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Altstadtverein Fürth �

ber, schwere Mängel an Dächer und Seitenwänden aufwiesen. Die maroden Dächer waren undicht, so dass Schnee und Regen ins Innere eindringen konnte. Es herrschten katastrophale Lebensbedingungen im Lager vor und der strenge Winter 1941/42, einer der kältesten in Ostund Mitteleuropa im 20. Jahrhundert, verminderte die Überlebenschance der „Häftlinge“ erheblich. Zirka 800 Juden starben an den Folgen des verheerenden Winters. Von den 3984 „Jungfernhofern“ gab es nur 148 Überlebende. Zwischen 1700 und 1800 Menschen wurden am 26. März 1942 im Hochwald von Bikernieki, der sich östlich von Riga befindet, durch Massenerschießungen ermordet. An diesem einsamen, gottverlassenen Ort entledigten sich die Nazis der Alten und Arbeitsunfähigen und über 45 Jahre alten Juden und Jüdinnen. Das gleiche Schicksal ereilte die Kinder, die unter 15 Jahre alt waren. Unter den vielen getöteten Menschen befanden sich das Ehepaar Hugo und Recha Rachel Schuster – der Mazzenbeck von Fürth. Ghetto Riga

Anfang 1942 wurden 200 Frauen vom Lager Jungfernhof ins Ghetto Riga überstellt. Weitere 450 folgten ihnen 1942 und 1943 ins Ghetto. Unter den meist jüngeren Mädchen und Frauen befand sich die Fürtherin Nelly Schus-

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ter, die Tochter von Hugo und Recha Rachel Schuster; ebenso die Bayreutherin Friedl Reinauer mit ihrer Tochter Hanneliese, die beide den Holocaust überlebt haben. Hanneliese Reinauer berichtet: „Es wurden Arbeiterinnen für das Ghetto Riga gesucht. Und man sollte sich freiwillig melden. Und so kamen wir vom Jungfernhof weg ins Ghetto Riga, in der Hoffnung, das die Lebensbedingungen besser werden würden. Hier mussten wir in verlassenen Judenwohnungen und Häusern Wertgegenstände und Kleidung für die SS sammeln.“ Das Ghetto Riga wurde ab Sommer 1943 schrittweise liquidiert und – nach mehrmaligen Selektionen – die restlichen Überlebenden in das Konzentrationslager Riga-Kaiserwald überführt. Konzentrationslager Riga-Kaiserwald

Das Konzentrationslager in Kaiserwald befand sich im Stadtteil Mezaparks, im Norden Rigas. Es wurde im März 1943 von den Nazis errichtet, um jüdische Einwohner der besetzten baltischen Gebiete gefangen zu halten. Ab Juni 1943 wurden die Überlebenden des Ghettos Riga und der Ghettos in Liepaja Daugavpils und Vilnius dorthin interniert. Im Stammlager und seinen Außenlagern von Kaiserwald befanden sich im Mai 1944 11878 Gefangene, von ihnen waren 6182 Männer und 5696 Frauen.

Das Konzentrationslager Kaiserwald war, im Gegensatz zu Auschwitz oder Sobibor, kein Vernichtungslager. Große deutsche Konzerne, hauptsächlich die AEG, beuteten die Arbeitskraft zahlreicher weiblicher Insassen aus dem Konzentrationslager Kaiserwald aus, die als Zwangsarbeiterinnen zur Produktion von elektrischen Geräten herangezogen wurden. Aufgrund des Vorrückens der Roten Armee auf die baltischen Länder, begannen die Deutschen im September 1944 ihre Gefangenen ins Konzentrationslager Stutthof im Gau Danzig-Westpreußen zu „evakuieren“. Diesen Umstand nutzten die Nazis um die Anzahl der Insassen zu dezimieren. Alle Gefangenen, die jünger als 18 oder älter als 30 Jahre alt waren, wurden unmittelbar vor der Evakuierung des Lagers ermordet. Das gleiche Schicksal widerfuhr den Kranken und schwachen Menschen, von denen man annahm, dass sie die Überstellung mit dem Schiff über die Ostsee nicht überstehen werden. Sie wurden erschossen. Ende September 1944 war das Lager Kaiserwald von Häftlingen liquidiert. Konzentrationslager Stutthof bei Danzig

Die erste Ankunft von Juden aus Kaiserwald in Stutthof war am 9. August 1944, die Zweite folgte am 1. Oktober 1944. Das Konzentrationslager Stutthof, das kein Vernichtungs-

lager war, lag 37 Kilometer östlich von Danzig und wenige hundert Meter an der Ostseeküste. Das Lager umfasste insgesamt 39 Außenlager. Inhaftiert waren insgesamt 110000 Menschen, von denen die Meisten Juden waren. Ungefähr 65000 Menschen kamen durch Krankheit (Fleckfieberepidemie) und den katastrophalen unmenschlichen Lebensverhältnissen zu Tode, die im Lager und den Außenlagern herrschten. Aufgrund der anrückenden sowjetischen Armee ordnete der Lagerkommandant am 25. Januar 1945 die Evakuierung des Lagers an. Das war der Beginn der „Todesmärsche“. Die Tochter des Mazzenbecks, Nelly Schuster, war mit anderen Schicksalsgenossinnen am 9. August 1944 im Lager Stutthof angekommen. Knapp zwei Monate später, am 1. Oktober 1944, stirbt das Mädchen im Konzentrationslager Stutthof. Sie war 21 Jahre alt. Die Überlebenden

„Von den mehr als 31000 ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden überlebten nur etwas mehr als 1100 Personen diese schrecklichen, schwer zu beschreibenden Zeiten,“ schreibt der Historiker Wolfgang Scheffler in seinem „Buch der Erinnerung“. Den Transport Da 32 vom 29. November 1941 mit insgesamt 1008 Insassen über-

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