Die Frühförderung stellte in diesem Zusammenhang fest: „Nicht das behinderte Kind ist das Problem, sondern die Umgebung“. Unter dem Druck ihrer Umwelt richteten aber auch die Eltern oft überhöhte Erwartungen an die Möglichkeiten von Frühförderung und Lebenshilfe. Entwicklungsrückstände könnten zwar beseitigt werden, aber bei Kindern mit geistigen und körperlichen Schäden müsste den Eltern zunächst nach der Geburt über den Schock hinweggeholfen werden, dass ihre Kinder nie normal in die Leistungsgesellschaft eingepasst werden können: „Wir machen keine Therapie um jeden Preis, sondern nur, wenn das Kind Spaß daran hat... Wer gibt uns das Recht, das Kind nach unserem Ebenbild zu formen“, so Heidi Dröge, die damalige Leiterin der Frühförderung. Bis 1981 wurde die Frühförderung als Modell von der Regierung bezahlt, später übernahmen die Krankenkassen und der Regierungsbezirk die Kosten. Soweit diese über das bewillig te Maß hinausgingen, übernahm sie die Lebenshilfe, etwa wenn ein Kind mehr als die vorgesehenen zwei Stunden Förderung pro Woche brauchte. Als die Fürther Lebenshilfe 1977 mit der Frühförderung die Initiative ergriffen hatte, war die Finanzierung des Projektes noch keinesfalls gesichert.
Die Frühförderung zog 1981 in den Neubau in der Aldringerstraße 5 um, Foto vom Februar 1981 (Foto: Knut Meyer).
Zum alljährlichen Sommerfest im Juli 1981 konnten einige regional bekannte Musiker engagiert werden, Angehörige des US-Veteranenvereins sorgten für das leibliche Wohl. Im Stadttheater wurden im Foyer Exponate aus dem Werkunterricht der Lebenshilfe präsentiert. Der LionsClub Fürth und die Aktion Sorgenkind e.V. spendeten im Laufe des Jahres 1981 jeweils einen Bus. 1981 kam noch die zweite Außenwohngruppe in Cadolzburg/Wachendorf mit zwei Gruppen und zwölf Bewohnern hinzu (Fürther Straße 2); in diesem Jahr betreute die Lebenshilfe in ihren Einrichtungen insgesamt über 400 behinderte Menschen.
Zum Abschluss des Jahres der Behinderten 1981 zogen örtliche Vertreter für Fürth eine weitgehend ernüchternde Bilanz. Die Aktivitäten der Stadt beschränkten sich hauptsächlich auf Verbesserungen in bautechnischer Hinsicht: behindertengerechte Parkplätze, Absenkung von Gehsteigkanten, behindertengerechte Toiletten in Schulen, behindertengerechte U-Bahn Zugänge etc. Vorwürfe an das Stadttheater wurden laut, das bei Senioren-Vorstellungen nur zwei bis drei behinderte Menschen zuließ. Mangelnde Kooperation der Kirchengemeinden und „geringes Interesse von Nicht-Behinderten an der offenen Behindertenarbeit“ beklagten Mitarbeiter der in Fürth tätigen Diakoniewerke Neuendettelsau und Fürth. Von Missachtung, Vorurteilen und Diskriminierung musste jedoch vor allem Georg Jordan, der Leiter des Behindertenwohnheims der Lebenshilfe, berichten. Bei der Suche von Wohnungen für die Außenwohngruppen sei er bei Vermietern und Anwohnern ganz überwiegend auf Ablehnung gestoßen. So hatten nach Abschluss eines entsprechenden Mietvertrages in einem Reihenhaus neun von 11 Nachbarn vehement gegen den Einzug der behinderten Menschen protestiert. Immobilienmakler hätten ihm bedeutet, dass beim Einzug von behinderten Menschen in der Nachbarschaft angeblich ein Wertverlust von 50.000 Mark pro Haus hingenommen werden müsse. In Bezug auf das „Jahr der Behinderten“ sah Jordan neben „Pflichtaktionen“ Erfolge nach wie vor in harter Kleinarbeit, in Gesprächen mit und über behinderte Menschen, in Kontaktpf lege und der Verminderung von Vorurteilen, wobei er sich aber nicht falschen Hoffnungen hingeben wollte: „Vorurteile sind stabil. Man meidet eine Gruppe, weicht ihr aus, tritt nicht mit ihr in Kontakt, kann daher Vorurteile gar nicht abbauen“. Georg Jordan war ein Verfechter der Verselbständigung von behinderten Menschen und hob in „seinem“ Wohnheim als erster in Mittelfranken die strikte Geschlechtertrennung auf. Die behinderten Bewohner im Wohnheim äußerten sich im Dezember 1981 auch eher negativ zum „Jahr der Behinderten“: Georg, damals 19 Jahre alt, beklagte, dass behinderte Menschen in Heime gesteckt, in eigenen Werkstätten isoliert und oftmals von den Eltern abgeschoben werden, da sie nicht deren Vorstellungen entsprächen: „Es gab zwar viele Sendungen, aber verändert hat sich wenig“. Die 30jährige Hildegard: „Auch in diesem Jahr sind die Leute nicht freundlicher geworden. Warum behandelt man uns nicht gleich, wir haben Sorgen und Probleme wie jeder andere.“ - Soweit zum „Jahr der Behinderten“ 1981.
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