119.042
Bearbeitungen
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
|||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
[[Datei:Gänsberg 1960.jpg|miniatur|rechts|Stadtplan des Gänsbergviertels, ca. 1960]] | [[Datei:Gänsberg 1960.jpg|miniatur|rechts|Stadtplan des Gänsbergviertels, ca. 1960]] | ||
Der '''Gänsberg''' ([[Fürther Sprache|färdderisch]]: "Goonsberch") war ein Fürther Altstadtteil. "Gänsberg" ist der Flurname für den Uferberg in Erstreckung zwischen [[Königstraße]] und [[Jüdischer Friedhof|jüdischem Friedhof]]. Der Name leitet sich von den ''Gänsen'' ab und nicht - wie um [[1700]] herum erfunden - vom ''Gehen''. Als eine der ersten Erwähnungen dieser bis heute geläufigen Bezeichnung ist bereits der März des Jahres [[1449]] zu nennen. Um [[1700]] versuchte man, den Namen durch die an die erfundene Definition angepasste Phantasiebezeichnung ''Gänger'' oder ''Gängenberg'' zu verdrängen. Im Bereich des Gänsbergviertels war von [[1617]] bis zum Jahre [[1938]], als es dem Naziterror zum Opfer fiel, das Zentrum der [[Fiorda|Jüdischen Gemeinde]] von Fürth - der [[Schulhof]]. | Der '''Gänsberg''' ([[Fürther Sprache|färdderisch]]: "Goonsberch") war ein Fürther Altstadtteil. "Gänsberg" ist der Flurname für den Uferberg in Erstreckung zwischen [[Königstraße]] und [[Jüdischer Friedhof|jüdischem Friedhof]]. Der Name leitet sich von den ''Gänsen'' ab und nicht - wie um [[1700]] herum erfunden - vom ''Gehen''. Als eine der ersten Erwähnungen dieser bis heute geläufigen Bezeichnung ist bereits der März des Jahres [[1449]] zu nennen. Um [[1700]] versuchte man, den Namen durch die an die erfundene Definition angepasste Phantasiebezeichnung ''Gänger'' oder ''Gängenberg'' zu verdrängen. Im Bereich des Gänsbergviertels war von [[1617]] bis zum Jahre [[1938]], als es dem Naziterror zum Opfer fiel, das Zentrum der [[Fiorda|Jüdischen Gemeinde]] von Fürth - der [[Schulhof]]. | ||
__TOC__ | |||
<br clear="all" /> | |||
==Beschreibung== | ==Beschreibung== | ||
[[Bild:Gänsberg.jpg|thumb|Der Goonsberch um 1900]] | |||
Beschreibung des Gänsbergviertels anhand eines Stadtspaziergangs im Jahr 1933 von Dr. [[Eduard Rühl]], ausgehend von der [[Maxbrücke]]:<br> | Beschreibung des Gänsbergviertels anhand eines Stadtspaziergangs im Jahr 1933 von Dr. [[Eduard Rühl]], ausgehend von der [[Maxbrücke]]:<br> | ||
:''Beim Rückweg biegen wir etwas rechts aus und steigen diesmal die [[Bergstraße]] hinauf, die der Eingeborene "Gänsberg" nennt. Das Häuser- und Straßengewinkel, das sich längs dieser findet, in der wir vielleicht die älteste Durchgangsstraße sehen dürfen, ist von ganz anderer Art als etwa die [[Königstraße]] oder der [[Marktplatz]]. Hier eine gewisse Weite und Behäbigkeit, dort (am Gänsberg) ist alles eng und dürftig und bescheiden. Während wir drüben an Marktplatz - Königstraße einen ständigen Verschönerungsprozess beobachten können, vom Fachwerk- bis zum dekorativen Empiregiebel, scheint hier nach dem Wiederaufbau von 1634 Entwicklung und Zeit stehengeblieben zu sein. Wir stehen im ursprünglichsten Teile von Alt-Fürth. Und doch hat, und das ist noch nicht so lange her, dieser eine Stadtteil sein äußeres auch einmal verändert. Zahlreiche Häuser dieses Viertels sind nämlich verschiefert und zwar nicht nur auf der Wetterseite, sondern