Meine Seele war, nach ach so vielen Metamorphosen zum Schmetterling mutiert. Ein schöner alter Falter war ich geworden. Als Trauermantel flatterte ich
durch die Straßen Fürths, durch die ich Jahrzehnte davor als Flaneur gewandert war. Ich erkannte diese Stadt nicht wieder. Alles
war anders, aber für mich als
Schmetterling hatte sich die
Stadt ins Positive verwandelt. Grün war alles, grün mit
bunten Farbtupfern aller Art.
Ein bunter Zaubergarten. Es
schwirrte und brummte und
summte. Es klingelte in meinem geschrumpften Hirn.
Artenvielfalt, Biodiversität, diese sympathischen Begriffe hatte ich irgendwann einmal gespeichert, jetzt
betraf es mich. Ich hatte Mühe, mich vor dieser Menge meiner Fressfeinde zu schützen. Aber keine Bange,
Schönheit schreckt ab, irritiert erst einmal – und dieser Augenblick des Zögerns ließ mich überleben. Zum
ersten, zum zweiten. Wie viele Leben hat ein Falter? In
Schönheit sterben – auch gut. Dann kommt eben eine
neue Metamorphose. Ich rollte meinen Rüssel genießerisch aus und ein. Früchte und Blumendüfte überall. Ist das Leben nicht schön? Von einer Dachterrasse
löste sich eine überreife Mangofrucht und knallte, zerplatzte auf dem Pflaster.
Als ich hierher gekommen war, in diese Stadt, nach
Fürth, in einem früheren Stadium, als ich noch Mensch
sein durfte, da war alles grau. Die graue Stadt an der
Rednitz. Husum, die graue Stadt am Meer war nichts
dagegen, eine Farbpalette der Grautöne hätte man
hier entwickeln können. Jeder floh, der nur irgendwie
konnte, Wassermann zum Beispiel, der sich nur mit
Schaudern an seine freudlose Kindheit erinnern konnte.
Doch dann kamen die Stadtheimatpfleger, Stadthistoriker, Archäologen, in deren Gefolge die strengen, weitblickenden Immobilienmakler, die kratzten
an den Fassaden, restaurierten, renovierten und entdeckten Perlen, nein Goldschätze unter dem grauen
Schmutz. Na, denk mal, was das alles wert ist, sagten
die Kenner unter den Investoren – und schon war die
Denkmalstadt gefunden. Und dass das alles so bleibt,
dass die Fassaden ihren Gründerzeitschick wiederfinden und behalten, förderte man die saubere Energie.
Die Solarenergie.
So kam alles, wie es sollte, die Stadt wurde freundlich, selbst aus Nürnberg kamen nicht nur Sportsfreunde, um das zur Schönheit erblühte Mauerblümchen zu bestaunen.
Doch dann kam der Klimawandel, Schritt für
Schritt auf weichen Pfoten, katzengleich. Die Tem-
peraturen stiegen. Langsam. Der Regen blieb aus. Man merkt das nicht so schnell, man sagt „oh, wie ist das geil“, man zeigt seine Tattoos, seine Tätowierungen. Mehr und mehr Gesamtkunstwerke sind alle geworden, da reicht ein heißer Sommer nicht aus, um alle Schönheit zu zeigen. Auch Frühling, Herbst und Winter sollten heiß sein. Was nützt es, wenn man sich nicht zeigen kann. Alle Sehnsüchte, Wünsche, Träume, Obsessionen. Aber die Trockenheit blieb und wenn auch die Eisdielen wie Pilze aus dem Pflaster schossen: die Bäume machten schlapp. Das Gras verdorrte. Die Stadttauben fielen, heiser vom vielen Gurren, von den Dächern. Erschrockene Kinder. Man erinnerte sich. Ach ja, Fürth war doch einmal das Fränkische Jerusalem. Von Israel lernen, von dem Land am Rande der Wüste lernen, heißt überleben lernen. Dort hatte man schon früh gelernt, die Trockenheit zu ertragen und man hatte Wege gefunden, mit den sparsamen Wasservorräten behutsam umzugehen. Wie bewässert man richtig und wo und wann? Dünne Plastikschläuche ließ man das Land durchziehen, die schlängelten sich von Pflanze zu Pflanze, überall waren sie sichtbar, Wassernetzwerk, das sparsam spendet, punktuell und doch reichlich. So machte man es auch hier, in der noch Denkmalstadt Fürth, Kabel auch hier, im Stadtpark, an den Straßenbäumen. Aber das alles reichte nicht. Die Hitze stieg. Die Notaufnahmen der Krankenhäuser konnten den Ansturm nicht mehr bewältigen. Nun lernte man von Singapur. Fassadenbegrünung war die Devise. Innerhalb kürzester Zeit riss man alle Straßenränder auf, überzog alle Fassaden mit einem Drahtnetzwerk, gerade die Fensteröffnungen sparte man noch aus, und an diesen Drähten ließ man hochwachsen, was irgendwie noch in der Lage war, zu klettern. Schwarzäugige Susannen, Efeu oder Wein, was auch immer, das überließ man der Fantasie der Hausbesitzer. Ein grüner, dichter Wandteppich sollte es sein, um jeden Preis. Mir sollte es Recht sein als Trauermantel, Verstecke fand ich genug und Nahrung und überwintern zu müssen war out. Es gab keine Temperaturstürze mehr, keinen Zwang für mich, in einem fauligen Baumstamm ein Notquartier finden zu müssen. Auch die Dachlandschaften hatten sich rasant verändert. Die Spitzdächer wurden entfernt, es gab dafür Zuschüsse vom städtischen Grünflächenamt. Hoch oben auf den Dachterrassen wuchsen nun in riesigen Kübeln Ölbäume und Zitrusfrüchte aller Art, es duftete und blühte in allen Farben. Das Denkmalschutzamt hatte heftig
FÜRTH IM ÜBERMORGEN
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Altstadtverein Fürth
Nr. 57 – 2024