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NFSZ 5/2

G irnus selbst erg reift das W ort: „W enn in einem W ald eine R äu b erb an d e haust, d an n ste llt m an n atü rlich eine W a rn ­ ta fe l auf und schreibt d ara u f: Vorsicht, R äuber! Nichts anderes tu t die Regie­ ru n g d er D eutschen D em okratischen R epublik, w enn sie Euch davor bew ah ­ ren will, im w estdeutschen R äuberw ald den A g entenzentralen u nd SabotageT ru p p s in die H ände zu fallen.“ „Aber, w enn w ir je tz t nicht fah ren d ürfen, dann w ird doch von drüben gegen u ns gehetzt, w ie m an so schön sagt . . N atio n alp re isträg e r Prof. M aetzig g reift ein. E r habe m it seinen S tu d en ten ü b er die W estreisen gespro­ chen, ihm sei b erichtet w orden, daß es S tu d en ten d e r DDR gebe, die im W esten b etteln gingen: „Die m achen das so: die nehm en sich einen S uppenw ürfel mit, u n d d am it besuchen sie m ittags eine w estdeutsche F am ilie und b itten darum , ih re Suppe kochen zu dürfen. U nd w enn sie d ann gefrag t w erden, ob sie nichts an d eres zu essen haben, sagen sie, sie käm en aus d e r O stzone — so heißt die DDR ja da drü b en —, u nd dann w erden sie zum M ittagessen eingeladen un d be­ kom m en noch Brote, die bis zum A bend reichen. U nd abends holen sie w ieder ih ren S u ppenw ürfel vo r — u nd auf diese W eise reisen sie bis nach N or­ w egen. Ist das m it der W ürde eines S tu d en ten d er ersten A rb e ite r- und B au ern m acht v e re in b a r? “ Die B lauhem ­ den im Saal sind zutiefst em pört. H einz M odrow erk lä rt, die Jugend d er DDR w erde den w estdeutschen A g en ten zentralen — dem K aiser-M in i­ steriu m und dem O stbüro der SPD — schon die rechte A n tw o rt erteilen. „Wir v erb rin g en u n se re F erien bei den K um ­ pels in d er Schw arzen P u m p e!“ Der S aal ist nicht überm äßig begeistert. „Wir werden Deutschland säubern“ Ein Teil d er V ersam m lung gibt sich m it d er B egründung des Reiseverbotes noch im m er nicht zufrieden. Da m eldet sich G erh ard E isler zu W ort, um w ieder einm al zu bezeugen, w eshalb er der S ta r dieser Jugen d fo ren ist. E r beginnt, v e rh a lte n und gedäm pft zu sprechen. E rst langsam ste ig e rt sich die Stim m e, bis schließlich das w ü ten d e Schreien des SE D -Professors den w eiten Saal füllt, sich überschlägt, tobt, von M ikrophon u n d L au tsprechern ins U nerträgliche g esteigert: „W ir verzichten ja nicht auf den R äuberw ald. A ber die R äuber m üs­ sen weg. Weg! In die G efängnisse m it den R äubern! W ir w erden O rdnung schaffen in W estdeutschland, u nd dann w erden w ir D eutschland beherrschen!“ A ls E islers A usbruch beendet ist, h errsch t einen A ugenblick Schweigen im Saal. F ü r eine V iertelstu n d e w ag t niem and, die A useinandersetzung üb er die W estreisen fortzusetzen. S ta tt dessen tau ch t eine andere F rage auf, die dem P räsid iu m nicht w eniger K u m m er bereitet: w aru m m an denn die w estb erlin er B auvorhaben so unsachlich k ritisiere. U n ter den E n tw ü rfen fü r das n eu e H ansa-V iertel sei doch vieles ü b e r­ zeugend u nd beachtlich. Genosse