allseits. Dieser Wechsel kann erst nach Erbauung der Eisenbahn erfolgt sein, denn Schiefer gibt es bei uns nirgends; erst die Eisenbahn brachte die Möglichkeit, dieses Werkmaterial verhältnismäßig billig zu bekommen. Wenn nun durch diese Verschieferung das alte Fachwerk fast restlos zugedeckt wurde und Schiefer einer malerischen Wirkung nicht gerade entgegenkommt, so kann doch auch diesen Häusern, besonders wenn sie irgendwie zu einer Gruppe zusammengefasst sind, ein gewisser Reiz nicht abgesprochen werden. Schreiten wir nun zum Beweise links durch den [[Schulhof]] (Hof vor der Synagoge), zu dem der Spitzturm der [[Kirche St. Michael|Michaelskirche]] herübergrüßt. Schon stehen wir wieder in der Königstraße und jetzt fällt uns auf, das auch auf sie die Verschieferung übergegriffen hat (...)''.<ref>Dr. Eduard Rühl: Das Gesicht von Alt-Fürth. In: Fränkische Heimat, Sonderheft, 12. Jahrgang, Juni 1933, S. 192</ref> | :''Beim Rückweg biegen wir etwas rechts aus und steigen diesmal die [[Bergstraße]] hinauf, die der Eingeborene "Gänsberg" nennt. Das Häuser- und Straßengewinkel, das sich längs dieser findet, in der wir vielleicht die älteste Durchgangsstraße sehen dürfen, ist von ganz anderer Art als etwa die [[Königstraße]] oder der [[Marktplatz]]. Hier eine gewisse Weite und Behäbigkeit, dort (am Gänsberg) ist alles eng und dürftig und bescheiden. Während wir drüben an Marktplatz - Königstraße einen ständigen Verschönerungsprozess beobachten können, vom Fachwerk- bis zum dekorativen Empiregiebel, scheint hier nach dem Wiederaufbau von 1634 Entwicklung und Zeit stehengeblieben zu sein. Wir stehen im ursprünglichsten Teile von Alt-Fürth. Und doch hat, und das ist noch nicht so lange her, dieser eine Stadtteil sein äußeres auch einmal verändert. Zahlreiche Häuser dieses Viertels sind nämlich verschiefert und zwar nicht nur auf der Wetterseite, sondern allseits. Dieser Wechsel kann erst nach Erbauung der Eisenbahn erfolgt sein, denn Schiefer gibt es bei uns nirgends; erst die Eisenbahn brachte die Möglichkeit, dieses Werkmaterial verhältnismäßig billig zu bekommen. Wenn nun durch diese Verschieferung das alte Fachwerk fast restlos zugedeckt wurde und Schiefer einer malerischen Wirkung nicht gerade entgegenkommt, so kann doch auch diesen Häusern, besonders wenn sie irgendwie zu einer Gruppe zusammengefasst sind, ein gewisser Reiz nicht abgesprochen werden. Schreiten wir nun zum Beweise links durch den [[Schulhof]] (Hof vor der Synagoge), zu dem der Spitzturm der [[Kirche St. Michael|Michaelskirche]] herübergrüßt. Schon stehen wir wieder in der Königstraße und jetzt fällt uns auf, das auch auf sie die Verschieferung übergegriffen hat (...)''.<ref>Dr. Eduard Rühl: Das Gesicht von Alt-Fürth. In: Fränkische Heimat, Sonderheft, 12. Jahrgang, Juni 1933, S. 192</ref> | ||
<br clear="all" /> | |||
== Entstehung == | == Entstehung == | ||
