Rudolf Benario

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Rudolf Benario (geb. 20. September 1908 in Frankfurt am Main; gest. 12. April 1933 im KZ Dachau) war promovierter Volkswirt und eines der ersten jüdischen Opfer des NS-Terrors in Fürth.

Leben

Herkunft

Rudolf Benario wurde 1908 als Sohn des freien Journalisten, Hochschullehrers und Zeitungswissenschaftlers Leo Benario (geb. 5. Juli 1875 in Obernbreit; gest. 19. August 1947 in Nizza, Provence-Alpes-Côte d'Azur, France (Frankreich)[1] [2] und dessen Frau Marie, geb. Bing (geb. 2. Oktober 1886 in Nürnberg; gest. 1. Februar 1976 in England)[3], der Tochter des erfolgreichen Nürnberger Metallspielwarenfabrikanten Ignaz Bing, geboren.

Schule und Studium

Er besuchte von 1918 bis 1922 das Alte Gymnasium Nürnberg (ab 1933: Melanchthon-Gymnasium), die Hälfte der 5. Klasse das Alte Gymnasium in Würzburg und ab 1. Mai 1923 die 6. Klasse des Gymnasiums Carolinum in Ansbach. Am 1. April 1927 legte er sein Abitur ab.

Ab 1927 studierte Rudolf Benario Staatswissenschaften und Jura an den Universitäten Erlangen, Würzburg, Berlin und wieder Erlangen. In Erlangen legte er am Ende des Wintersemesters 1929/30 das Examen zum Diplom-Volkswirt ab (1. April 1930). Während seines Studiums engagierte er sich im Republikanischen Studentenbund und in der KPD. Benario trat für die Interessen seiner Partei an die Öffentlichkeit. Am 28. Januar 1933 wurde er an der Universität Erlangen mit einer Doktorarbeit über „Wirtschaftsräte in der deutschen Literatur und Gesetzgebung der Jahre 1840 bis 1849“ zum Dr. rer. pol. promoviert.

Politische Tätigkeit

An der Universität Erlangen arbeitete Rudolf Benario ab 1927 in der ‚Arbeitsgemeinschaft Republikanischer Studenten’ als Schriftführer mit. Vermutlich hatte er in dieser Zeit auch Kontakt zu den Jungsozialisten der SPD in Fürth und wird wahrscheinlich 1929 zu deren Vorsitzenden gewählt.

Am 15. Januar 1930 kommt es in einer Sitzung des Allgemeinen Studenten-Ausschusses (ASTA) zu einem Eklat. Die Vertreter der NS-Studenten verlassen die Sitzung, weil Rudolf Benario „…ein schädigendes Verhalten an den Tag legt…“.[4] Bereits vorher waren Aushänge der ‚Republikanischen Studenten’ mit dem Schimpfwort „Judenknechte“ beschmiert worden. Das Verhalten der Nationalsozialisten wurde von den Vertretern aller anderen Studentengruppen „…vollkommen gebilligt“.[5]

Bei der Reichstagswahl 1930 gewann die NSDAP 95 Mandate, die SPD verlor 10 Abgeordnete und die KPD gewann 23 Mandate. Der SPD-Parteivorstand sah in den Jungsozialisten, die den Panzerkreuzerbau und den Schmusekurs mit der Brüning-Regierung scharf verurteilt hatten, die Schuldigen am Wahldebakel. Deshalb löste er im Juni 1931 die Organisation der Jusos auf.[6] Im gleichen Monat, während einer Veranstaltung der Fürther KPD mit dem Bezirksvorsitzenden Jakob Boulanger und Anton Hausladen im Geismannsaal, gab Rudolf Benario öffentlich seinen Übertritt von den Jungsozialisten zur KPD bekannt.[7] Als Vorsitzender der Fürther Jusos hatte er zu den Gruppenabenden der Kommunisten eingeladen, um gegen den Opportunismus der SPD gemeinsam vorzugehen. Die Fürther SPD-Spitze reagierte äußerst gereizt und drohte mit dem Parteiauschluss.[8] Dem kam Rudolf Benario zuvor. Er wurde zusammen mit drei anderen Jungsozialisten Mitglied der KPD. In einem Artikel ihres Hausblattes, der „Fränkischen Tagespost“, beschimpfte die SPD-Spitze Benario auf eine äußerst rüde Art, die sich nur wenig von den späteren Hasstiraden der Nationalsozialisten unterschied.[9] Der Grund: Es waren so viele Jungsozialisten zur KPD übergetreten, dass das sogar die politische Polizei registrierte. Unter ihnen war auch der Journalist des SPD-Blattes, Heinrich Heilbrunn[10], ein Sohn des Fürther Arztes, Bertold Heilbrunn.

