkonzept vorgetragen bzw. abgewogen wurde. Während dessen begann bereits der Bau am Hafengelände, woraufhin fünf Betroffene gegen den Baubescheid klagten, mit dem Ziel des Baustopps, jedoch ohne Erfolg. Der darauf folgende Bürgerentscheid scheiterte schließlich knapp mit 49 % zu 51 %.[1]
Scheitern und Schließung
Nach der Inbetriebnahme 1997 traten zahlreiche technische Probleme in der Anlage auf, wie z.B.: Materialstau, Softwareausfall und Schwelgasfreisetzung nach einer Bypassöffnung. Eine neugegründete Initiative "Bürger beobachten die Schwel-Brenn-Anlage" dokumentierte diese Fälle genau und veröffentlichte regelmäßig die Störfälle. 1998 wurde von Seiten des Betreibers nochmals nachgebessert, doch beim Probelauf im August 1998 kam es zum entscheidenden Störfall, der das Aus für die Anlage bedeutete. Ein Metallgeflecht im Müll führte zu einem Materialstau, in der Folge wurde eine Schweltrommeldichtung zerstörte, so dass giftiges Schwelgas austrat und 73 Personen in und um der Anlage verletzt wurden.[2] Nach dieser Pannenserie musste die Schwelbrennanlage - nur ein Jahr nach Inbetriebnahme - 1998 außer Betrieb genommen werden. Der Fürther Restmüll muss seit der Schließung des Müllbergs und der Schließung der Schwelbrennanlage fortan in die Nürnberger Müllverbrennung gebracht werden.[3]
Der Ausstieg aus dem Pilotprojekt wurde für die Stadt Fürth und dem Landkreis zum größten finanziellen Debakel in der Fürther Stadtgeschichte. Die Stadt Fürth hatte sich eine Technologie von der Firma Siemens aufdrängen lassen, die sich im Nachhinein als noch völlig unausgereift und für die eigenen Verhältnisse völlig unzulänglich herausstellte. So wurde der teure Stahlbau über Nacht zur unbrauchbaren Ruine. Bereits beim Bau mussten die Partner im Zweckverband Abfallbeseitigung Rangau (ZAR) einer Risikobeteiligung zustimmen. Als die SBA endgültig außer Betrieb ging, hatte die Stadt für den Ausstieg aus dem Projekt 8,8 Millionen Mark (4,4 Mio Euro) an Siemens zu zahlen; weitere 5 Millionen Mark (2,5 Mio Euro) musste der damalige Müllzweckverband aus dem Landkreis aufbringen.
Verkauf
1999 erwarb der Bauunternehmer Günther Karl die Anlage von Siemens. Wie erst Anfang 2009 bekannt wurde, hatte dieser die stillgelegte SBA bereits zum 13. März 2008 an die Max Aicher GmbH, Freilassing weiterveräußert.[4] Noch 2009 hatte ein Firmensprecher gegenüber der Presse vermeldet, dass man das Gelände "aktiv und sinnvoll weiterentwickeln" wolle - so war von einem Tauchzentrum oder einer Disco die Rede. Tatsächlich hat hier lediglich die Feuerwehr einige Übungen abgehalten, bzw. die Nürnberger Theatergruppe "Pocket Opera Company" im Jahr 2004 einige Inszenierungen dargeboten.
Abriss
Im Juni 2018 gab der Eigentümer bekannt, dass das Gebäude nach 20-jährigem Leerstand nun abgerissen wird. Die Eigentümerfirma hat bei der Stadt entsprechende Anträge gestellt, wie auch der Wirtschaftsreferent Horst Müller gegenüber der Presse bestätitgte. Genauere Angaben über die weitere Nutzung des Geländes wollte der Eigentümer noch nicht bekannt geben.[5]
Sonstiges
Gegen 10:24 Uhr ging am Sonntag, den 28. Januar 2018 der Feueralarm bei der Berufsfeuerwehr Fürth ein. Im 2. Obergeschoss brannte ein ca. 20 m2 großer Raum mit Kartonagen und Müll.[6] Vier Wochen später, am 23. Februar, brannte es in der Anlage erneut; kurz danach konnte die Polizei vier verdächtige junge Männer festnehmen, die die Brandstiftung zugaben.[7]
Siehe auch
Lokalberichterstattung
- Bernd Noack: Statt Müll brannte die Leidenschaft. In: Fürther Nachrichten vom 10. Januar 2011 - online abrufbar
- Birgit Heidingsfelder: Müll-Ruine vor dem Abbruch. In: Fürther Nachrichten vom 9. Juni 2018 (Druckausgabe, S. 34) bzw. Fürths Schwelbrennanlage vor dem Abbruch. In: nordbayern.de vom 9. Juni 2018 - online abrufbar
Einzelnachweise