Die bäuerliche Prägung Fürths bestimmte lange das Stadtbild, ehe im 16. Jahrhundert das Handwerk und die Gewerbetreibenden im Ortsbild dominanter wurden. Diese Entwicklung ging einher mit der Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen aus den Niederlanden und Frankreich und dem Zuzug von Juden, deren Ansiedlung u. a. in Nürnberg untersagt war. Letzteres war zumindest von dem Bamberger Domprobst und dem Ansbacher Marktgraf gewünscht bzw. bewusst als Ansiedlungspolitik betrieben worden, um z. B. die Einnahmen von Schutzgeldzahlungen zu erhöhen oder das Wachstum des Ortes durch Handel zu fördern.<ref name="Windsbacher">Bernd Windsbacher: Geschichte der Stadt Fürth, C. H. Beck, München, 2007, S. 31</ref> | Die bäuerliche Prägung Fürths bestimmte lange das Stadtbild, ehe im 16. Jahrhundert das Handwerk und die Gewerbetreibenden im Ortsbild dominanter wurden. Diese Entwicklung ging einher mit der Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen aus den Niederlanden und Frankreich und dem Zuzug von Juden, deren Ansiedlung u. a. in Nürnberg untersagt war. Letzteres war zumindest von dem Bamberger Domprobst und dem Ansbacher Marktgraf gewünscht bzw. bewusst als Ansiedlungspolitik betrieben worden, um z. B. die Einnahmen von Schutzgeldzahlungen zu erhöhen oder das Wachstum des Ortes durch Handel zu fördern.<ref name="Windsbacher">Bernd Windsbacher: Geschichte der Stadt Fürth, C. H. Beck, München, 2007, S. 31</ref> | ||
Zeile 23: | Zeile 24: | ||
Während des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Stadt rasant weiter, allerdings konnte sie sich ausschließlich Richtung Süden und Osten weiterentwickeln. Durch die Randlage im Mündungsbereich zweier Flüsse vermochte sich der Siedlungskern nur einseitig weiterzuentwickeln, da die Bereiche nördlich und westlich als Überschwemmungsgebiet nicht in Frage kamen. | Während des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Stadt rasant weiter, allerdings konnte sie sich ausschließlich Richtung Süden und Osten weiterentwickeln. Durch die Randlage im Mündungsbereich zweier Flüsse vermochte sich der Siedlungskern nur einseitig weiterzuentwickeln, da die Bereiche nördlich und westlich als Überschwemmungsgebiet nicht in Frage kamen. | ||
<br clear="all" /> | |||
== Wohn- und Arbeitsplatz Gänsberg == | == Wohn- und Arbeitsplatz Gänsberg == | ||
Infolge der großen Zuwanderung wuchs das „''nach der Einwohnerzahl nur mittelgroße Fürth … in seinem städtebaulichen Habitus als Teil der Agglomeration in großstädtische Dimensionen hinein''."<ref name="Habel">Heinrich Habel: Denkmäler in Bayern – Stadt Fürth V.61. Karl-M.-Lipp-Verlag, München, 1994, S. XVII</ref> Das heißt, dass die zum Teil drastische Bevölkerungsvermehrung mit der Wohnraumbeschaffung in vielen Fällen kaum mithalten konnte. Dies galt insbesondere für die sozial schwächeren und ärmeren Schichten der Bevölkerung, die für die Produktion von Gütern in zum Teil extrem prekären Arbeitsverhältnissen ihr Auskommen verdienen mussten. Wohnten um [[1700]] noch ca. 6.000 Menschen in Fürth, waren es keine 100 Jahre später bereits doppelt so viele. Bis [[1900]] hatte sich die Bevölkerung innerhalb von nur 200 Jahren fast verzehnfacht. Der Zuzug der Menschen wirkte sich u. a. in der Stadtentwicklung vor allem baulich dadurch aus, dass eine massive Verdichtung der bestehenden Siedlung am Gänsberg vollzogen wurde. In vielen Hinterhöfen entstanden zusätzliche Gebäude, bestehende Gebäude wurden aufgestockt und selbst die Haupthäuser der Eigentümer wurden so umgebaut, dass sie weitere Mieter aufnehmen konnten. Auf diese Art wurden besonders im späten 17. und im 18. Jahrhundert viele Grundstücke in ihrer Bausubstanz verändert, um Raum zu schaffen. Schon [[1799]] stellte der Zeitgenosse J. K. Bundschuh das alte Fürth als völlig übervölkerte Ansiedlung dar: „''Die große Anzahl der Einwohner (steht) in keinem Verhältnisse mit der Häuserzahl – so wohnen gewöhnlich fünf, sechs, zwölf bis fünfzehn Familien in einem Hause und im sogenannten langen Hause sogar 36 Haushaltungen''.