Vorwort
Wenn man für jeden Tag die Texte der vollständig vorhandenen Zeitungsausgaben der
„Nordbayerischen Zeitung“ (NZ) für das Jahr 1934 verfolgt, so fallen dem Leser vom
Geburtsjahrgang 1947 folgende Tatsachen und Begebenheiten auf:
Das Privatleben der Bürger hatte sich seit der Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933
kontinuierlich verringert – die persönliche Freizeit stagnierte regelrecht. Immer neue Appelle
mit Teilnahmepflicht, Märschen und Vorträgen engten das Leben außerhalb der Arbeit ein,
wobei die täglichen Arbeitszeiten im Vergleich zu heute länger waren und an Samstagen
stets bis zum Mittag gearbeitet wurde. (Die Geschäfte des Einzelhandels hatten an
Samstagen sogar noch länger geöffnet.) Die Gastwirte klagten über rückläufige Umsätze
durch ständig neue politische Veranstaltungen. Zentrale „Thingstätte“ in Fürth war der
Dreikönigsplatz (heute nur als Königsplatz bezeichnet) beim Rathaus. Demonstriert wurde
1934 zum „15. Jahrestag des Diktats von Versailles“ genauso wie „gegen Nörgler und
Miesmacher“. Meist marschierte man aus verschiedenen Richtungen kommend an und traf
sich dann zur „zentralen Kundgebung“ am Dreikönigsplatz. Ohne Musikkapellen, die stets
schneidige Märsche spielten, ging gar nichts.
Sich dem Geschehen zu entziehen, war fast nicht möglich. Ein lückenloses System nahm
(von oben nach unten) Einfluss auf die Privatsphäre: Ortsgruppenleiter, Zellenwart,
Blockwart und Hauswalter. Darüber hinaus wurde im Hinblick auf die „Opferbereitschaft der
Volksgemeinschaft“ gesammelt, was das Zeug hielt: So gab es 1934 Straßensammlungen
(in der Reihenfolge): „Winterhilfswerk“, „Innere Mission“, „Deutsche Jugend-Heimstätten“,
“Rotes Kreuz“, “Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ und den „Tag der nationalen Solidarität“.
Von Oktober bis März hatte man zudem den durch den monatlichen „Eintopfsonntag“
ersparten Betrag an das Winterhilfswerk abzuführen. Damit aber nicht genug: Seine
solidarische Gesinnung trug man auch für jedermann sichtbar am Revers. 1934 gab es
folgende Abzeichen bzw. Plaketten (in der Abfolge des Jahres) „zwangsfreiwillig“ zu kaufen:
„Winterhilfswerk“, „Hesselberg“, NS-Frauenschaft Gau Franken“, „Danzig-Abzeichen“, „“NSVolkswohlfahrt“, „Saar-Abstimmung“, „Saar-Plakette“ und „Erntedank Bückeberg“.
Schwielen an den Händen bekamen die Fürther 1934, wenn es über die lokale Presse hieß:
„Fahnen heraus!“ Dies geschah in Fürth an den öffentlichen und privaten Gebäuden zu den
Ereignissen „Machtübernahme 1933“ (30.01.), „Volkstrauertag“ (25.02.), „Erinnerung an die
Machtübernahme in Fürth“ (09.03.), „Hitlers Geburtstag“ (20.04.), „HJ-Banntreffen“ (28.04.),
„Tag der Arbeit“ (01.05.), „Reichsflugwerbewoche“ (02.-08.06), „Tag des Deutschen Liedes“
(08.07.), „Kriegsbeginn vor 20 Jahren“ (02.08.), „Volksabstimmung“ (19.08.),
„Saarkundgebung“ (26.08.), „Reichsparteitage“ (05.-10.10.), „Erntedank Bückeberg“ (30.09.),
„Tag des Handwerks“ (in Verbindung mit der Ehrenbürgerschaft an Albert Forster) (28.10.)
und „Helden-Gedenktag“ (09.11.). Wer konnte sich dem schon entziehen?
Die „Deutschtümelei“ nahm an allen Ecken und Enden zu. In der NZ wünschte man den
Lesern eine „deutsche Weihnacht“, bei Ganghofer glänzte die „deutsche Sonne“ und der
Bamberger Reiter (das steinerne Testament des Nationalsozialismus!) verkörperte – neu
interpretiert – das Wunschbild des (germanisch arischen) nordischen Helden mit der Krone.
„Deutsch sein heißt Held sein!“ Politiker und Schlachtenlenker wie Friedrich der Große,
Bismarck, Moltke, aber auch Künstler wie Friedrich Schiller, Ludwig van Beethoven oder
Richard Wagner standen dabei in der ersten Reihe. Selbstverständlich war Martin Luther ein
absoluter Vorkämpfer des Nationalsozialismus – und nichts anderes! Interessant, wie häufig
Goethes Werk „Hermann und Dorothea“ an den Gymnasien zur Aufführung kam. Der
aufrechte „deutsche“ Mann und die tugendhafte „deutsche“ Frau verkörperten darin den
neuen Zeitgeist. 40 Liter Milch musste man trinken, um von der Bayerischen
Milchversorgung Nürnberg gegen Zusendung der Karton-Verschlusskappen zwei
Bildatlanten zugeschickt zu bekommen, die „Germanen“ und „keusche Ritterfrauen“ zeigten.
Der neue Direktor der Oberrealschule Fürth (heute Hardenberg-Gymnasium) sprach in
seiner kurzen Einführungsrede an die Schüler von „Disziplin, Pflichterfüllung und
Vaterlandsliebe“. Artikel in der Presse trieften nur so vor völkischen Formulierungen wie
„deutsche Gründlichkeit“, „deutscher Fleiß“ und „deutsche Treue“. Jeder bessere Sportverein
hielt „Dietabende“ ab, bei denen ein spezieller „Dietwart“ den Mitgliedern die „deutschen
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