Altstadtverein Fürth
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← Seite 37 Kapelle auf dem Kirchenplatz, die damals ebenfalls schon abgerissen war. Das ist insofern merkwürdig, da Bürgermeister Meyer anscheinend selbst bei der Einebnung der Ruinenreste im Wiesengrund mitgewirkt und einen Mauerzug mit 55 Fuß Länge beobachtet hat. Hat der Bürgermeister zu seinen eigenen Beobachtungen Teile der auch von Fronmüller zitierten Ereignisse aus dem Jahre 1788 eingefügt und damit die Verwechslung herbeigeführt? Die Erwähnung des Pfarrers Schubert – bei Fronmüller „Johann Scheuber“ – lässt das vermuten. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Quelle aus dem Bamberger Staatsarchiv vom 17.8.1723 in der von „Wiesen hinter St. Martins Kirchhof bei Fürth“ die Rede ist. Der Kirchhof als
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Friedhof befand sich zu der Zeit aber eindeutig in dem Bereich, der heute als Kirchenplatz bezeichnet wird. Die Wiesen hinter dem Kirchhof gehörten zum Abhang des Pegnitztales, in dem die Fürther Bauern zum Teil ihr Wurzelgemüse für den Winter eingesandet hatten und der vielfach in Ansichten von Norden her abgebildet ist. Von einer Einfriedung um die Ruine herum im Wiesengrund ist nichts bekannt und auch auf der Abbildung Boeners oder dem Siedlungsplan Sauerackers von 1789 (Abb. 6) nicht zu sehen. Über den Zustand der Heiliggrabkapelle zum Ende des 18. Jahrhunderts kann nichts gesagt werden, daher muss auch die Zuordnung der Grabsteine vorerst offen bleiben. Der Abriss der Friedhofsmauer wurde nötig, nachdem man mit dem Bau der
Stützmauer in der Unteren Fischerstraße 1780 versucht hatte, den Friedhof nochmals zu erweitern. Hier hat der Bürgermeister über 60 Jahre danach wohl einiges durcheinander gebracht. Auf eine andere Verbindung zwischen Wiesengrund und Heiliggrabkapelle weist schon 1731 der Geleitsmann Seyfried hin, indem er die Osterprozession vom Kapellenanger zur Heiliggrabkapelle beschreibt und damit den Flurnamen automatisch mit der Kapelle auf dem Kirchenplatz in Beziehung setzt. Die Einbindung der Ruine als Kapelle in seinem Text entpuppt sich eindeutig als Übernahme der Ansichten Lochners, schließlich kam er erst fünf Jahre nachdem der Pfarrer das erstmals schriftlich festgelegt hatte nach Fürth – man kannte sich ja.
Abb. 6: Stich von Oehme/Stahl 1789 mit Darstellung der „Martinskapelle“ im Wiesengrund. (Repro: Werner)
Die Alternative
Da die Möglichkeiten der Interpretation der Boener’schen Abbildung aus dem Wiesengrund vielfältiger sind als es uns der Meister des frühen 18. Jahrhunderts weismachen wollte, soll anhand des Beispiels einer Graphik Merians aus dem 17. Jahrhundert von einer Mühle im Ohmgrund unterhalb der Amöneburg in Hessen (Abb. 7) verdeutlicht werden, welche Aussagen in Frage kommen können, wenn dieses Gebäude nur als Ruine bekannt geworden wäre. War es aufgrund der Treppentürme eine Kirche, aufgrund der Gesamtstruktur eine Burg (bzw. ein Königshof) oder aufgrund der Lage doch „nur“ eine Mühle? Hätte man dann die Interpretation einer zugewanderten Persönlichkeit des öffentlichen Lebens mit humanistischer Bildung aus einer völlig zerstörten Amöneburg, unabhängig von der namenkundlichen Erschließung, als „bedeutende Burg des Mittelalters an einem Hauptverkehrsweg“ in Zweifel gezogen, obwohl die abgebildete Lage und der wahre Standort so unterschiedlich waren? Abbildungen und ihre Interpretation scheinen im 18. Jahrhundert die gleiche Wirkung auf die Einwohner Fürths gehabt zu haben wie die verlockenden Angebote heutiger Internetseiten auf uns – und da ist der Inhalt auch nicht immer identisch mit dem, was draufsteht!
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