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EMILIE LEHMUS

VON DER PFARRERSTOCHTER ZUR ERSTEN DEUTSCHEN MEDIZINSTUDENTIN

Am 30. August 2019 wurde am Fürther Zentralfriedhof eine Gedenkstätte für die Ärztin und erste deutsche Medizinstudentin Emilie Lehmus der Öffentlichkeit übergeben. Das Datum markierte gleichzeitig den 178. Geburtstag der zu Ehrenden, die am 30. August 1841 im Fürther Pfarrhof von St. Michael das Licht der Welt erblickte. Obgleich Emilie Lehmus schon seit 2007 mit einer Bodenplatte am „Ehrenweg“ der Fürther Fußgängerzone geehrt wurde, war doch ihr letzter Ruheort allgemein nicht mehr bekannt. Vermutlich lag dies daran, dass ihr letzter Wohnort in Gräfenberg / Landkreis Forchheim in der Fränkischen Schweiz gewesen war. Dort starb sie am 17. Oktober 1932 91-jährig, wurde aber auf dem Fürther Hauptfriedhof beerdigt1. Die Begräbnisstätte in Fürth war allerdings schon seit Jahren aufgelassen und zuletzt nur noch über die Archivfunktion des städtischen Grabbuches zu eruieren. Über dieser originalen Grabstätte wurde nun das Memorial „Emilie Lehmus“ – unterstützt durch DGGG-Mitglieder (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe) – errichtet. Emilie Lehmus wurde als Tochter von Pfarrer Friedrich Theodor Eduard Lehmus2 und seiner Frau Caroline als dritte von sechs Töchtern geboren. Dank der fortschrittlichen Einstellung der Eltern erhielt sie - wie auch ihre Schwestern - eine Berufsausbildung. In Paris setzte sie ihren Schulbesuch für Sprachstudien fort. Zurück in Fürth war sie als Lehrerin an einer höheren Töchterschule tätig, was darauf schließen lässt, dass sie in Paris das Lehrerinnenexamen absolviert hat3. 1866 taucht die damals 24-jährige Emilie zum ersten Mal namentlich in einem Bericht des Königl.-Bayr. Amtsblattes in Rothenburg ob der Tauber auf. Vermutlich war sie dort zu Besuch bei den Großeltern, denn die Familie Lehmus besetzte seit mehreren Generationen in Rothenburg die Pfarrstelle, so auch der Großvater. – In dem Königl.-Bayr. Amtsblatt rief Emilie unter dem Eindruck der kurz zuvor geschlagenen Schlacht von Königgrätz (dem heutigen Hradec Králové) zwischen Preußen und Österreichern zu Spenden von Geld und Verbandszeug für die verwundeten Soldaten auf.4 1870 besuchte die 29-jährige Emilie Lehmus eine ihrer verheirateten Schwestern in Berlin und lernte dabei Henriette Hirschfeld-Tiburtius kennen (übrigens 16

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die erste approbierte und promovierte Zahnärztin Deutschlands). Auf einer gemeinsamen „Spreewaldwasserfahrt“ reifte in ihr der Entschluss, Medizin zu studieren – gewissermaßen aus der Laune eines Augenblickes5. Von ihrem Vater – dem Michelspfarrer Friedrich Theodor Eduard Lehmus2 wurde dies nicht als Schrulle abgetan sondern Emilie von ihm daraufhin in Latein unterrichtet. In Deutschland selbst durfte sie damals nicht studieren. So immatrikulierte sie sich 1870 im schweizerischen Zürich zu Studienzwecken. Zürich entwickelte sich in jener Zeit als ein Zentrum internationaler weiblicher Studentenschaft.6 Die Besonderheit in Zürich lag für Studentinnen darin, dass sie keinerlei Bildungsnachweise vorlegen mussten, lediglich ein „Sittenzeugnis“. In vielen Ländern Europas hatten Frauen ja keine Möglichkeit, das Abitur abzulegen und sich damit an einer Universität zu bewerben. Hier in Zürich lernte sie auch ihre Kommilitonin, Franziska Tiburtius, die Schwägerin von ihrer Berliner Bekanntschaft Henriette, beim Studium kennen. Als dann im Jahr 1870 die zwei jungen Frauen in Zürich einen Hörsaal betraten, erhob sich „ein wüster Lärm, Schreien, Johlen, Pfeifen“. „Da hieß es ruhiges Blut

