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II. Das Beispiel der Neuendettelsauer Anstalten 1. Wilhelm Löhe und die Diakonie Neuendettelsau Wilhelm Löhe, dessen Name außerhalb Frankens kaum bekannt ist, wurde am 21. Februar 1808 in Fürth geboren und gründete am 27. Februar 1854 den „Lutherischen Verein für weibliche Diakonie in Bayern“. Das diakonische Werk wurde einerseits als Ausfluss und Frucht des lebendigen Glaubens gesehen, andererseits sollte der christliche Liebesdienst den Glauben neu beleben. In den Vereinsstatuten hieß es, der Verein bestehe aus einer Muttergesellschaft und aus Hilfsvereinen, welche sich „der Muttergesellschaft zur Förderung ihrer Zwecke organisch angeschlossen haben“. Unverheiratete Frauen sollten zum „Dienst an der leidenden Menschheit“ ausgebildet werden. Organisatorisch war nicht vorgesehen, Neuendettelsau zum bleibenden Sitz zu machen, hier sollte nur ein Anfang gemacht werden. Tatsächlich kam es im Folgenden zur Gründung von Zweigvereinen in anderen Städten und Gemeinden (in Fürth am 17. Mai 1861), aber diese Zweigvereine entfalteten ein so geringes Leben, dass man ihre Auflösung erwog. Neuendettelsau wurde - entgegen der ursprünglichen Planung - zum Mittelpunkt; anstelle der weitgestreuten Vereinstätigkeit trat das Konzept der Mutterhausdiakonie.

Heimbewohner in Bruckberg (Diakonie Neuendettelsau) beim Ausüben des Schusterhandwerks. (Repro A. Mayer, Original im Archiv Diakonie Neuendettelsau).

Obwohl nicht einmal zehn Prozent des notwendigen Kapitals vorhanden waren, beschloss Löhe den Bau eines Mutterhauses, die Diakonissenanstalt war zunächst auf engstem Raum in einem Gasthaus untergebracht. Wiederholt gingen Löhe in den ersten Jahren - wie er später selbst schrieb - aus finanziellen Gründen „die Wasser der Sorge bis an den Hals“. Am 15. Oktober 1854 wurde das Diakonissen-Mutterhaus eingeweiht. Noch vor diesem Zeitpunkt war Löhe durch den Vater eines geistig behinderten Kindes auf die Lage behinderter Menschen aufmerksam geworden, das Kind wurde am 1. Mai 1854 in die vorläufige Bleibe des neuen Vereins aufgenommen, dem heute noch existierenden Gasthaus „Zur Sonne“. Löhe selbst sprach von einem Zufall, später von einer Fügung Gottes, die die Hinwendung zur Fürsorge für geistig behinderte Menschen bestimmte. So war schon bei der wenige Tage später stattfindenden Eröffnungsfeier der Muttergesellschaft (9. Mai 1854) die Behindertenarbeit des Werkes gegenwärtig.

Ohne besondere Kenntnisse des Aufgabengebietes machte Wilhelm Löhe die Behindertenarbeit zum wesentlichen Tätigkeitsfeld seiner Diakonissenanstalt. Dabei war diese Richtungsentscheidung mit großen Risiken behaftet, da Anstalten für behinderte Menschen zu jener Zeit in Deutschland noch keine bewährten Einrichtungen waren. Obwohl eine dezentrale Tätigkeit der in Neuendettelsau ausgebildeten Diakonissen vorgesehen war, konzentrierte sich der Wirkungskreis vor allem auf Neuendettelsau, der Boden für die Entwicklung einer Großanstalt für geistig behinderte Menschen war bereitet. Der Schritt zur Mutterhausdiakonie war bei allen sich hieraus entwickelnden Verbesserungen für deren Schicksal in gewisser Weise auch ein Schritt zur Desintegration: Indem die Diakonie nicht mehr identisch mit den Ortsgemeinden war, kam es zu der trennenden Zuordnung der behinderten Menschen zur Diakonie und der nichtbehinderten zur Ortsgemeinde. Löhes Konzept beinhaltete ursprünglich eine Hilfe für Bedürftige in der jeweiligen Gemeinde durch in Neuendettelsau ausgebildete Diakonissen („Hilfe aus der Gemeinde für die Gemeinde“). Aus pragmatischen Gründen, die anscheinend vor allem im Bedürfnis der Diakonissen nach einer gemeinsamen Heimstatt lag, verlief der Weg jedoch in Richtung Anstalt. Neuendettelsau gehörte zu den frühesten Gründungen im Bereich der Behindertenarbeit. Staatliche Initiativen gab es kaum, sie verringerten sich nach den kirchlichen Gründungen weiter. Im protestantischen Bayern gab es zu jener Zeit keinerlei entsprechende Initiativen, deswegen stieß Löhe in eine ungeahnte „Bedarfslücke“. Löhe zog die Konsequenz, diesen Dienst zu einer vordringlichen Aufgabe für die Diakonie zu machen. Im Oktober 1854 hatte man schon sieben Pfleglinge zu versorgen. 1855 wurden zwei Bauernhäuser in der Nähe der Dorfkirche gekauft und für behinderte Menschen eingerichtet, am 14. November 1855 zog die „Anstalt für Blöde und Schwachsinnige“ dort ein, die Zahl der Pfleglinge war auf 17 angewachsen. Die Anstalt stieß zunehmend auf das Problem der Finanzierung, die meisten Pfleglinge kamen aus armen Verhältnissen und konnten die Pf legekosten nicht beibringen, nur der selbstlose Einsatz der Diakonissen hielt die Einrichtung am Leben.

Werkstätte für behinderte Menschen in Bruckberg (Neuendettelsauer Diakonie) um 1925. (Repro A. Mayer, Original im Archiv Diakonie Neuendettelsau).

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