Karl Höllenreiner

Karl Höllenreiner (geb. 9. März 1914 in Fürth; gest. 1. September 1984) war Mitglied der Fürther Sinti-Gemeinschaft und Überlebender des Porajmos. Als Häftling im KZ Dachau überlebte er die "medizinischen" Menschenversuche und sagte 1947, gemeinsam mit Ernst Mettbach, im Nürnberger Ärzteprozess gegen den ehemaligen Stabsarzt der NS-Luftwaffe Wilhelm Beiglböck aus.

Leben

Karl Höllenreiner wuchs als Sohn von Johanna und Rudolf Höllenreiner in Fürth auf. Er hatte sieben Geschwister und wohnte mit seiner Familie in der Königstraße. Dort besuchte er die Otto-Schule. Sein Vater Rudolf Höllenreiner war in der Brauerei Humbser an der Schwabacher Straße von Beruf ein sog. Eisbrecher.

Höllenreiner wurde am 29. Mai 1944 in München verhaftet und zunächst, bis August 1944, ins sog. Zigeunerlager Auschwitz deportiert. Ihm wurde die Häftlingsnummer Z 10062 zugeteilt und auf seinem Unterarm eintätowiert. Vom KZ Auschwitz aus wurde er, wie auch 39 Häftlinge aus Buchenwald - darunter Ernst Mettbach -, ins Konzentrationslager Dachau verbracht. Dort hat man an ihnen unter der Leitung der NS-Ärzte Beiglböck und Eppinger sog. Salzwassertrinkversuche durchgeführt. Nur knapp überlebte Höllenreiner die "medizinischen" Menschenversuche. Nach Abschluss der "Versuchsreihe" wurde er, noch immer KZ-Häftling, als Zwangsarbeiter bei der Messerschmitt GmbH eingesetzt.

Nach Kriegsende arbeitete Karl Höllenreiner als Textilwaren- und Musikinstrumentenhändler. Weitere Informationen bis zu seinem Tod liegen aktuell[1] nicht vor.

Nürnberger Ärzteprozess

Beim Nürnberger Ärzteprozess 1947 sagte u. a. Höllenreiner als Zeuge der Anklage gegen die NS-Ärzte aus. Er berichtete über die Menschenversuchsreihe folgendes:

