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Feuille ton

fäandezlag Im Skizzen von A. J. Wehner Um halb Neun dampft der Zug aus dem Nürnberger Hauptbahnhof. Es regnet. Her Zug hält um halb Elf in Etzelwang. Es reg­ net. Wir steigen aus, knöpfen unsere Mäntel zu und stellen fest: es regnet immer noeh. Wir marschieren los. Wir wandern über Berg und Tal, über Weg und Steg, durch Wald und Eeld — und durch den Regen. W ir sind : u gezogen, die fränkische Heimat kennen zu lernen, die sich heute so zeigt, wie sic nur wenige Menschen kennen: sie hat ihr heiteres Herbstkleid angezogen, und dort, wo die Kuppen mit Wald bestanden sind, leucht n alle Farben aus der bunten Palette der Natur. Vom schwermütigen Dun­ kelbraun bis zum zarten Hellgelb reichen die vielfältig abgestuften Farbtönungen, di.' der Herbst in ein paar kalten Nächten her­ vorgezaubert hat. Wenn man durch diesen Herbstwald wandert, vergißt man ganz, daß der Regen unermüdlich niederrauscht. Da herrscht so ein helles und strahlendes Licht, daß man glaubt, die Sonne sei plötzlich durch die Wolken gebrochen und ließe di? feuchten Blätter erglänzen. Aber die regen­ nassen, dunklen Stämme, die finster und drohend vor uns aufragen, wollen zu diesem Bild gar nicht passen. Wie schlecht gelaunte Riesen sehen sie aus, und es scheint, als hätte man ihnen das ausgelassene Farben­ kleid wie ein Faschingskostüm übergestülpt.

Außerhalb des W aldgebietes, in den Tälern und Mulden, dehnt sich eine müde, braungrüne Farbfläche, hinter der der Regen wie ein grauer Vorhang hängt. Manchmal er­ blicken wir unten im Tal ein Dorf. Niemand arbeitet heute auf den Feldern, obwohl da und dort ein Pflug am Rande eines abge­ ernteten Kornfeldes steht, als warte er un­ geduldig darauf, die unnützen Stoppeln ein­ zugraben. Wir sind heute die einzigen, die bei diesem Regenwetter unterwegs sind. Ei­ sern wandern wir weiter, wenn auch die Hosen schon steif vor Nässe unr die Beine schlottern und die Schuhe bei jedem Tritt quietschen. Der Rucksack hängt schwer am Rücken, und der Himmel — der Himmel beginnt gleich über unseren Köpfen. Regen. Regen, und keine Hoffnung auf eine Unter­ brechung. Aber sollen wir deshalb schlechter Laune sein und bissige Witze über die Wet­ terpropheten erzählen, die für heute leidlich trockenes Herbstwettcr gemeldet hatten? Nein, wir lassen uns nicht unterkriegen, und jetzt singen wir erst recht ein Lied, jawohl, ein zünftiges Wanderlied. Da fällt uns der Regen schon gar nicht auf. Er gehört schon fast dazu. Ein wenig naß werden wir zwar, aber dafür sehen wir unsere Heimat einmal in einem ganz anderen Gewand. Sic ist viel­ leicht bei einem Landregen noch reizvoller als bei herkömmlichem Sonnenschein, der zu jeder W anderung dazuzugehören scheint. Drei Stunden sind wir jetzt gewandert. Aber dann merken auch wir, daß die Mittagszeit schon lange überschritten ist. Nun sitzen wir im Rinnenbrunner Forsthaus und ver­ zehren zunächst einmal unsere Vorräte, denn das hat den Vorzug vor dem, was nachher beginnt: das große Trocknen. Im Halbkreis umstehen wir den großen Sägespäneofen, dessen Rohr schon fast in Rotglut ist. Socken,

Schuhe und ähnliche leichte Bekleidungs­ stücke werden an einem Strick in sicherer Entfernung über der Ofcnplatte aufgehängt. Wir stehen da und warten darauf, daß un­ sere Hosen trocken werden, wahrhaftig eine Beschäftigung für philosophisch veranlagte Geister. Die Praktiker unter uns hängen ihre Hose über die Lehne eines Stuhles und stel­ len den für sieh an den’ Ofen. Nach zwei Stunden sind Hosen und Socken einiger­ maßen getrocknet, dafür dampft es in der Wirtsstube wie in einer Waschküche. Doch wir müssen noch an den Marsch zur Herberge denken. Draußen vor den ange­ laufenen Fensterscheiben wird es langsam trüber und trüber. Die nahen Berge ver­ schwinden immer weiter in den tiefziehenden W'olkenschleiern. Es wird Zeit, aufzu­ brechen, und wir zwängen uns mit Gewalt in die feuchten Schuhe. Im Wald herrscht Dämmerlicht. Matsch, Steine, Wiesen voll Nässe, faulende Pilze und glitschige Blätter liegen auf unserem W eg. Solange er im Tal verläuft, schreiten wir rüstig voran. Aber bergauf stellt sich manches Hindernis in den W eg. Dann, wenn der Pfad unter unseren Schuhen davon­ glitscht, wenn jede unbeabsichtigte Bewe­ gung uns zu Boden werfen will, dann wird diese Wanderung erst richtig interessant. Manchmal ist nur ein Strauch am W'egrand für einen unter uns die letzte Rettung vor einem unfreiwilligen Schlammbad — so aufgeweicht ist der Boden durch den Dauer­ regen schon. Unmerklich wird cs hier im Wald dunkler. Das Farbenkleid der Bäume leuchtet nicht mehr so freudig wie am Morgen. Jetzt sind sie nur mehr helle Flecken in einem grau­ grünen Farbenmeer. Der Pfad ist kaum zu erkennen, und manchmal gluckst es, wenn einer der Kameraden eine Wasserpfütze übersehen hat. Nach kurzer Zeit erscheint der Waldweg nur noch als helle Gasse durch dunkle, nasse Baumwände, der schmale Streifen Himmel zwischen den Wipfeln nur mehr als schmutziggraues Band. Eintönig rauscht der Regen, und der Wind läßt uns manchmal die kalten, nassen Blätter der Bü­ sche ins Gesicht klatschen. Wird es morgen wohl auch noch regnen? Werden unsere Kleider über Nacht noch trocknen? Oder fällt die schöne mehrtägige Wanderung wirklich ins Wasser? —

