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Ernst-Ludwig Vogel

KOMMUNALE PROBLEME SIND SOZIALE PROBLEME ÜBERLEGUNGEN ZU DEN GRENZEN ORGANISATO­ RISCHER F LE X IB IL IT Ä T UND ADM INISTRATIVER HANDLUNGSFÄHIGKEIT Bei der Organisation von Bürgerinitiativen gegen vorwie­ gend ökonomisch orientierte Stadtsanierung, gegen die be­ wußte oder in Kauf genommene Vertreibung alteinge­ sessener Bewohner aus ihren historisch gewachsenen Wohn­ quartieren, für die Berücksichtigung der Interessen Unter­ privilegierter oder Artikulationsunfähiger, für bessere In­ frastruktur und mehr Wohn- und Lebenswert — überall da besteht allzu o ft die Gefahr, kommunale Probleme so zu sehen, als wären sie — da lokal, also vermeintlich über­ schaubar — auch innerhalb der jeweiligen Kommune und ihren entsprechenden Organisationsformen lösbar. Man kritisiert üblicherweise die berüchtigte bürokratische Unbeweglichkeit, die starren Organisationsformen städti­ scher Verwaltung und anderes mehr. Dementsprechend glaubt man dann meist recht vordergründig und kurz­ sichtig, die Lösung in der möglichst weitreichenden Ent­ schärfung solcher kommunaler Konflikte sehen zu kön­ nen. Dies erweist sich jedoch ebenso o ft als Irrtum ! Gerade davor sei in komprimierter und darum freilich vereinfachender Form gewarnt; gewiß nicht, um p o liti­ sche Initiativen etwa als überflüssig oder unsinnig zu be­ zeichnen und sie damit zu entmutigen, sondern vielmehr, um wegen der Kom plexität der Problematik die Notwen­ digkeit einer Perspektive aufzuweisen, die über den loka­ len Rahmen hinausreicht. Städtische Probleme haben ihre Ursachen nicht ausschließ­ lich in der Existenz der Städte als solcher; sie sind eher all­ gemein gesellschaftlicher Natur, die im urbanen Bereich nur häufiger und deutlicher auf treten als anderswo. Der Präzisierung dieser Frage wegen kann hier auf indivi­ duell unterschiedliche Ursachen bestimmter städtischer Probleme, die ja jeden Einzelfall anders charakterisieren, nicht eingegangen werden; stattdessen sollen einige allent­ halben feststellbare und deshalb wohl grundsätzlich rele­ vante Grenzen der Handlungsfähigkeit kommunaler Verwal­ tungen beschrieben werden. Sie sind zugleich — dies sei vorweg bemerkt - sichtbarer Ausdruck einer grundsätz­ lichen Abhängigkeit jeder A rt von Politik im kapitalw irt­ schaftlichen System. Deshalb sind sie auch nicht lösbar durch den üblichen „R u f nach mehr Geld", da dieser das Problem der öffentlichen Arm ut (im Gegensatz zum p ri­ vaten Reichtum) nur von einer staatlichen Ebene auf die andere zu verlegen sucht. „D ie kapitalistische Wirtschaft muß wachsen, sonst geht sie zugrunde; der bloße Stillstand bedeutet de facto Rück­ gang und Krise" (E. Preiser, Politische Ökonomie im 20. Jahrhundert, München 1970, S. 78). Dieses hier von einem durchaus „bürgerlichen" Ökonomen beschriebene Gesetz ist (bekanntlich) der kategorische Imperativ der M arktw irt­ schaft und damit auch der staatlichen und städtischen Or­ gane innerhalb dieser Gesellschaft; denn ein Staat, der die Wirtschaft zugrunde richtet, zerstört sich selbst. Diesem Wachstumszwang untergeordnet sind somit staatliche und kommunale Konjunktur- und S tru ktu rp olitik, deren Er­ fordernisse einer potentiell autonomen Kommunalpolitik also entscheidende Grenzen stecken. Welche Folgen hat dies nun für die Gemeinden? Die Ge­ meinden können das Geld, das sie in Form von Steuern einnehmen, nur bedingt nach eigenen Bedürfnissen ausge­ ben. Sie sind abhängig von den nach Abzug aller Abgaben an Bund und Land verbleibenden Etatresten, zum anderen von den Finanzen, die ihnen von den Bundes- und Länder­ regierungen wieder als Zuschüsse zurückfließen. Damit 8