Aus Politik und Zeitgeschichte

Schm idt, der S te llv e rtre te r des O ber­ b ü rg erm eisters von O stberlin, m eint, die w estb erlin e r A rc h ite k tu r sei aus einer an d eren w eltanschaulichen H al­ tu n g h erau s en tstan d en . Die B odenspe­ kulatio n en d er w estdeutschen M onopol­ h e rre n verschandelten alle S täd te im W esten, n u r in d er DDR k önne es eine gute A rch itek tu r geben. „U nsere B auten stehen noch im J a h re 2000!“ An dieser S telle lächeln selbst die lin ien treu esten Vopos, d ie sich d er unaufh ö rlich en R e­ p a ra tu re n in O stberlins P ra ch tstra ß e — d er Stalin-A llee, der ersten sozialisti­ schen S tra ß e des dem okratischen D eutschland, — erin n ern . „W ir b auen Städte, in denen der Sozialism us w o h ­ nen w ird. U nsere B auten dienen der A nnäh eru n g d er M enschen. Im W esten b a u t m an so, daß je d e r einzelne sich in seine W ohnung w ie in ein Schnecken­ gehäuse zurückziehen k an n .“ Und immer wieder: Westfahrten D as P räsid iu m erk lärt, m an sei froh darüber, an diesem A bend einen G ene­ ra l der N ationalen V olksarm ee dabei zu haben. N un m ü ß ten auch an d en G ene­ ra l F ragen g estellt w erden. Die F rag en bleiben aus. S ta tt dessen ste h t w ieder das V erbot d er W estreisen im M ittel­ p u n k t d er D iskussion. Im m er w ieder taucht diese Frage, die lä n g st b e a n t­ w ortet, län g st als u n erw ü n sch t abgetan ist, in neu er G estalt auf: die Ju g e n d ­ lichen w ollen wissen, w ie die A g en ten ­ w erbung erfolge, sie k ö n n ten es sich nicht vorstellen, daß dergleichen v e r­ sucht w erde. G erh ard E isler berich tet von einer S tu d en tin , die bei einem T anztee in H an n o v er von einem A gen­ ten des gesam tdeutschen M inisterium s angew orben w o rd en sei. M odrow n en n t die G rüne Woche, aus dem P u b lik u m m elden sich F D J-F u n k tio n äre, die E in ­ zelheiten ü b er den RIAS, ü b er das A m t fü r gesam tdeutsche S tud en ten frag en , üb er das O stbüro der SPD zu berichten wissen. D ie Jugendlichen geben sich nicht zufrieden. Auf diese Frage keine Antwort Ein S precher d er w estb erlin e r J u ­ gendorganisation „F alk en “ fragt, ob der Jugend M itteldeutschlands auch Reisen nach Jugoslaw ien v erboten seien. Das P räsid iu m w itte rt eine Falle, v ern e in t aber dennoch diese F rag e m it dem H in ­ weis, daß das V erbot n u r fü r die NATOS taaten gelte. „W arum w u rd e d an n 50 Jugendlichen, d ie im O stsektor w ohnen, untersagt, an einer Reise teilzunehm en, die w ir F alk en in diesem Som m er nach Jugoslaw ien u n te rn e h m e n ?“ Je tz t endlich .sieht das P räsid iu m einen Weg, sich aus der U m klam m erung d er F ragen zu lösen. E in politischer G egner ist da, gegen den m an n u n aus allen R ohren schießen kann. Ein F D Jler sp rin g t auf u n d w irft den F alk ep (einer w estdeutschen Jugen d o rg an isatio n , die d er SPD nah esteh t) vor, sich m it drei S tu d en ten solidarisch e rk lä rt zu haben, die am 1. M ai rote F ah n en beschädigt haben u nd die d ara u fh in vom S ta a ts­ sicherheitsdienst v e rh a fte t w urden. E rst als ein Z w ischenruf ertö n t: „Das w ar keine A n tw o rt!“, b eq u em t sich S ta a ts­

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se k re tä r G irnus zu der E rk läru n g , das R eiseverbot gelte nicht fü r Jugoslaw ien. W arum m an d ann den .fünfzig Ju g e n d ­ lichen die R eisegenehm igung versagt habe? Es erfolgt keine A ntw ort. Schauprozeßatmosphäre „Die F alk en haben sich im d em o k ra­ tischen S ek to r aufgelöst. Wie kom m t Ih r dazu, h ier solche F rag en zu stellen? Ih r h a b t im dem okratischen S ek to r nichts zu suchen.“ Die B lauhem den im Saal steig ern sich in im m er größere B eifallskundgebungen. Die Szene w ird zum T rib u n al: an g ek lag t ist die sozia­ listische Ju g en d o rg an isatio n „Die F a l­ k e n “. H einz M odrow : „Wo lan d et Ih r m it E u re r P o litik des A ufw eichens“ Bei uns seid I h r illegal. S precher der Ju g en d D eutschlands ist die F D J!‘‘ G erh ard E isler: „Ih r e rk lä rt Euch m it L euten solidarisch, die eine ro te F ah n e beschädigen. W er bei uns eine rote F ah n e an tastet, ist u n ser Feind, welche M itg lied sk arte e r auch hat. M erk t Euch das!“ Nun, da die M arschrichtung angezeigt ist, m elden sich eine ganze R eihe von F D J-F u n k tio n ären , um alle dem F alk e n -V e rtre te r ih re V erachtung zu b e­ kunden. V erzw eifelt k ä m p ft der w est­ b e rlin e r Jugendliche gegen die V or­ w ürfe, V erleum dungen, B eschuldigun­ gen, die von allen S eiten auf ihn n ie­ derprasseln. Seine w ied erh o lte Bitte, doch endlich die von ihm g estellte F rage zu b ea n tw o rten — w aru m keine Ju g o ­ slaw ien-R eisen? — v e rh a llt unbeachtet. W alter Schm idt: „Die F alk en ex istie­ re n bei uns nicht, u n d sie w erd en nicht existieren. Schert Euch zu den Faschi­ sten nach W estberlin, risk ie rt d o rt eine L ippe!“ Im S chlußw ort des P räsid iu m s h eiß t es noch einm al, auch dieses J u ­ g endforum sei sich tb arer A usdruck d er sozialistischen D em okratie gew esen. A uf je d e F rag e eine A ntw ort! „Bei u n s ist jed e D iskussion möglich, die der F ö rd e­ ru n g des Sozialism us d ien t.“ D ie F est­ stellung des P räsid iu m s tr if ft ins Schw arze. D iskussion ist möglich, aber n u r in n e rh a lb des System s. W er es w agen wollte, an die G ru n d ­ lagen des System s zu tasten , w e r es w agen w ollte, auch n u r anzudeuten, daß dieses System , welches ein sozialistisches g en a n n t w ird, von jen em echten Sozia­ lism us als ein er Bew egung d er F re ih eit und E m anzipation a lle r M enschen durch W elten g etre n n t w ird, w er versuchen w ollte, w irklich fre i zu d isk u tieren , v e r­ fä llt dem S tu rm ein er gelen k ten E n t­ rüstung, in dem seine Stim m e u n te r­ geht. Beim V erlassen des S aales sag t ein w estd eu tsch er S tudent, d e r d er Schau­ prozeß -A tm o sp h äre d er zw eiten H älfte dieses F orum s reichlich fassungslos ge­ folgt w ar, zu dem B e rich terstatter, er h ab e n u n einen Eindruck, w as faschisti­ sche M ethoden einer V ersam m lungslei­ tu n g sind. D er D ialek tik er G erh ard E is­ le r steh e dem V olksgerichtspräsidenten R oland F re isle r m ethodisch in nichts nach. M anfred Rexin.