W er von uns denkt jetzt schon an solche Fragen! Jetzt gefällt uns diese Wanderung erst. Wilde Gesellen sind wir, durchweht vom nassen Westwind, und dem Regen bie­ ten wir trotzig die Stirn. Wer von den an­ dern wagt es denn schon, bei Wind und Wetter zu wandern? Wer von den lächer­ lichen Spießbürgern kann schon auf den Sonnenschein verzichten? Wir versichern uns nicht gegen Regen, wir versuchen, den Sonnenschein mit uns zu bringen. Oft sagt man, die Jugend unserer Zeit sei nüchtern. Gehören wir da noch zu ihr, wenn wir uns an der Romantik einer Wanderung durch Nacht und Regen freuen? Mir scheint, auch die Romantik hat ihren Platz in unserem jungen Leben. Wir wollen damit keinen Kult treiben, wollen uns nicht daran berau­ schen und uns in süßeGefühlchen einwickeln, um den Blick für die Wirklichkeit zu ver­ gessen, aber ein wenig dürfen wir schon das echte Gefühl sprechen lassen. Nicht mit den unbestechlichen Augen des nur Intellek­ tuellen noch mit den blasierten Lächeln ei­ nes Großstadtjünglings wollen wir wandern, nein, ich finde, einmal dürfen wir ruhig unsere Phantasie spielen lassen, dürfen wie­ der an Schmuggler und Vagabunden denken, wenn unser Vordermann wie ein Schatten durch die gespenstische Nacht gleitet, wenn in der Ferne warme Lichter an den Berg­ hängen leuchten. Und froh dürfen wir dann auch sein, wenn wir die Herberge erreicht haben und den Abend gemütlich in der großen Stube ver­ bringen. Da gibt es heißen Tee und im Ofen ein knisterndes Feuer. Draußen trommelt der Regen gegen die Fensterläden, und drin­ nen zittern die Tische von den Trümpfen derer, die unermüdlich ihren Skat klopfen. Ich denke zurück an den vergangenen Tag, sehe im Geiste noch die Zweige wie Schemen in den Weg greifen, sehe den Regenumhang meines Kameraden vor mir. sehe seine bei­ den Schuhe, die sich gleichmäßig wie die Kolben einer Maschine bewegen, auf, ab, auf, ab. Jetzt erst fällt mir ein, was diesen Tag so schön gemacht hat: bei unserer W anderung fiel kein einziges mürrisches Wort, kein Schimpfen über den Regen wurde laut. Ha­ ben wir mit unseren Wanderliedern nur „Stimmung gemacht“ — oder sangen wir wirklich aus ganzem Herzen? Ich glaube, etwas Echtes war schon daran. Vielleicht sind wir eben doch nicht die Tangojüng­ linge, die verbummelten Studentlein, die nüchternen Intellektuellen, für die man uns gerne hält? Heute waren wir sie jedenfalls nicht.

Wandertag oder Dauerlauf? So sieht eine Klasse des Mädchenrealgymnasiums ihren Wandertag Stimmung: Zunächst famos, allmählich von mittel- bis saumäßig absinkend. Früh am Morgen trafen wir uns, von Nebel­ schwaden eingehüllt und am ganzen Leibe schlotternd. Nachdem die Lehrkraft — man höre und staune — 10 Minuten nach der vereinbarten Zeit eingetroffen war, fand der Dauerlauf, der vorher zwecks Erwärmung veranstaltet worden war, seine Fortsetzung in der Wanderung, wobei mehr die Dauer als der Lauf beachtet werden muß. Zu un­ serer großen Verwunderung wurde unter­ wegs eine Fünf-Minuten-Rast eingelegt. Die große Mittagspause von einer Viertelstunde

fand in einem Gasthof statt, wo die Klasse in einzelnen Stoßtrupps eintraf; der letzte kam gerade, als der erste schon wieder auf­ brach. Auf dem Rückweg betätigten sich die Schülerinnen als Langstrecken - Rekordler (Dauer Lauf). Nach Zusammenbrechen der letzten Schülerin wurde eine größere Pause eingelegt. Die Schülerinnen, die sich beim Beginn der Wanderung vorgenommen hatten, Räuber und Schänder zu spielen, mußten erkennen, daß sie dazu nur noch in der Straßenbahn Gelegenheit hatten. Allgemeiner Eindruck: Langweiliger ist cs nicht mal in der Schule. Jahrgang 3/2 Seite 7