Das deutsche Gesetz mit der Nummer 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus wurde auf einer Sondersitzung der Ministerpräsidenten der Länder der US-Zone am 5. März 1946 im Münchner Rathaus unterzeichnet. Es bestimmte die Registrierung aller ehemaligen Mitglieder der NSDAP und deren Nebengliederungen mit Hilfe von Meldebögen. Bereits im Oktober 1945 hatte die US-Militärregierung für die US besetzte Zone das Gesetz No. 8 erlassen, in der allen ehem. NSDAP-Mitgliedern die berufliche Betätigung verboten bzw. die Beschäftigung von ehem. NS-Mitgliedern untersagt wurde.

Lokale Bekanntmachung des Entnazifizierungsgesetzes vom 5. März 1946


Dabei wurden die registrierten Mitglieder bzw. betroffenen Personen in fünf Gruppen eingeteilt:

  • I. Hauptschuldige
  • II. Belastete
  • III. Minderbelastete
  • IV. Mitläufer
  • V. Entlastete.

Das Gesetz listete genau auf, welche Ränge in welchen Gliederungen und Organisationen welcher Kategorie zuzuordnen und welche Sühnemaßnahmen zu verhängen waren. Für die Gruppen I bis III kamen Einweisung in Arbeitslager, Einziehung des Vermögens, Pensionsverlust, Gehaltskürzungen, Arbeitsbeschränkungen und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte in Frage, für die Mitläufer Geldbußen. Die Fälle der Belasteten der Gruppen I und II wurden in der Regel mündlich und öffentlich, die der Gruppen III bis V meist schriftlich verhandelt.[1]

Die in den Städten gebildeten Spruchkammern bestanden aus einem Vorsitzenden und mindestens zwei Beisitzern. Zusätzlich wurde bei jeder Spruchkammer ein Kläger bestellt. Die Spruchkammern waren stets sog. Laienbürokratien mit schöffengerichtlicher Verfassung. In erster Linie wurden die Spruchkammern von inzwischen zugelassenen Parteien in den Städten besetzt, meist nach dem parteipolitischen Proporz, wobei die KPD und SPD in Fürth überdurchschnittlich stark vertreten waren. Die Vorstellung des Gesetzes, wonach die Vorsitzenden die Befähigung zum Richteramt haben sollten, ließ sich jedoch mangels entsprechend unbelasteten Personals nirgends realisieren. Noch Mitte September 1946 waren von den Vorsitzenden und Klägern der ersten Instanz nur 5 % Juristen. Das Fehlen der Juristen führte in der Folge scheinbar immer wieder zu dem Phänomen, dass die Laienrichter gelegentlich ihr Amt missbrauchten bzw. korrupte Handlungen vornahmen. Zusätzlich kam es im Rahmen der Abwicklung des Entnazifizierungsverfahrens häufig zu Verzögerungen, da die Militärregierung der Aufgabe der Überprüfung der Arbeit der Spruchkammern vielfach qualitativ wie quantitativ nicht gewachsen war.[2]

Meldebogen

 
Beispiel eines Meldebogens, Aug. 1945

Gemäß dem Gesetz vom 5. März 1946 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus musste jeder Deutsche, der am 4. März 1945 das 18. Lebensjahr vollendet hatte, einen Meldebogen ausfüllen. Anschließend war es Aufgabe der Spruchkammern in einer ersten Sichtung der Meldebögen eine Einstufung der Personen nach den fünf oben benannten Einstufungen vorzunehmen. Erst nach der Sichtung der Bögen begann die eigentliche Arbeit der Kammer, z. B. durch Ermittlungen im Umfeld der Personen bzw. der Vernehmung von Zeugen.

Der Bogen, der "14 Fragen ans Gewissen" stellte, wurde bereits Ende April 1946 ausgegeben. Die Rückgabe der Bögen sollte bis 8. Mai 1946 erfolgt sein. Abgabestelle war die Polizeiwache im Rathaus bzw. die Polizeiwache in der Kirchenstraße. Der Bogen stellte im Wesentlichen, neben den biografischen Daten, Fragen zur Zugehörigkeit zur NSDAP und zu deren Verbänden und Organen. Da über 100.000 Bögen für den Bereich Fürth Stadt und Land abgegeben worden waren, stießen die Kammern schnell an ihre Kapazitätsgrenzen in der Analyse der Bögen.[3]

Spruchkammern in Fürth

Der komm. Oberbürgermeister Johann Schmidt hatte dem Sonderbeauftragten des Ministeriums in München erst Ende März 1946 die Vorschläge für eine vollständige Spruchkammer übermittelt. Den Vorsitz der ersten Spruchkammer in Fürth sollte der ehem. Amtsgerichtsdirektor und CSU-Vorsitzende Karl Drechsel inne haben, der als Jurist in Fürth großes Ansehen genoss. Nach der Genehmigung der Besetzung konnte die Spruchkammer Anfang Mai 1946 ihre Arbeit beginnen, allerdings hatte sie noch das Problem des Raummangels, da die Amtsgebäude aber auch Unterkünfte in Fürth durch das Personal der Nürnberger Gerichte größtenteils belegt waren.

