Hauptgegner der nationalsozialistischen Rassenideologie war „der böse Jude“, gegen den
die Politik, aber auch die Reichskirche hetzten. Schließlich galt der Arier als die reinste Form
unter den Völkern, die arische Rasse sei deshalb in Zukunft zur alleinigen Herrschaft in der
Welt bestimmt. Demgegenüber präsentierte man als Gegenstück die „Semiten“ als körperlich
und geistig degenerierte Rasse mit schlechten Charaktereigenschaften. Nahm man 1933
überwiegend noch die jüdische Geschäftswelt durch Boykottmaßnahmen ins Fadenkreuz der
Benachteiligungen, so mehrten sich 1934 die Behinderungen auf allen Ebenen der
Privatsphäre. „Anheizer“ dazu war seit vielen Jahren Frankenführer und Gauleiter Julius
Streicher als Herausgeber der Hetzzeitschrift „Der Stürmer“. (z.B. ergab der gemalte
„Sechser“ in der Schule die typische Judennase.) So warb der „Schuh's Keller nahe der Alten
Veste am 27. Oktober in einer Anzeige in der NZ um den Besuch seiner Räumlichkeiten
erstmals mit dem Vermerk: „Juden nicht erwünscht!“ und der Gau-Studentenführer meldete
im Dezember dem Frankenführer Julius Streicher in einem Telegramm stolz: „HindenburgHochschule Nürnberg als eine der ersten deutschen Hochschulen judenfrei!“
SA-Chef Ernst Röhm, der seine Homosexualität offen lebte, passte nicht in dieses Bild des
hochgebildeten Ariers. Als ein angeblich „völlig haltloser Mensch“ wurde er am 30.06
verhaftet und wegen einer vermeintlich geplanten Revolte gegen Hitler mit einigen
Komplizen noch am selben Tag ohne Prozess erschossen. Danach blies man in ganz
Deutschland zur Jagd auf Homosexuelle. Seit diesem Ereignis blieben Homosexuelle unter
der Ägide der Nazis auf das Äußerste geächtet und mussten in den Untergrund abtauchen.
Nach dem „Röhm-Putsch“ tobte Frankenführer und Gauleiter Streicher vor politischen Leitern
in Nürnberg und sprach von „ungetreuen Eckeharten“ und „gereiften Eiterbeulen“ im Staat,
die es galt auszurotten. Der überwiegende Teil der Bürgerschaft hatte Verständnis für diese
Maßnahmen und lobte das schnelle Eingreifen der Staatsorgane!
Mit dem Tod des greisen Reichspräsidenten Hindenburg Anfang August übertrugen die
Nazis per Gesetz dessen reichhaltige Befugnisse auf Reichskanzler Hitler. Am 19. August
sollte die deutsche Bevölkerung in einer Volksabstimmung dieser neuen Machtfülle für Hitler
nachträglich zustimmen. Wie nicht anders zu erwarten war, stimmte das Volk zu 89,9% mit
„Ja“, 10,1% votierten mutig mit „Nein“. Die Wahlbeteiligung betrug 95,7%. Bei dieser
Volksabstimmung hatte der Gau Franken die besten Ergebnisse für Hitler. (In Cadolzburg
gab es z.B. ganze zwei Nein-Stimmen, eine Stimme war ungültig, aber 1377
Wahlberechtigte stimmten mit „Ja“.) Frankenführer und Gauleiter Streicher sonnte sich mit
diesen Ergebnissen im Dunstkreis Hitlers.
Die in Nürnberg zum vierten Male stattfindenden Reichsparteitage 1934 standen unter dem
Motto „Vom Staat zum einigen Volk“. Für die Zeit vom 5. bis 10. September reisten rund
500.000 Nationalsozialisten aus allen Teilen Deutschlands an. Die Stadt Fürth mit damals
etwa 80.000 Einwohnern hatte rund 70.000 (!) Gäste einzuquartieren (nach 26.000 im
Vorjahr). Eine logistische Herausforderung! Wegen dieser Mammutveranstaltung wurden die
Sommerferien für die Nürnberg/Fürther Schüler bis zum 16. September verlängert.
Fürther Besonderheiten: Nach Göring (1933) erhielten im Jahresverlauf 1934 Frankenführer
Julius Streicher und Gauleiter Albert Forster die „Ehrenbürgerschaft“ der Stadt Fürth. Der
Fürther Stadtrat schaffte die bisher durchaus üblichen Beerdigungen an Sonn- und
Feiertagen ab. Per Gesetz verschwand die „Butterfrau“ aus dem Stadtbild, die seit
unzähligen Jahren Milch und -produkte zuverlässig (auch am Wochenende) von Haus zu
Haus gehend an der Wohnungstüre verkaufte. (Aus hygienischen Gründen durften Milch und
-produkte nur noch in festen Verkaufsstellen verkauft werden.) Erstmals gab es in Fürth nach
vielen Jahren wieder einen Faschingszug und am Rosenmontag sogar einen Bühnenball im
Parkhotel.
Aber noch immer tauschten in Fürth „Laternenputzer“ die defekten Glühstrümpfe per
Holzleiter an den Gaslaternen aus und an den Fürther Gymnasien trug man weiterhin
„Schülermützen“ (3,50 RM aus Tuch, 4,50 RM aus Samt). Mitte März feierte der „Poculator“
im legendären Geismannsaal seinen 50. Geburtstag, im April fuhren die Fürther mit der
„Moggel“ wie ehedem nach Cadolzburg in die „Blöih“ (zur Kirschblüte) und ab Mai tuckerten
die Motorboote auf dem alten Ludwigskanal wie jedes Jahr zur Gaststätte Weigel nach
Kronach. Im Fürther Flussbad war das „Tragen von Dreiecksbadehosen“ wie schon seit
Seite:Kuntermann 1934.pdf/3
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