“<ref name="Habel"/> Gemeint war hier das „Lange Haus“ an der [[Baldstraße]] aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, einem Vorläufer der Mietskaserne, das allerdings um [[1900]] durch eine Mietshausgruppe ersetzt wurde. | Infolge der großen Zuwanderung wuchs das „''nach der Einwohnerzahl nur mittelgroße Fürth … in seinem städtebaulichen Habitus als Teil der Agglomeration in großstädtische Dimensionen hinein''."<ref name="Habel">Heinrich Habel: Denkmäler in Bayern – Stadt Fürth V.61. Karl-M.-Lipp-Verlag, München, 1994, S. XVII</ref> Das heißt, dass die zum Teil drastische Bevölkerungsvermehrung mit der Wohnraumbeschaffung in vielen Fällen kaum mithalten konnte. Dies galt insbesondere für die sozial schwächeren und ärmeren Schichten der Bevölkerung, die für die Produktion von Gütern in zum Teil extrem prekären Arbeitsverhältnissen ihr Auskommen verdienen mussten. Wohnten um [[1700]] noch ca. 6.000 Menschen in Fürth, waren es keine 100 Jahre später bereits doppelt so viele. Bis [[1900]] hatte sich die Bevölkerung innerhalb von nur 200 Jahren fast verzehnfacht. Der Zuzug der Menschen wirkte sich u. a. in der Stadtentwicklung vor allem baulich dadurch aus, dass eine massive Verdichtung der bestehenden Siedlung am Gänsberg vollzogen wurde. In vielen Hinterhöfen entstanden zusätzliche Gebäude, bestehende Gebäude wurden aufgestockt und selbst die Haupthäuser der Eigentümer wurden so umgebaut, dass sie weitere Mieter aufnehmen konnten. Auf diese Art wurden besonders im späten 17. und im 18. Jahrhundert viele Grundstücke in ihrer Bausubstanz verändert, um Raum zu schaffen. Schon [[1799]] stellte der Zeitgenosse J. K. Bundschuh das alte Fürth als völlig übervölkerte Ansiedlung dar: „''Die große Anzahl der Einwohner (steht) in keinem Verhältnisse mit der Häuserzahl – so wohnen gewöhnlich fünf, sechs, zwölf bis fünfzehn Familien in einem Hause und im sogenannten langen Hause sogar 36 Haushaltungen''.“<ref name="Habel"/> Gemeint war hier das „Lange Haus“ an der [[Baldstraße]] aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, einem Vorläufer der Mietskaserne, das allerdings um [[1900]] durch eine Mietshausgruppe ersetzt wurde. | ||
Zeile 34: | Zeile 35: | ||
Eine Untersuchung der Wohnverhältnisse aus dem Jahr [[1907]] belegt eindrucksvoll, dass um die Jahrhundertwende nach wie vor 35 % aller Fürther Betriebe in Nebenräumen von Wohnungen untergebracht waren, die häufig in den älteren und kleinindustriell durchsetzten Vierteln in den unteren Geschossen existierten. Von 1.930 Wohnungen waren 14 % mit einer gewerblichen Nutzung in den Nebenräumen und Rückgebäuden zu finden, während weitere 41 % der gewerblich genutzten Räume sich in den Obergeschossen befanden. Allerdings sind diese Zahlen schon damals kritisiert und als geschönt bewertet worden, da laut Definition die Überbelegung erst dann der Fall war, wenn in einem heizbaren Raum mehr als vier Personen wohnten bzw. in zwei Zimmer mehr als sieben