Der Rektor der Erlanger Universität denunzierte Rudolf Benario am 12. Dezember 1932 beim bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus als ‚kommunistischen Agitator’: „…von einzelnen Studierenden ist ein früherer stud. rer. pol. Benario zu erwähnen, der nach einer kürzlich mir zur vertraulichen Kenntnisnahme zugegangenen Feststellung der politischen Polizei zeitweilig mit kommunistischer Agitation sich befasst hat…“.[11] Die ‚vertraulichen Informationen’ des Rektors stammten nicht nur von der Fürther Polizei. Schon im Oktober 1931 war Rudolf Benario vom Fürther Amtsgericht wegen Verstoßes gegen den § 3 der Verordnung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen zu einer Geldstrafe von 80 RM verurteilt worden, weil er am 17. Juli 1931 an einer Erwerbslosendemonstration der KPD teilgenommen hatte. Ihm wurde vorgeworfen, die Demonstration geleitet und Sprechchöre organisiert zu haben. Als erschwerend sah es das Gericht an, dass sich der Student zur Kommunistischen Partei bekannte.[12] Aktives Mitglied war Rudolf Benario auch im 1927 von Kommunisten gegründeten Fürther Kanu-Klub. Der Klub, Mitglied im „Arbeiter-Turn- und Sportbund“ (ATSB), verstand sich als Gegenbewegung zur nationalistischen „Deutschen Turnerschaft“, die keine Arbeiter und Juden in ihren Reihen duldete, lange vor dem 30. Januar 1933.

Ermordung im KZ Dachau

Am 10. März 1933 wurde Rudolf Benario erneut verhaftet, dieses Mal von der SA. Die Massenverhaftungen jener Tage waren Folge der Reichtstagsbrandverordnung. Über die Verhaftung Benarios berichtete der „Fürther Anzeiger“ in seiner Ausgabe vom 10. März 1933: Der „… sattsam bekannte kommunistische Winsler und Jude Benario [wurde] in Schutzhaft genommen“. Die Deportation nach Dachau erfolgte am 11. April 1933.[13]

Ab 11. April teilten sich Polizei und SS die Bewachung des KZ Dachau. Die SS galt dabei formal zwar nur als Hilfspolizei, dennoch verübte sie schon am Folgetag die ersten Morde. Vier Mitglieder des kommunistischen Jugendverbandes, Dr. Rudolf Benario, Ernst Goldmann, Arthur Kahn und Erwin Kahn, waren die Opfer. Am 12. April 1933 ließ Hans Steinbrenner, Chef der 2. Häftllingskompanie im KZ Dachau, die zuvor schwer misshandelten Männer antreten und ging mit ihnen zum Schießplatz. Nachdem Steinbrenner die vier Gefangenen aus dem Lager geleitet hatte, nahmen die SS-Männer Hans Brunner, Max Schmidt und SS-Sturmführer Robert Erspenmüller die Gruppe in Empfang. Sie führten die Häftlinge tiefer in den Wald hinein und eröffneten dann aus ihren Pistolen das Feuer. Nur Erwin Kahn überlebte mit lebensgefährlichen Verletzungen und wurde ins Lager zurückgebracht. Kurz darauf hieß es, die Häftlinge seien „auf der Flucht erschossen“ worden.[14] Es war ein Mord an wehrlosen Gefangenen. Erwin Kahn erlag wenige Tage danach seinen Verletzungen. Vorher berichtete er noch über die Morde.

Das Grab Rudolf Benarios liegt auf dem Israelitischen Friedhof in Nürnberg.

Erinnerung und Gedenken

Neue Gedenktafel für Benario und Goldmann, 2017

Bürgermeister Heinrich Stranka wandte sich am 3. März 1983 an das Fürther Stadtarchiv: Er wünschte genauere Informationen über das Schicksal der beiden ermordeten Fürther. Anlass waren der bevorstehende 50. Jahrestag der Machtergreifung der Nationalsozialisten und die wiederholten Initiativen des DKP-Stadtrates Werner Riedel, sich dieser beiden Antifaschisten endlich in würdiger Form zu erinnern. Die Antwort des Stadtarchivs war kurz und bündig: „…es ist praktisch aussichtslos aufgrund unseres Materials Näheres über Dr. Rudolf Benario und Ernst Goldmann, die 1933 in KZ Dachau ‚auf der Flucht erschossen wurden’ herauszufinden.“[15]

