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Bewährung in den Mittelpunkt, was sich mit der humanistischen Auffassung der Selbstverwirklichung im Leben in gewisser Hinsicht widersprach und unterschiedliche Einschätzungen von behinderten Menschen zur Folge hatte. Die Prädestinationslehre betonte die Bewertung diesseitigen Daseins als Bewährungszeit, demzufolge wurden zunehmend behinderte Menschen in Anstalten verwahrt, in denen sie zur Arbeit angewiesen wurden. Der Aufklärung mit ihrer Forderung nach klarem und richtigem Denken und ihrer optimistischen Grundtendenz verdankte die Behindertenpädagogik ihren Beginn, die bisherige Bettelpraxis von behinderten Menschen wurde als menschenunwürdig erkannt. Die Neuzeit und die Aufklärung brachten so einerseits Verbesserungen in der Lage behinderter Menschen, da Behinderung entdämonisiert wurde. Andererseits formte sich innerhalb dieses Ideengebäudes eine idealtypische Normalität, der behinderte Menschen nicht entsprechen können. Von daher wird die Position der vom Normalen abweichenden Menschen im heutigen weltanschaulichen System immer gefährdet bleiben. Starke Interessengruppen für behinderte Menschen sind deswegen eine unverzichtbare Notwendigkeit.

5. Anfänge der Behindertenpädagogik Versuche zur Behandlung von geistig behinderten Menschen erfolgten deutlich später wie jene von Blinden und Taubstummen. Der Mangel an sprachlicher Verständigung der Taubstummen und vieler geistig behinderter Menschen führte zum Urteil, dass sie unfähig zur Teilhabe am gesell-

schaftlichen Leben seien. Beide Behindertengruppen wurden zunächst als gewissermaßen zusammengehörig betrachtet. Bei den ersten Institutsgründungen für Taubstumme fanden auch Schüler Aufnahme, die als „schwachsinnig“, „idiotisch“, „krüppelhaft“ oder „psychopathisch“ charakterisiert wurden. Die Einbeziehung und die Entwicklung von Behandlungsmethoden durch verschiedene Taubstummenlehrer sowie eine erste einschlägige Veröffentlichung im Jahre 1820 (“Betrachtungen über Geistesschwache Kinder” von T. Weise in Zeitz) führte zu einer stärkeren Beachtung Schwachsinniger. 1829 forderte der Blindenlehrer W. Harnisch eigene Schulen unter staatlicher Aufsicht für geistesschwache Schülergruppen. Bereits 1803 gab es anscheinend schon Nachhilfeklassen an der Armenfreischule in Zeitz. Die erste private Anstalt für Geistesschwache gründete der Taubstummenlehrer K. F. Kern 1847 in Leipzig, ihr ging 1845 in Berlin schon die “Heil- und Bildungsanstalt für Blödsinnige” voraus. Nun folgten in rascher Abfolge weitere Anstaltsgründungen, so auch 1854 in Ansbach oder beispielsweise 1872 die Epileptikeranstalt in Bethel bei Bielefeld. Um 1850 verdeutlichten erste statistische Erhebungen ein unbeschreibliches Ausmaß des Elends von „Schwachsinnigen“ in jener Zeit. Ein Grund lag in der damals in Auflösung befindlichen (bäuerlichen) Großfamilie sowie in der Verstädterung und Industrialisierung. Die Anstaltsgründungen waren somit auch Antworten auf die mit dem rasanten gesellschaftlichen Wandel einhergehenden sozialen Notlagen. Zwischen 1850 und 1902 entstanden 101 Anstalten mit etwa 20.500 „Zöglingen“.

Geistig behinderte Kinder in Bruckberg (Neuendettelsauer Diakonie) um 1919. (Repro A. Mayer, Original im Archiv der Diakonie Neuendettelsau).

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