Nach der Spruchkammer I in Fürth konstituierte sich im Juni 1946 die Spruchkammer Fürth-Land. Im November 1946 wurde auf Grund des Arbeitsanfalls die Spruchkammer II Fürth-Stadt gegründet unter der Leitung des Sozialdemokraten Paul Zöllner.

Verfahren in erster Instanz

In der ersten Instanz waren meist juristische Laien im Einsatz, die vom Verdacht der Nähe zum ehem. NS-Regime erhaben waren. Der Vorsitzende und die Beisitzer wurden in der Regel auf Vorschlag der politischen Parteien besetzt - die meist auch gleichmäßig in den Spruchkammern vertreten sein wollten. So waren in vielen Spruchkammern viele ehem. KPD- sowie SPD-Mitglieder tätig. Eine Vielzahl der Verfahren in der ersten Instanz - schon alleine auf Grund der Vielzahl von Meldebögen - wurden rein auf dem "Papierweg" entschieden. Nur eine kleine Anzahl von Verfahren wurden tatsächlich mit den Angeklagten mündlich verhandelt. Die meisten Verfahren in der ersten Instanz waren trotz der Vielzahl von Fällen gegen 1947 abgeschlossen.

Gegen die Entscheidung der ersten Instanz konnten die Angeklagten Einspruch erheben.[5]

Verfahren in zweiter Instanz

Im Gegensatz zur ersten Instanz musste in der zweiten Instanz der Vorsitzende ein Volljurist sein. Die zweite Instanz fand fast immer mündlich statt, allerdings hatte sich der sog. "Zeitgeist" bis zur Einsetzung der zweiten Instanz innerhalb der Bevölkerung schon meist dahingehend geändert, dass man "nur noch" die "großen Nazis" verfolgen wollte - während man bei den sog. "Mitläufern" Gnade vor Recht ergehen lassen wollte. Wurden am Anfang der Spruchkammern noch harte Sühnemaßnahmen ausgesprochen, so reduzierte sich das Strafmaß von Jahr zu Jahr - länger die Verfahren dauerten. Ab 1948 wurden die meisten Revisionsverfahren im Straßfmaß deutlich abgemildert - im Vergleich zur ersten Verurteilung aus der ersten Instanz. Der Historiker Lutz Niethammer sprach in einer viel beachteten Publikation Anfang der 1980er Jahre davon, dass die oft unkritischen Urteil der zweiten Instanz sog. "Mitläuferfabriken" gewesen sein. Die Gesellschaft wollte das Thema Nationalsozialismus in den beginnenden Wirtschaftswunderjahren hinter sich wissen - demzufolge wurden die meisten als Aktivisten oder Mitläufer eingestuft.

Auch in Fürth wurden in den Revisionsverfahren die sog. Hauptbelasteten in ihrem Strafmaß herabgesetzt. So wurde der NSDAP-Kreisleiter Karl Volkert nicht mehr als Hauptbelasteter vor Gericht gesehen, vielmehr wurde seine Strafe abgesenkt und er wurde lediglich als "Belasteter" im Strafmaß eingestuft. Selbst der ehem. Oberbürgermeister Franz Jakob wurde nach einem Revisionsverfahren - trotz seiner bekannten Verfehlungen - nur noch als "Belasteter" eingestuft.

Ergebnis der Spruchkammerverfahren in Fürth

Insgesamt wurden im Rahmen der sog. Entnazifizierung die Bögen von 113.409 Personen aus dem Bereich der Stadt und dem Landkreis Fürth überprüft und ausgewertet. 89.005 Personen erhielten die "heiß begehrte" weiße Karte der Nichtbetroffenen, während 24.404 Personen laut Entscheidung der drei Kammern zunächst "entnazifiziert" werden mussten. Allerdings wurden knapp 60 % (=14.547 Personen) davon auf Grund verschiedener Amnestien nach einer ersten Überprüfung bzgl. einer Klageerhebung freigesprochen. In diese 60 % fielen u. a. 1.885 Jugendliche unter 18 Jahren, 10.994 Person erhielten die sog. Weihnachtsamnestie, die bereits 1946 angekündigt wurde und am 4. Februar 1947 in Kraft trat. Hierunter fielen vor allem körperbehinderte und einkommensschwache Personen, die vom Kläger nicht in die Gruppen I–III eingestuft waren. Weitere 1.666 wurden ebenfalls amnestiert, da es noch weitere Minderungsgründe gab sowie zwei Angeklagte, die eine sog. Heimkehreramnestie bekamen. Demzufolge wurden in Fürth tatsächlich nur 9.271 Verfahren im Rahmen der Verfolgung in den Kammern eröffnet; das entsprach gerade einmal 8,2 % der zu beurteilenden Personen anhand der Gesetzgebung zur Entnazifizierung der US-Zone in Bayern. Die geringe Zahl der verurteilten Nationalsozialsten führte in der örtlichen Presse zur überraschenden Erkenntnis: in Fürth gab es wohl offensichtlich kaum Nationalsozialisten während der NS-Zeit.