und in drei mehr als zehn Personen wohnten. Damit lag die Bewohnerzahl je Hausgrundstück um [[1900]] bei 24,8 Personen pro Anwesen. Lediglich Berlin mit 77 und München mit 37 Personen pro Anwesen lagen deutlich darüber. | Eine Untersuchung der Wohnverhältnisse aus dem Jahr [[1907]] belegt eindrucksvoll, dass um die Jahrhundertwende nach wie vor 35 % aller Fürther Betriebe in Nebenräumen von Wohnungen untergebracht waren, die häufig in den älteren und kleinindustriell durchsetzten Vierteln in den unteren Geschossen existierten. Von 1.930 Wohnungen waren 14 % mit einer gewerblichen Nutzung in den Nebenräumen und Rückgebäuden zu finden, während weitere 41 % der gewerblich genutzten Räume sich in den Obergeschossen befanden. Allerdings sind diese Zahlen schon damals kritisiert und als geschönt bewertet worden, da laut Definition die Überbelegung erst dann der Fall war, wenn in einem heizbaren Raum mehr als vier Personen wohnten bzw. in zwei Zimmer mehr als sieben und in drei mehr als zehn Personen wohnten. Damit lag die Bewohnerzahl je Hausgrundstück um [[1900]] bei 24,8 Personen pro Anwesen. Lediglich Berlin mit 77 und München mit 37 Personen pro Anwesen lagen deutlich darüber. | ||
<br clear="all" /> | |||
== Beginn des 20. Jahrhunderts == | == Beginn des 20. Jahrhunderts == | ||
[[Datei:Gänsberg Winter A3043.jpg|miniatur|links|Gänsberg im Winter, 1938]] | |||
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gänsberg nach dessen völliger Zerstörung im Jahre [[1634]] sich nur langsam baulich wieder erholte. Dabei konnte aber das Wachstum der baulichen und infrastrukturellen Substanz nicht mit dem Wachstum der Bevölkerung mithalten, so dass es in vielen Bereichen zu eklatant schlechten Wohnverhältnissen kam. Die gleichzeitige Industriealisierung und Zunahme der gewerblichen Betriebe führten zu einer weiteren Verschlechterung der Gesamtsituation. In der Summe – neben dem weiteren Aspekt des steigenden Verkehrsaufkommens – konnte sich die Stadtentwicklung nur südlich bzw. südöstlich weiter ausdehnen, wie es das 18. und vor allem das späte 19. Jahrhundert sehr anschaulich belegen durch die Vielzahl der entstanden Häuser in der Ost- und Südstadt. Die meisten Investitionen der Grundstückseigentümer, aber auch der Kommune, konzentrierten sich auf die neuen zentralen Bereiche der Stadt und deren Erweiterungsgebiete, womit sich die Mitte der Stadt immer weiter nach Osten verschob. Im Gegensatz zu anderen Städten wie Nürnberg, Regensburg oder Rothenburg war die Fürther Altstadt zu diesem Zeitpunkt für die Bevölkerung nicht identitätsstiftend genug, um einen weiteren Verfall der Altstadt aufzuhalten. Vielmehr beginnt eine Abwanderungsbewegung aus der Altstadt. Wer es sich leisten kann, versucht bereits im späten 19. Jahrhundert aus dem Gänsberg wegzuziehen, in die weit modernen und besseren Stadtteile Fürths. | Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gänsberg nach dessen völliger Zerstörung im Jahre [[1634]] sich nur langsam baulich wieder erholte. Dabei konnte aber das Wachstum der baulichen und infrastrukturellen Substanz nicht mit dem Wachstum der Bevölkerung mithalten, so dass es in vielen Bereichen zu eklatant schlechten Wohnverhältnissen kam. Die gleichzeitige Industriealisierung und Zunahme der gewerblichen Betriebe