behalten“, beschrieb Franziska Tiburtius als 80-jährige in ihren Memoiren das Ereignis.7 Nach neun Semestern beendete Emilie ihr Studium mit der Promotion8 „summa cum laude“. Diese Auszeichnung wurde in den zehn davor liegenden Jahren an der Züricher Universität nur sechs männlichen Prüflingen zuteil. Dieser Umstand war vielen Zeitungen 1874 eine Meldung wert, wie z.B. der Kölner Zeitung, dem Münchener Boten, dem Schweinfurter Anzeiger und natürlich auch den Fürther Neuesten Nachrichten und dem Tagblatt: „Fräulein Emilie Lehmus aus Fürth, die erste deutsche Dame, die in Zürich Medizin studiert, machte daselbst in voriger Woche ihr Examen und erhielt das Prädikat ausgezeichnet. Es ist dieser Grad in den letzten zehn Jahren nur sechs männlichen Examinanden zuteil geworden.“9 Zu Zeiten Emilie Lehmus‘ lachte der deutsche Reichstag über weibliche Ärzte, und sie selbst klagte über die Berliner Ärzteschaft. „Am gehässigsten war Virchow“. Der gleiche Virchow trat unter Protest aus dem Kuratorium des Victoria-Lyzeums zu dem Augenblick aus, als Emilie Lehmus‘ Freundin Franziska Tiburtius mit der Leitung eines Kurses für Gesundheitspflege an der Schule beauftragt wurde10. Noch am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die „natürliche Bestimmung“ der Frau in Ehe und Mutterschaft gesehen. „Wenn es als Axiom gelten muß, daß die Bestimmung der Frau die Ehe sein muß, so tritt an uns die Frage heran, ob durch das Studium der Medizin die zur Ehe nötigen Eigenschaften der Frau nicht geschädigt werden. Die echte Weiblichkeit wird, wenn sie nicht durch jenes anstrengende konkrete Studium ganz zu Grunde geht, doch beschädigt.“11a Selbst viele liberale Professoren postulierten letztendlich die Überlegenheit des männlichen Geistes: „Prinzipiell also bin ich nicht gegen die Zulassung weiblicher Studenten, ich würde aber nur solche zulassen, die alle Vor-Examina mit Nr. 1 absolviert haben. Das würde dann ein ganz brauchbares Studentenmaterial liefern, indem zu erwarten stünde, daß diese Damen durch Fleiß den Vorsprung ausglichen, welchen das männliche Geschlecht durch überlegene geistige Initiative vor ihnen voraus hätte.“11b Emilie Lehmus hoffte in diesem Zeitgeist vergeblich, in Deutschland mit ihrem Doktortitel zum Staatsexamen zugelassen zu werden. 1875 ging sie deswegen für einige Monate an die Universitäts-Entbindungsanstalt nach Prag, im Anschluss an die Königliche Entbindungsanstalt und Frauenklinik nach Dresden. Dort war sie bei dem Gynäkologen Prof. Franz von Winckel tätig, dem damals einzigen Professor in

Deutschland, der Assistentinnen aufnahm und an seiner Klinik ausbildete.12 Gemeinsam mit Franziska Tiburtius durfte sich Emilie Lehmus 1876 in Berlin mit behördlicher Duldung mit einer Privatpraxis für Frauen und Kinder niederlassen, deren Türschild sie als „Dr. med. der Universität Zürich“ auswies. Aufgrund ihres Geschlechtes wurde die Arbeit der beiden Ärztinnen seitens der Politik nicht anerkannt. Man stellte sie ohne Ansehen Ihrer Ausbildung lediglich auf die Ebene von Badern und Heilpraktikern. So eröffneten sie am 18. Juni 1878 die erste Poliklinik weiblicher Ärzte für Frauen und Kinder in der Alten Schönhauser Straße 23/24.13 Die Praxisräume, eine Erdgeschosswohnung im Hinterhof, wurden ihnen vom Brauereibesitzer Bötzow kostenlos überlassen14. Die Behandlungen der Patientinnen führten die Frauen meist zum Selbstkostenpreis aus. Wie das Amtsblatt für die Königlichen Bezirksämter Forchheim und Ebermannstadt vom 31. Juli. 1877 ausweist, bestand „der Arbeitslohn der beiden Ärztinnen nur in der Bereicherung Ihrer Erfahrungen, die sie auf diesem Wege sammeln, und in dem freudigen Bewußtsein, so manches Weh lindern und so vielfach Hilfe bringen zu können.“ Siehe:

Umso mehr erfuhren die beiden Freundinnen einen großen Zulauf von ihrer Patientenschaft. In ihrer Poliklinik, der späteren „Klinik weiblicher Ärzte e.V.“, behandelten sie von 1878 bis 1896 um die 20.000 Patienten, obwohl nur zweimal wöchentlich Sprechstunden abgehalten wurden15. Es war auch eine kleine Pflegeanstalt mit angeschlossen, in der u.a. kleine operative Eingriffe vorgenommen werden konnten. Diese Nr. 55 – 2021/22

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