Anhand der gesetzlich geregelten Klassifizierung ergab sich nach den ersten Spruchkammerverfahren folgende Verteilung auf die fünf Belastungsgruppen:

  • Hauptschuldige (Stufe I): 4 Personen
  • Belastete (Stufe II): 56 Personen
  • Minderbelastete (Stufe III): 663 Personen
  • Mitläufer (Stufe IV): 3.582 Personen
  • Entlastete (Stufe V): 275 Personen[6]

Obwohl in Fürth überdurchschnittlich viele Vertreter kommunistischer und sozialistischer Parteien (KPD/SPD) in den Schiedsgerichten vertreten waren, wurden lediglich 60 Personen als Hauptschuldige bzw. Belastete in erster Instanz verurteilt. Darunter zählten Personen wie der ehem. Oberbürgermeister Franz Jakob und der NSDAP-Kreisleiter Karl Volkert sowie der u. a. für die Arisierungen in der Stadt zuständige Hans Sandreuter.

Literatur

  • Erich Schulze: Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus - mit den Ausführungsvorschriften und Formularen. Biederstein Verlag München, März 1946
  • Lutz Niethammer: Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns. Unveränderte Neuauflage. Dietz, Bonn u. a. 1982, ISBN 3-8012-0082-5
  • Hans Woller: Gesellschaft und Politik in der amerikanischen Besatzungszone. Die Region Ansbach und Fürth. Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Institut für Zeitgeschichte, Band 25, R. Oldenbourg Verlag, München 1986, ISBN 3-486-53841-1
  • Hrsg. Clemens Vollnhals: Entnazifizierung - Politische Säuberung und Rehabiliation in den vier Besatzungszonen 1945 - 1949. dtv Dokumente GmbH & Co KG München, 1991, ISBN 3-783423-029629
  • Maren Janetzko: Die Arisierung Mittelständischer Jüdischer Unternehmen in Bayern 1933 - 1939, Ein interregionaler Vergleich, Selbstverlag des historischen Vereins in Mittelfranken, Ansbach 2012
  • Ulrich Schuh: Die Entnazifizierung in Mittelfranken. Vorhaben, Umsetzung und Bilanz des Spruchkammerverfahrens in einer vielfältigen Region. Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landgeschichte Band 72, Neustadt/Aisch 2013, ISBN 978-387707-867-9
  • Manfred Görtenmaker, Christoph Safferling: Die Akte Rosenburg - Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit. C. H. Beck Verlag München, 2016, ISBN 978-3-406-69768-5

Lokalberichterstattung

  • bey: Neue Einblicke in die Nürnberger Nachkriegsgeschichte. In: Fürther Nachrichten vom 21. August 2013, Druckausgabe

Siehe auch

 
15. Mai 2017:
Dies ist der 8000. Artikel des FürthWiki!


Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gesetz vom 5. März 1946 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus, Biederstein Verlag München, 1947
  2. Ulrich Schuh: Die Entnazifizierung in Mittelfranken. Vorhaben, Umsetzung und Bilanz des Spruchkammerverfahrens in einer vielfältigen Region. Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landgeschichte Band 72, Neustadt/Aisch 2013,
  3. Gesetz vom 5. März 1946 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus, Biederstein Verlag München, 1947
  4. Ulrich Schuh: Die Entnazifizierung in Mittelfranken. Vorhaben, Umsetzung und Bilanz des Spruchkammerverfahrens in einer vielfältigen Region. Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landgeschichte Band 72, Neustadt/Aisch 2013, 68 ff.
  5. Ulrich Schuh: Die Entnazifizierung in Mittelfranken. Vorhaben, Umsetzung und Bilanz des Spruchkammerverfahrens in einer vielfältigen Region. Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landgeschichte Band 72, Neustadt/Aisch 2013, 16 ff.
  6. Ulrich Schuh: Die Entnazifizierung in Mittelfranken. Vorhaben, Umsetzung und Bilanz des Spruchkammerverfahrens in einer vielfältigen Region. Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landgeschichte Band 72, Neustadt/Aisch 2013, S. 74

Bilder