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FRITZ SCHNETZER

DRAUSSENDAHEIM

hieß eine Ausstellung im Stadttheater. Draußendaheim, zusammen geschrieben. Außenwelt und Innenwelt sind eins. Wir wissen: Wir sind nicht mehr Papst, wir werden nie mehr 1. Liga sein, auch noch nicht 3. Liga, aber wir sind mediterran. Der Palazzo Vecchio holt uns ein. Lärm dringt in die Schlafzimmerritzen wie Arnowasser. Neulich fragte mich ein Freund, etwas irritiert und leicht angeekelt: „Was sollen eigentlich diese Schilder an der Stadtautobahn: „Denkmalstadt Fürth.“ Das fragen sich viele. „Na“, antworte ich gelassen froh, „Perlen wie die Lorenz- oder die Sebalduskirche oder die Burg haben wir natürlich nicht. Aber Straßen haben wir – und dabei schnalze ich genussvoll – Straßen haben wir wie aus einem Guss, die Theaterstraße, die Blumenstraße, Mathilde und Schiller und selbstverständlich die Hornschuchpromenade, wenn´s etwas teurer sein darf. Jede Straße ein Kleinod, ein Dokument, ein Ensemble. Das sind Straßen, die den Blick flitzen lassen im schnellen Flug wie Mauersegler. Und die Gedanken folgen traumverloren und die restlichen Sinne, wenn man sie noch alle beisammen hat, folgen behäbig. Die Finger gleiten über eine Mesuse, die Nase schnuppert Erinnerungen zuweilen an die Kindheit: Kohlenstaub liegt in der Luft, lange nicht mehr gerochen. Von der Bäckerei Wehr her schwappt der warme Geruch nach Kaffee und frischen Brötchen. Wenn ich oben stehe auf der Dachterrasse der Neuen Mitte, hinunter starre in den Bauch der Stadt, in die Hinterhöfe, die jetzt glänzend sind, stählerne 16

Altstadtverein Fürth

Nr. 56 – 2023

Eingeweide, hygienisch, keimfrei geworden alles dort, wo früher Lagerräume und barackenartige Gebäude sich aneinander drängten wie marodes Gedärme, ein Blinddarmdurchbruch sei zu befürchten gewesen oder Schlimmeres, die Altstadt sei moribund gewesen oder gar schon tot. Aber jetzt sei Ruhe eingekehrt, ein Hauch von Großstadtglanz. Heile Welt. Und wirklich, es tummelt sich ja jetzt einiges Volk mehr auf den Straßen. Die Stadt wird reicher – vielleicht, das Leben leichter – vielleicht. In der Stadtbücherei findet sich eine Broschüre, gottlob: Aus Fürth vertrieben und ermordet. Jüdisches Leben zwischen 1933 und 1942 im Areal der Neuen Mitte Draußendaheim. In der Theaterstraße, in der Blumenstraße und in anderen Sträßchen der Altstadt, dort, wo die ärmeren Juden lebten, gab es den Bereich des „Eruv“ Drähte waren da über die Straße gespannt, so wurde der Wohnraum erweitert, auch am Schabat konnte man dann etwas tragen, besorgen, was sonst zum Leben wichtig war. Mir gefällt dieser leichte, kreativ erscheinende Umgang mit manchmal zu strengen Regeln. Jede Religion hat ihre eigenen, augenzwinkernden Überlebensmechanismen. Als der Lochnersche Pfarrgarten längst eine vergessene Wildnis war, stand da noch der Turm des zerfallenden Schlösschens. Ein verwittertes Namensschild, ein lange verstorbener Bewohner: Gregor Samsa. Gregor Samsa, die Flucht des verkrüppelten, verkrusteten Gregor Samsa, der vielleicht glaubte, sich in einem Chitinpanzer vor der Welt zu schützen – der floh von Prag nach Fürth, er floh aus der Kafkastadt in das fränkische, jüdische Jerusalem, in dem nichts mehr jüdisch war. Ach, der Sehnsuchtsort Jerusalem! Ist der Glanz ab für alle Zeiten oder ist er nur verblasst, bis der himmlische Restaurator, der Messias ihn wieder auffrischt und zum Leuchten bringt? Ich vermisse sie, diese geheimnisvollen, verwitterten Orte. Auf dem Bahnhofsgelände steht noch ein verrotteter Lokschuppen. Und sonst? Kafka ist allgegenwärtig. In der Parabel „Vor dem Gesetz“ wartet und wartet man als Flüchtling oder als Arbeitssuchender vor irgendeiner Bundesagentur. Man wird alt und immer älter und hoffnungslos und die Wartenummer kommt nie und dann schließt der Sachbearbeiter endlich die Tür und sagt: „Diese Tür war nur für Dich da. Jetzt schließe ich die Tür!“ Achternbusch fasste die Sache kürzer: „Du hast keine Chance, aber nütze sie!“ Das gilt auch für diese Stadt, für ihre Spielvereinigung, für alles! Fürth ist im Scheitern schön. Gescheit schön!