Doch zahlreiche Quellen, Dokumente und Publikationen belegten da schon lange die Morde. Erste Hinweise wurden bereits 1933/34 in der Exilliteratur publiziert.[16] Im Archiv des Konzentrationslagers Dachau befanden sich Vernehmungsprotokolle von Zeugen der Morde. 1933 und 1948 legten die bayerischen Justizbehörden umfangreiche Ermittlungsakten an, die 1983 zugänglich waren. Es gab Hinweise im Standardwerk des Münchner Instituts für Zeitgeschichte „Bayern in der NS-Zeit“ und im Staatsarchiv Nürnberg waren die Auswanderungsakten der Angehörigen und Akten über die politische Tätigkeit der beiden Opfer zu finden.

Dennoch stießen die zahlreichen Initiativen und Bemühungen von Freunden Rudolf Benarios und Ernst Goldmanns, der Kommunistischen Partei und ehemaliger Widerstandskämpfer um eine angemessene Erinnerung bei den Offiziellen der Stadt Fürth lange Jahre auf taube Ohren. Weil es Kommunisten waren, hat man versucht, sie bis weit in die 80er Jahre zu verschweigen.

Am 12. April 1983, dem 50. Jahrestag der Ermordung, erschien in den Fürther Nachrichten unter dem Titel „Da hörten wir Gewehrschüsse“ eine erste große öffentliche Würdigung Rudolf Benarios und Ernst Goldmanns. 2003 veröffentlichte der Lehrer Manfred Lehner-Wendt gemeinsam mit den Schülern seiner Klasse an der Soldner Hauptschule eine Broschüre, in der die Ermordung Dr. Rudolf Benario und Ernst Goldmann detailliert beschrieben wurde. Bereits hier wurde erneut die Forderung nach einer dauerhaften Gedenkstätte für die Ermordeten laut. Die zunehmende öffentliche Diskussion führte am 5. Oktober 2007 zu einer Gedenktafel an der Uferpromenade. Schließlich benannte der Stadtrat 2013 zwei Straßen nach den ersten Opfern der Nationalsozialisten in einem Konzentrationslager.

Seit 2011 gibt es aber auch Versuche, die Opfer – wenn sie schon nicht mehr zu verschweigen sind – zu vereinnahmen: Auf einer Gedenkstele der Nürnberger SPD vor dem Karl-Bröger-Haus werden Rudolf Benario, Dr. Albert Rosenfelder wie auch der Nürnberger Kommunist Erich Ganss, zu Sozialdemokraten umgedeutet: „Es sind Menschen wie Dr. Rudolf Benario, der als jüdisches SPD-Mitglied schon im März in Dachau erschlagen wurde…“ schreibt der ,SPD-Historiker’ Bruno Heinlein ungeniert und in völliger Unkenntnis der eigenen Parteigeschichte.[17] Nach jahrzehntelanger Verleugnung der kommunistischen Widerstandskämpfer, offenbar ein Versuch, sie für die „Ergänzung“ der SPD-Widerstandsgeschichte zu instrumentalisieren.

Veröffentlichungen

  • Wirtschaftsräte in der deutschen Literatur und Gesetzgebung der Jahre 1840 bis 1849. Universität Erlangen, Phil. Diss., 1932. Herzogenaurach, 1933, VII, 126 S.
  • Deutsche Wirtschaftsräte in Vormärz und Märzrevolution. Fürth: Rosenberg, 1933, VII, 126 S.

Literatur

  • Udo Sponsel, Helmut Steiner: Erinnerung an Rudolf Benario, eines der ersten Opfer des nationalsozialistischen Terrors. In: Fürther Heimatblätter, 1997/2, S. 52 -55
  • Manfred Lehner-Wendt (Hrsg.): Birken am Rednitzufer. Eigenverlag Fürth, 2003