aber können sie nicht mehr allein über A rt und Zeitpunkt z.B. von öffentlichen Bauvorhaben entscheiden. Der durch finanzielle Bundes- und Landeszuschüsse unterstützte, des­ halb unter Zeitdruck beschlossene und nun von Term in­ nöten (Baubeginn z.B. noch 1978) gejagte Bau der Fürther Stadthalle ist ein aktuelles, lokales Beispiel hierfür. Der jeweilige Zeitpunkt etwa einer Baumaßnahme ist ab­ hängig von der staatlichen K onjunkturpolitik, die sich ih­ rerseits wieder nach den Schwankungen der privaten Pro­ duktion (Baumarktsituation, Arbeitslage, Investitionsnei­ gungen etc.) zu richten hat. Ein kontinuierlicher Ausbau der städtischen Infrastruktur nach sozialen Erfordernissen w ird dadurch eingeschränkt bzw. verhindert, die Beseiti­ gung dringender kommunaler Notlagen w ird meist abhängig gemacht von der Lage der Privatwirtschaft. Damit ist also eine mittel- oder längerfristige Effektivplanung der städti­ schen Investitionen erschwert, wenn nicht unmöglich. Die städtischen Investitionen müssen für die K onjunktur­ steuerung dienstbar gemacht werden; davon hängt die F i­ nanzstruktur der Gemeinden ab. Die Gewerbesteuer, als eine wichtige Einnahmequelle der städtischen Haushalte, zwingt demnach dazu, möglichst viele und potente Gewerbestcu erzähl er (Industrie, Groß- und Einzelhandel) inner­ halb des Gemeindegebiets zu haben. Das bedeutet, daß ansiedlungswillige Kapitalbesitzer von den Gemeinden große Vorleistungen (z.B. billige Grundstücke, Steuerer­ leichterungen, individuelle Infrastrukturleistungen, H int­ anstellung kommunaler Interessen etc.) abverlangen kön­ nen, bevor sie ihre Investitionsentscheidung fällen. Auch Fürth weist eine Reihe solch konkreter Beispiele auf, die, da allgemein bekannt, hier nicht weiter erwähnt werden sollen. Die aus der Finanzreform von 1969 resultierende Beteili­ gung der Gemeinden an der Einkommensteuer, die die übergewichtige Abhängigkeit von der Gewerbesteuer ab­ schwächen sollte, zwingt zudem die Städte gleichsam da­ zu, möglichst viele, möglichst gut verdienende Einwohner zu haben. Der soziale Wohnungsbau, d.h. die Orientie­ rung der Wohnungsbaupolitik an den Bedürfnissen der Bevölkerung m it dem geringsten Einkommen, gerät da­ m it noch mehr in den Hintergrund als ohnehin schon. Denn möglichst attraktive, komfortable, also teuere Wohngebiete sollen gut verdienende, einen hohen Lebens­ standard beanspruchende Arbeitnehmer in die Gemeinden bringen. Ähnlich w irk t die S trukturpolitik. Sie bedeutet Verbesse­ rung der räumlichen und infrastrukturellen Vorausset­ zungen für ökonomisches Wachstum; sie ist also vorwie­ gend auf die Verbesserung der Verwertungschancen des Privatkapitals ausgerichtet. Dies heißt konkret: Bereit­ stellung von für Industrie, Gewerbe und Handel günsti­ gen Flächen (siehe die Problematik bei der Neufunktion und Umgestaltung des Fürther Geismann-Geländes!), Aus­ bau von Kanalisation, Energiezufuhr und Verkehrsanbin­ dung usw. Daß im gegenteiligen Fall — bei unklarer Struktur- und Entwicklungspolitik und gleichzeitig einseitiger Abhängig­ keit von einigen wenigen Großkonzernen — o ft deutlich negative Auswirkungen im gesamten städtischen Bereich, zumal in den ohnehin stark vernachlässigten Altstädten, festzustellen sind, auch hierfür ist Fürth ein leider allzu anschauliches Beispiel. Durch die zunehmende Konzen­ tration der letzten Jahre hat etwa im Brauereigewerbe die sonst übliche Konkurrenzbelebung nahezu völlig abgenom­ men. Eine Handvoll überregionaler Brau-Konzerne macht im wesentlichen das große Geschäft und denkt in „euro­ päischen Hektoliter-Dimensionen", statt sich — wie frü­ her — individuell um die einzelnen Gaststätten und deren besondere Atmosphäre zu kümmern. Der desolate Zustand der meisten, auch noch so traditionellen Fürther Altstadt-