Sind studentische Verbindungen
noch zeitgemäß?
Fast die ganze Zeit ihres Bestehens hindurch wurden die studentischen
Corporationen und Verbindungen angefeindet. Zuerst wurde ihnen ihre
Bestrebungen zur Einheit Deutschlands, später, in der Weimarer Republik,
ihre teilweise reaktionäre Einstellung, heute wohl vor allem die angeblich
überholten und veralteten Ideale und Ziele vorgeworfen. Die folgende
Darstellung nun soll in keiner Weise eine Werbung sein, sondern sie
soll lediglich die meist falsche Meinung über Corporationen richtigstellen
und damit eine vorurteilslose Beurteilung ermöglichen.
Zunächst muß festgestellt werden, daß es unter den Verbindungen, wie
überall, nicht nur solche gibt, denen es gelungen ist, sich dem Zeitgeist
anzupassen, sondern auch solche, die wirklich nichts anderes darstellen,
als einen Zusammenschluß von trinkfreudigen Studenten unter dem
Deckmantel eines großartigen Comments. Da diese in der Öffentlichkeit
unangenehm auffallen und somit die Augen aller auf sich ziehen, bringen
sie auch die anderen Verbindungen in schlechten Ruf. Von ihnen soll
hier aber nicht die Rede sein.
Ein Hauptargument der Gegner des Verbindungswesens ist die konser
vative Einstellung insbesondere der schlagenden Verbindungen. Dieser
Vorwurf hat insoweit Berechtigung, als die Altherrenschaft, die wie alle
älteren Menschen mehr oder weniger traditionsgebunden ist, einen, wenn
auch nicht allzu großen Einfluß auf die Aktiven ausübt. Aber sehen wir
uns doch einmal an, ob die Verbindungen wirklich so konservativ ein
gestellt sind. Als Träger des Nationalismus haben sie sich vor dem
Zusammenschluß des zweiten deutschen Reiches einen Namen gemacht.
Wenn sich jemand mit offenen Augen unter den Aktiven umschaut,
wird er erkennen können, daß dort von Nationalismus wenig die Rede
ist. Dieser ist, von einigen Ausnahmen natürlich abgesehen, dem National
gefühl gewichen. Das aber ist genau das, was der Bundeskanzler vor
noch nicht langer Zeit besonders von der Jugend gefordert hat. Und
wenn die Bundesregierung den Corporationen sogar Geldmittel für inter
nationale Begegnungen zur Verfügung stellt, so ist dies ein Beweis dafür,
daß jene wirklich das Gesetz der Zeit erkannt haben und danach handeln.
Auch in sozialer Hinsicht leisten die Verbindungen einen schönen Beitrag
zur allgemeinen Arbeit. In den Corporationshäusern stehen den Studen
ten Zimmer und Verpflegung unentgeltlich zur Verfügung, Stiftungen
der Altherrenschaft helfen weniger begüterten Aktiven bei der Finan
zierung ihres Studiums. Überhaupt lassen sich, in besonderem Maße seit
dem zweiten Weltkrieg, Studierende aus allen Bevölkerungsschichten,
auch Ostzonenflüchtlinge, aufnehmen. Es hängt also durchaus nicht vom
Geldbeutel des Betreffenden ab, ob er „aktiv“ werden kann oder nicht.
Freilich gibt es auch einige Verbindungen, die nur Gleichgesinnte und
Gleichgestellte aufnehmen, wie das Adelscorps der Bonner Saxo-Borussia.
Mit diesen Ausführungen ist auch im Wesentlichen der Verwurf, die
Verbindungen seien eine Kaste, zurückgewiesen. Daß ein ehemaliger
Verbindungsstudent einen Menschen, der in derselben Corporation war,
also die gleichen Ideale, die gleichen Freuden und Sorgen, die gleiche
Erziehung und dieselben Freunde hatte, natürlich mehr Vertrauen ent
gegenbringt als einem fremden Menschen, ist ganz selbstverständlich.
Das braucht deshalb noch lange nicht „Kastengeist“ zu sein.
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