- ↑ Waltraud Galaske: 20 Jahre Müll und Umwelt Fürth, Information der Bundesarbeitsgemeinschaft "Das Bessere Müllkonzept", Oktober 2008 - online abrufbar
- ↑ Johannes Alles: Der Tag, an dem die Giftwolke über Fürth zog. In: Fürther Nachrichten vom 28. August 2008 - online abrufbar
- ↑ Website der Müllverbrennung Nürnberg
- ↑ Volker Dittmar: Ex-Müllofen wechselte Besitzer. In: Fürther Nachrichten vom 2. Februar 2009 - online abrufbar
- ↑ Birgit Heidingsfelder: Müll-Ruine vor dem Abbruch. In: Fürther Nachrichten vom 9. Juni 2018 (Druckausgabe, S. 34)
- ↑ Feuer in der alten Schwelbrennanlage. In: Fürther Nachrichten vom 29. Januar 2018 (Druckausgabe) bzw. fn: Feuer verwüstet alte Schwelbrennanlage in Fürth. In: nordbayern.de vom 28. Januar 2018 - online abrufbar
- ↑ fn: Festnahme nach Brand. In: Fürther Nachrichten vom 26. Februar 2018 (Druckausgabe) bzw. Serie in Fürther Schwelbrennanlage: Brandstifter gefasst. In: nordbayern.de vom 25. Februar 2018 - online abrufbar
Bilder
Die Müll-Schwelbrennanlage im Mai 2018 von der Hafenbrücke aus gesehen
Von den Bürgerinitiativen gegen die Müll-Schwelbrennanlage aufgestelltes "Protest-Marterl" gegenüber der Abzweigung des Aischwegs von der Mainstraße
Von den Bürgerinitiativen gegen die Schwelbrennanlage aufgestelltes "Protest-Marterl" gegenüber der Abzweigung des Aischwegs von der Mainstr.
2015: Blick vom Main-Donau-Kanal Weg auf den Hafen Fürth, Bildmitte die ungenutzt in der Landschaft stehende, 2019 abgerissene Müll-Schwelbrennanlage, rechts Teil von Atzenhof
2001: Blick vom Main-Donau-Kanal Richtung der 2018 abgerissenen Müll-Schwelbrennanlage, der Hafenbrücke und dem Tanklager Hafen Fürth. Im Hintergrund die Kräne vom Hafen Fürth und dem Solarberg.
Blick vom Fürther Müllberg auf den Fürther Hafen und auf Atzenhof, Juni 2001
die in Bau befindliche Müll-Schwelbrennanlage, heutiger Standort der Firma Nordfrost, hinten links das Mercedes Benz Logistik Center im Januar 1999
von den Bürgerinitiativen gegen die Müll-Schwelbrennanlage aufgestelltes "Protest-Marterl" gegenüber der Schwelbrandanlage an der Mainstraße im Januar 1999
die in Bau befindliche Müll-Schwelbrennanlage, heutiger Standort der Firma Nordfrost, hinten links das Mercedes Benz Logistik Center im Januar 1999
Im Bau befindliche Müll-Schwelbrennanlage, hinten rechts das Tanklager Hafen Fürth, Januar 1999
Bauschild der im Bau befindlichen Müll-Schwelbrennanlage im Januar 1999
Blick über den Main-Donau-Kanal auf die brandneue aber nicht funktionstüchtige Müll-Schwelbrennanlage, Abriss 2018, heutiger Standort der Firma Nordfrost, 1999
von den Bürgerinitiativen gegen die Müll-Schwelbrennanlage aufgestelltes "Protest-Marterl" gegenüber der Schwelbrandanlage an der Mainstraße im Januar 1999
die in Bau befindliche Müll-Schwelbrennanlage, heutiger Standort der Firma Nordfrost, mit Wohncontainer der Bauarbeiter im Januar 1999
Eingangsbereich der in Bau befindlichen Müll-Schwelbrennanlage im Januar 1999
Details der von den Bürgerinitiativen gegen die Müll-Schwelbrennanlage aufgestellten "Protest-Marterl" gegenüber der Schwelbrandanlage an der Mainstraße im Januar 1999
Blick Höhe Solarberg auf den Main-Donau-Kanal mit Gebäuden von Atzenhof. Im Hintergrund links der Hafen Fürth und rechts die 2018 abgerissene Müll-Schwelbrennanlage, heutiger Standort der Firma Nordfrost im August 1996
Blick vom Hafen Fürth auf die Hafenbrücke und die 2018 abgerissene Müll-Schwelbrennanlage, heutiger Standort der Firma Nordfrost im August 1996
die in Bau befindliche, dann 20 Jahre stillgelegte und 2018 abgerissene Müll-Schwelbrennanlage, heutiger Standort der Firma Nordfrost. Rechts Tanklager Hafen Fürth im August 1996
Löscharbeiten im Hafen Fürth auf die Hafenbahn. Rechts die 2018 abgerissene Müll-Schwelbrennanlage, heutiger Standort der Firma Nordfrost im August 1996