Lokalberichterstattung

  • Erschießung von vier Häftlingen. In: Neue Augsburger Zeitung vom 15. April 1933
  • Marion Reinhardt: Vier Birken als Erinnerung - Rudolf Benario und Ernst Goldmann wurden 1933 ermordet. In: Fürther Nachrichten vom 14. April 2009, Fürther Nachrichten, S. 3 - online abrufbar
  • Die ersten Opfer des Nazi-Terrors mahnen. In: Fürther Nachrichten vom 17. Mai 2010 - online abrufbar
  • Ehre für Alt-OB und zwei Nazi-Opfer. In: Fürther Nachrichten vom 28. März 2012 - online abrufbar
  • Zwei Morde am Anfang der Gewaltspirale. In: Fürther Nachrichten vom 15. April 2012 - online abrufbar
  • Erinnerung an die ersten Fürther Opfer der Nationalsozialisten. In: Fürther Nachrichten vom 5. April 2013 - online abrufbar
  • Nazi-Opfer verhöhnt. In: Fürther Nachrichten vom 12. April 2013 - online abrufbar
  • 250 Menschen bei Gedenkfeier für Benario und Goldmann. In: Fürther Nachrichten vom 13. April 2013 - online abrufbar
  • Claudia Ziob: Säge-Attacke: Birken an Gedenkstätte massiv beschädigt. In: Fürther Nachrichten vom 4. August 2017 - online abrufbar
  • fn: Neue Erinnerungstafel für zwei Fürther Nazi-Opfer. In: Fürther Nachrichten vom 21. Dezember 2017 - online abrufbar
  • Hans-Joachim Winckler: Nazi-Opfer bleiben unvergessen. In: Fürther Nachrichten vom 29. April 2020 bzw. Denkmal: Erinnerung an Fürther Nazi-Opfer bleibt wach. In: nordbayern.de vom 30. April 2020 - online abrufbar

Siehe auch

Weblinks

  • Klasse 9 b der Hauptschule Soldnerstraße in Fürth: Birken am Rednitzufer. Eine Dokumentation über Dr. Rudolf Benario, am 12. April 1933 im KZ Dachau ermordet. In: Der Landbote. Verein für sozial- und politikwissenschaftliche Studien e. V., 16 Seiten - PDF-Datei
  • Der Mord an Ernst Goldmann. In: Der Landbote. Verein für sozial- und politikwissenschaftliche Studien e. V. - PDF-Datei
  • Siegfried Imholz: „Die Auswanderung des Siegfried ‚Israel' Goldmann ist daher nicht mehr möglich …“ 22 S. - PDF-Datei
  • Zeittypische Einzelschicksale: Rudolf Benario und Ernst Goldmann - Wikipedia

Einzelnachweise

  1. genealogische Daten bei GENi
  2. Leo Benario zunächst 1905 freier Journalist für die Frankfurter Zeitung als Handelsredakteur. 1917 als freier Journalist in Nürnberg. Er gehörte zur Gründergeneration der Zeitungswissenschaft mit seinem 1923 gegründeten Institut für Zeitungskunde. Siehe Näheres im Lexikoneintrag von Peter Syszka: Leo Benario online verfügbar
  3. genealogische Daten bei GENi
  4. Erlanger Nachrichten 18.1.1930
  5. ebenda
  6. Wolfgang R. Krabbe, ‚Kritische Anhänger - Unbequeme Störer: Studien zur Politisierung deutscher Jugendlicher im 20. Jahrhundert’, Berlin 2010, Seite 319
  7. Fränkische Tagespost 13.6.1931, Staatsarchiv Nürnberg 218/9 Polizeipräsidium Nbg-Fth Nr. 791
  8. Nordbayerische Zeitung 15.5.1931
  9. Fränkische Tagespost 13.6.1931
  10. Fränkische Tagespost 28.5.1931
  11. Universität Erlangen Archiv
  12. Nordbayerische Zeitung 13.10.1931
  13. n.N.: Ruhige Nacht in Fürth - Beginn der Generalsäuberung. In: Fürther Anzeiger vom 10. März 1933 (Druckausgabe)
  14. Komitee zum Gedenken der Fürther Shoah-Opfer (Bearbeitung Gisela Naomi Blume): Memorbuch zum Gedenken an die von den Nationalsozialisten Ermordeten Fürther Juden. Fürth, 1997. S. 47 f. und S. 137; Hans-Günter Richardi: Schule der Gewalt. Das Konzentrationslager Dachau 1933-1934. München, 1983. S. 88 ff.; Udo Sponsel, Helmut Steiner: Erinnerung an Rudolf Benario. Eines der ersten Opfer des nationalsozialistischen Terrors. In: Fürther Heimatblätter 1997, Nr. 2
  15. Stadtarchiv Fürth: Biografische Sammlung Ernst Goldmann Heinrich Stranka Briefwechsel, Brief des Stadtarchivs vom 14.3.1983
  16. Heiden, Konrad: ‚Geburt des Dritten Reiches’, Zürich 1934 und ,Braunbuch über den Reichstagsbrand und Hitlerterror’, Basel 1933
  17. SPD Nürnberg: Gedenken an Verfolgte durch das NS-Regime, 12.11.2011

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