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protestiert gegen diese Entwicklung, die Schönheit der Steinmetzarbeiten, die lange Zeit vom Staub überdeckt waren, verschwand nun hinter grün. Die vielen Gemüseläden gingen pleite, fast jeder war zum Selbstversorger geworden. Eigentlich war für mich eine wunderbare Zeit angebrochen, ich nippte hier, ich nippte dort und wenn ich satt war, flog ich fort. Aber sauertöpfich schauten die Fürther dennoch, trotz aller Verbesserung des Stadtklimas. Gleichzeitig mit mir und sukzessive sich vermehrend hatte eine Vielzahl von Lebewesen die Stadt bevölkert, nicht nur derartig ästhetische Tierchen, wie ich eines geworden war, ganz ohne mein Zutun, nein, gänzlich unangenehme Kerbtiere wie Wespen, Hornissen, Spinnentiere, ach ich kann sie gar nicht aufzählen, die heiß ersehnte Biodiversität hatte nun Einzug gehalten in der Stadt. Schnakenzerstochene, aufgequollene Gesichter überall. Das Volk jammerte und ich, mit meinem kleinen Schmetterlingshirn, mit meinem rudimentären Erinnerungsvermögen an meine menschliche Vorvergangenheit, ich jammerte mit. Das Schmerzzentrum hatte sich über alle Existenzformen mit gerettet. Es gab und gibt keine Schmerztherapie für Schmetterlinge. Ich litt mit, ich musste mitleiden. Chronist der Lüfte war ich, geflügelter FürthWikipedia Mitarbeiter. Fürth war grün, gewiss, der OB aber blieb Jung, blieb rot. Ein rotes Radieschen mit grünem Fruchtfleisch war so der Stadtrat geworden. Bewährte Firmenzeichen soll man nicht ändern. Aber es hatte sich viel geändert in der Stadt. Was war noch zu tun, um Klimaneutralität zu erreichen? Einem findigen Mitarbeiter des Stadtplanungsamtes fiel noch etwas ein. War nicht die Bestattungskultur, aus Umweltgründen und aus sozialen Gründen schon immer ein Ärgernis gewesen? Finanziell gesehen hatte so eine Beerdigung schon immer den Haushaltsetat einer Durchschnittsfamilie erheblich belastet. Man wollte sich nicht lumpen lassen, die Grabstätte sollte „was gleich sehen“, damit die Nachbarn nichts zu lästern haben – und das ging ins Geld. Gleichzeitig verseuchten die Leiber der lieben Verstorbenen das Grundwasser, die vielen Prothesen und künstlichen Gelenke lösten sich nicht auf. Doch auch Feuerbestattung erwies sich als kontraproduktiv wegen des hohen Energieverbrauchs. Besagter städtischer Beamte hatte auf seinen häufigen Reisen nach Indien – den Aschram brauchte er, wenigstens alle zwei Jahre gegen den Bürostress – auf seinen Selbstfindungsreisen hatte er also unter anderem auch die Kultur der Parsen kennengelernt. Die bestatteten ihre Toten nackt

auf hohen Türmen, vorher konnte man sich Lieder singend und tanzend von den Lieben verabschieden und dann – dann sorgten die Geier für ein hygienisch einwandfreies Hinübergleiten in eine andere Welt. Dieser progressive Beamte glaubte, unser schöner Rathausturm sei der geeignete Ort im Herzen der Stadt, nichts würde verdrängt und Bartgeier ließen sich dank der gestiegenen Temperaturen auch hier ansiedeln. Ob nun Störche auf den Schloten horsteten oder Geier – was ändert das? Eine absolut saubere Bestattungsform, meinte man, umweltfreundlich, auch glaubte man, keinerlei oder nur wenige Pietätsgefühle zu verletzen, da ja eh immer mehr stressgeplagte Stadtbürger ihre Toten dem Seewind überließen. Aber Knochen vor dem Rathaus und noch dazu Straßenköter, die sich darum balgten? Nein, wie geschmacklos! Also zog man den Solarberg in Betracht, ein schmuckes Türmchen obendrauf, ein Twin Tower zur Alten Feste. Die Bürger würden sich an die fremdartigen Vögel gewöhnen, so wie sie sich an alles gewöhnt hatten, an Klimaveränderungen, Maskenpflicht, neuartige Begrüßungsrituale wie sanftes Ellenbogenrempeln. Jugendlich sind sie geworden, alle diese Fußläufigen. Wenn ich über der Stadt schwebe mit meinem Trauermäntelchen, dann glaube ich in einen riesigen Versuchsballon zu blicken, alle sitzen wie Frösche darin und quakend über Erderwärmung und Umweltfragen ist doch die Hoffnung geblieben, dass der Siedepunkt erst viele Generationen später erreicht sein wird. „Machen wir nicht viel?“, fragen alle. „Ja, wir machen viel“ antwortet der Chor, „Aber vielleicht doch zu wenig? Nein, das juckt nicht, denn wir passen uns an. Großartig ist der Mensch und erfindungsreich, denn wir sehen ja durchaus, wie sich unsere Stadt verändert. Dauernd verändert.“ Ich aber als Wanderer der Lüfte habe vor langer Zeit alle Schwerkraft verloren. Mein Schmetterlingshirn reicht allerdings nicht aus, meine Trauermantelflügel über die Stadt zu breiten. Spätestens wenn die Kärwadüfte aufsteigen, werde ich mich rückwärts wieder ins Mensch-Sein katapultieren. Denn alle Lust will Ewigkeit, will süße, süße Ewigkeit“ mit Krachmandeln und Federweiser und spätestens im Karussell ist dann jeder von uns ein Schmetterling. Kein Trauerfalter. Apollofalter! Fürth forever. FRITZ SCHNETZER

Nr. 57 – 2024

Altstadtverein Fürth

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