Ralf Schürer ALTSTADT UND GASTARBEITER Es gibt Stichworte, die man unwillkürlich mit dem St.-Michaels Viertel in Beziehung bringt. Eines davon lautet mit Sicherheit „die Ausländer". In der Tat ist die Konzentration ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien im Altstadtgebiet eines der augenfälligsten Merkmale dieses Viertels und gleichzeitig eine der Tatsachen, die den einheimischen Anwohnern am schwersten im Magen liegen. Diesen Eindruck kann man leicht in Unterhaltungen und Diskussionen mit der Bevölkerung gewinnen. Die Klagen, die vorgebracht werden, reichen von erhöhter Lärmbelästigung über Aggressivität vor allem der ausländischen Jugendlichen bis hin zum Gefühl der all gemeinen Bedrohung des gewohnten Lebensbereichs. Dazu mischen sich dann allerdings noch altbekannte Vorurteile wie „sowieso unsauber", „die sind doch alle gleich", „Messer stecher" und derlei Liebenswürdigke iten mehr, mit denen man das Verhalten einiger schwarzer Schafe verallgemeinern und so alles über einen Kamm scheren kann, was nicht ge rade blond ist und blaue Augen hat. Diese letztgenannten Unschönheiten sollen jedoch nicht davon ablenken, daß die beginnende Ghettoisierung des Viertels ein Problem ist, das nicht zuletzt uns als Bürgdrvereinigung schwer auf den Nägeln brennt. Unsere Arbeit im Altstadtviertel kann ohne die Mitarbeit oder zumindest das Interesse der Bewohner letztendlich nur fruchtlose Anstrengung sein. Wenn nun aber, vorsichtig ge schätzt. da keine genauen Angaben vorliegen, 50 % der Bewohner aus Gastarbeitern bestehen, deren Interesse an • der Erhaltung bzw. Wiederbelebung von St. Michael, falls überhaupt vorhanden, dann doch nur sehr begrenzt sein kann, so werden wir nicht umhin kommen, auch zu diesem Problem Stellung zu beziehen und es anzupacken. Die Schwierigkeiten, auf die wir hier stoßen, lassen sich mit einigen Worten umreißen. Als erstes zu nennen sind die Verständigungss chwierigkeiten mit den Gastarbeitern, die uns dazu zwingen immer nur mit einigen wenigen Vertretern der Ausländergruppen zu reden, was natürlich zu Mißver ständnissen. Unklarheiten und schließlich zu völlig falschen Vorstellungen auf beiden Seiten führt. Es fällt uns schwer, unsere Beweggründe wie unsere Pläne und Absichten mitzu teilen und verständlich zu machen. Auf der anderen Seite können wir uns, angewiesen auf dürftige Erklärungen einiger weniger Deutsch Sprechender, über die Vorstellungen der Gastarbeiter nur ein unvollständiges oder gar falsches Bild machen. Das zweite Problem ist, wie schon erwähnt, das fehlende Interesse an der Gestaltung und Wiederbelebung des Viertels. Das historische Interesse, das von geschicht lichem Bewußtsein und. wenn man so will. Verbundenheit mit der Heimatstadt getragen wird, kann man sicher nicht erwar ten. Zum anderen kann die in der Regel doch relativ kurze Aufenthaltszeit der ausländischen Arbeitnehmer keine Liebe zur „zweiten Heimat” motivieren, zumal die Ghettosituation und das Verhalten der einheimischen Bevölkerung keinen Zweifel daran auf kommen lassen, daß man bestenfalls ge duldet ist. Dazu kommt, daß der Großteil der Gastarbeiter aus ländlichen Gebieten stammt und sich Begriffe von städtischer Infrastruktur erst erarbeiten muß, was dadurch noch er schwert wird, daß ihm Lebensstandard und Lebensweise völlig fremd sind. Der dritte zu erwähnende Punkt ist die bau liche und infrastrukturelle Verödung des Viertels, die zwar nicht mit dem Einzug der Gastarbeiter begann, aber doch wesentlich beschleunigt wurde. Der Zustrom der Ausländer nach St. Michael fand sein Pendant im Auszug und der er höhten Fluchtbereitscha ft der einheimischen Bevölkerung, nicht nur als unmittelbare Reaktion auf „die Türken", sondern auch und vor allem begründet durch die Flucht vor den unzu reichenden baulichen und hygienischen Verhältnissen. Die Folge war u. a. die allmähliche Schließung vieler Geschäfte bzw. deren Übernahme durch Ausländer entweder zum 8
Zwecke des Wohnens oder um sie in ihrem Sinne weiterzu führen. Diese Verarmung des Geschäftslebens ist nur ein Beispiel für die Verarmung des gesamten Viertels, die noch verstärkt wurde durch die mangelnde Investitionsbere it schaft der Hausbesitzer. (Nicht nur der kleinen, privaten, sondern auch der großen, finanzkräftigen, z. B. der verschie denen Brauereien). Die dann beginnende Diskriminierung von St. Michael als „Ausländervierte l" tat ein Übriges. Was bewog bzw. bewegt nun die Gastarbeiter, nach St. Michael zu ziehen und dort zu bleiben ? Es überstiege den Rahmen und die Möglichkeiten dieses Artikels, eine präzise Untersuchung dieser Frage durchzuführen. Deshalb können nur die augenfälligsten Merkmale angeführt und in Zusam menhang gebracht werden : Eine der weitestverbreite ten Meinungen besagt, daß Gast arbeiter sanierungsbedü rftige Wohnungen bevorzugen, weil diese billig seien und sie „sowieso Geld sparen” wollen. Ich halte es für falsch, diese Behauptung in dieser Pauschalität aufzustellen. Ausgehend davon, daß Gastarbeiter in der Mehrzahl unqualifizierte Arbeitskräfte sind, kommt man zu dem Schluß, daß ihr Einkommen begrenzt ist. Da nun ihre Chancen gleich Null sind im sozialen Wohnungsbau, der am ehesten ihrer Einkommenslage entspricht, eine Wohnung zu bekommen,wird klar, daß die meisten auf Billigbehausungen „Marke Altstadt" zurückgreifen müssen, ob sie nun wollen oder nicht. Daß der Sparwille der Gastarbeiter hierbei eine Rolle spielt, soll nicht bestritten werden, ich möchte mit dieser Rechnung nur zeigen, daß es von der Einkommenslage her nicht allzuviele Alternativen für sic gibt. Die Tatsache, daß in St. Michael schon viele Landsleute wohnen, ist ein weiterer Anreiz: man braucht die Lebens gewohnheiten nicht ganz so radikal umzustellen, die Umge bung ist wenigstens nicht ganz so fremd, man kann die ge wohnten Lebensmittel kaufen usw. Das Gefühl, unter sich zu sein, hebt das Selbstbewußtscin. die Ausländer treten nicht mehr so schüchtern, am Ende auch sehr laut auf. Dies provo ziert natürlich den Unwillen der verbliebenen einheimischen Bevölkerung, was wiederum das engere Zusammenrücke n innerhalb der einzelnen Volksgruppen zur Folge hat. Auch hier liegt eine der Ursachen der Ghettobildung. Nebenbei be merkt, behindert diese Situation jeden Gastarbeiter, der sich integrieren möchte, da er von seinen Landsleuten quasi als Verräter angesehen wird
Türkische Impressionen aus der Fürther Altstadt