"Ungefähr Anfang August 1944 kam ich und die anderen 39 Zigeuner dieser Gruppe in Dachau an. […] In der dritten Woche begannen die eigentlichen Experimente. Wir erhielten überhaupt keine Nahrung mehr und nur Seewasser oder chemisch präpariertes Seewasser zu trinken. Nach meiner Erinnerung war unsere Gruppe von 40 Zigeunern in drei ungefähr gleichstarke Untergruppen aufgeteilt. Gruppe 1 erhielt nur richtiges Seewasser. Gruppe 2 erhielt nur chemisch präpariertes Seewasser, welches eine dunkel-gelbe Farbe hatte und bestimmt noch viel schlimmer war als reines Seewasser. Gruppe 3 erhielt nur präpariertes Seewasser, welches ungefähr aussah wie richtiges Trinkwasser. Ich gehörte zu Gruppe 2. [...] Der Doktor der Luftwaffe war immer anwesend, während das Wasser getrunken wurde. […] Während dieser Experimente hatte ich furchtbare Durstanfälle, fühlte mich sehr krank, verlor stark an Gewicht und zum Schluss bekam ich Fieber und fühlte mich so schwach, dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. [...] Ich erinnere mich noch genau an eine Szene, wo ein tschechoslowakischer Zigeuner den Doktor der Luftwaffe gebeten hat, dass er unmöglich noch mehr Wasser trinken könnte. Dieser tschechoslowakische Zigeuner wurde daraufhin auf Anordnung von dem Doktor der Luftwaffe an ein Bett festgebunden, der Doktor der Luftwaffe goss diesem Zigeuner persönlich mittels einer Magenpumpe gewalttätig das Seewasser herunter. Während der Experimente erhielten die meisten Zigeuner Leber- und Rückenmarkpunktionen. Ich selbst habe eine Leberpunktion erhalten und weiß aus meiner eigenen Erfahrung, dass diese Punktionen furchtbar schmerzhaft waren. Noch heute, wenn das Wetter wechselt, fühle ich starke Schmerzen, wo die Leberpunktion durchgeführt wurde. Alle Leber- sowie Rückenmarkpunktionen wurden von dem Doktor der Luftwaffe persönlich durchgeführt. [...] Auf Befehl des Doktors der Luftwaffe wurden zwei tschechischen Zigeunern [sic], welche sich etwas frisches Wasser beschafft hatten, zur Strafe während der weiteren Durchführung der Experimente ständig auf ihren Betten mit Stricken festgebunden gehalten. Die meisten Zigeuner bekamen Wahnsinnsanfälle […]. Wenn solche Anfälle in Gegenwart des Doktors der Luftwaffe geschahen, lachte dieser nur ironisch und wenn es ihm zu schlimm wurde, gab er Leberpunktionen, worauf der Betroffene etwas ruhiger wurde. Niemand wurde jemals von den Experimenten befreit, nachdem er einen solchen furchtbaren Anfall mitgemacht hat. Ungefähr zwischen der ersten und zweiten Woche der Experimente wurden alle Zigeuner auf Tragbahren mit weißen Tüchern überdeckt aus dem Krankenzimmer heraus in den Hof getragen. Hier wurden die nackten Körper fotografiert in der Anwesenheit des Doktors der Luftwaffe, welcher die ironische Bemerkung machte, daß die Leute lachen sollten, damit die Bilder freundlicher aussehen würden. Kurz nach den Aufnahmen wurden uns Nummern auf die Brust tätowiert. Diese Tätowierung wurde von dem Doktor der Luftwaffe persönlich durchgeführt. Er benutzte dazu eine chemische Flüssigkeit, welche entsetzlich brannte. […] Von den ursprünglich 40 hat einer, wie bereits erwähnt, die Versuche nur wenige Tage mitgemacht. Drei waren so dem Tode nah, dass man sie am selben Abend auf Tragbahren, mit weißen Tüchern abgedeckt, herausgetragen hat. Von diesen drei habe ich niemals wieder etwas gehört."

Während der Verhandlung im Schwurgerichtssaal in Nürnberg gelang es Höllenreiner "mit einem gewaltigen Satz die Barriere der Anklagebank“ zu überspringen und, so die Wiener Tageszeitung "Weltpresse", seinem ehemaligen Peiniger, dem Wiener Arzt[2] Wilhelm Beiglböck "einen furchtbaren Faustschlag ins Gesicht" zu versetzen. Dabei rief er: "Dieser Lump hat mein Leben ruiniert!"

Auszeichnung

Auf Anregung des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma in Bayern wurde Karl Höllenreiner am 4. April 2022 durch den Ältestenrat der Stadt Fürth auf die Vorschlagsliste für künftige Straßenbenennungen aufgenommen.[3]

Siehe auch

Lokalberichterstattung

  • Alexander Jungkunz: Ohrfeige für den Folterer. In: Fürther Nachrichten vom 16. Juni 2022, Druckausgabe
  • Julia Ruhnau: Späte Erinnerung an ein Fürther Nazi-Opfer. In: Fürther Nachrichten vom 7. Juli 2022, S. 29 (Druckausgabe)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Stand Okt. 2021
  2. "Da Beiglböcks Approbation nicht annulliert worden war, konnte er weiterhin als Arzt tätig sein." (Quelle: Wikipedia)
  3. Julia Ruhnau: Späte Erinnerung an ein Fürther Nazi-Opfer. In: Fürther Nachrichten vom 7. Juli 2022, S. 29 (Druckausgabe)

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