führten zu einer weiteren Verschlechterung der Gesamtsituation. In der Summe – neben dem weiteren Aspekt des steigenden Verkehrsaufkommens – konnte sich die Stadtentwicklung nur südlich bzw. südöstlich weiter ausdehnen, wie es das 18. und vor allem das späte 19. Jahrhundert sehr anschaulich belegen durch die Vielzahl der entstanden Häuser in der Ost- und Südstadt. Die meisten Investitionen der Grundstückseigentümer, aber auch der Kommune, konzentrierten sich auf die neuen zentralen Bereiche der Stadt und deren Erweiterungsgebiete, womit sich die Mitte der Stadt immer weiter nach Osten verschob. Im Gegensatz zu anderen Städten wie Nürnberg, Regensburg oder Rothenburg war die Fürther Altstadt zu diesem Zeitpunkt für die Bevölkerung nicht identitätsstiftend genug, um einen weiteren Verfall der Altstadt aufzuhalten. Vielmehr beginnt eine Abwanderungsbewegung aus der Altstadt. Wer es sich leisten kann, versucht bereits im späten 19. Jahrhundert aus dem Gänsberg wegzuziehen, in die weit modernen und besseren Stadtteile Fürths. | ||
Zeile 42: | Zeile 44: | ||
Zunächst hatte Fürth den Vorteil, dass die Bausubstanz während des Zweiten Weltkrieges weitestgehend erhalten geblieben war, dass sich jetzt aber gewissermaßen zu einem Nachteil für die Stadt auswirkte. Die meisten umliegenden Städte waren ausgebombt und boten somit keinen Wohnraum – nur Fürth nicht - hier befanden sich noch intakte Häuser und Wohnungen, gerade im Altstadtbereich bzw. im Gänsberg. Während also die Zuwanderungswellen in der Vergangenheit noch in der Quantität überschaubar waren, stellte es nun nach [[1945]] die Stadt vor fast unlösbare Probleme. Noch zum Kriegsende wohnten in Fürth knapp 60.000 Menschen, doch das änderte sich schnell. Zunächst mussten die Menschen aus den ausgebombten Nachbarstädten in dem bestehenden Wohnbestand untergebracht werden (ca. 10.000 Menschen alleine aus Nürnberg), gefolgt von den Kriegsflüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten des Reiches. Gleichzeitig kamen die Heimkehrer und Kriegsgefangenen langsam wieder in ihre Stadt zurück (ca. 8 – 10.000 Menschen) und zusätzlich mussten noch Ausländer und Staatenlose mit aufgenommen werden, die eine Bleibe suchten. Erschwerend kam hinzu, dass die US-Militärregierung ca. 600 bis 700 Wohnungen für ihre eigenen Zwecke beschlagnahmt hatte.<ref>Barbara Ohm: Fürth – Geschichte der Stadt. Jungkunz Verlag, Fürth, 2007, S. 319</ref> Bereits nach kurzer Zeit war im Sommer [[1945]] die Einwohnerzahl wieder gleich die der Vorkriegszeit, nämlich ca. 79.000 Einwohner – innerhalb von nur ein paar wenigen Wochen ein Plus von knapp 20.000 Menschen. Nur wenige Monate später waren es erneut 10.000 Einwohner mehr und im Oktober [[1946]] erreicht die Stadt knapp die 100.000-Einwohner-Marke. Das Zuzugsverbot, dass bereits am [[27. Juli]] [[1945]] durch die US-Militärregierung erlassen wurde, hatte faktisch keine Bedeutung. Bis [[1955]] kamen insgesamt 17.010 Vertriebene aus den ehem. Ostgebieten und nochmals 3.629 Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone, der künftigen DDR, nach Fürth.<ref>Hirt, W.: Fürth – Wiederaufbau eines Gemeinwesens – Entwicklung einer Großstadt 1946 – 1955, Fürth, 1956, S. 105</ref> Ein Großteil der Zuwanderer fand erst einmal ein Bleibe im völlig überfüllten Gänsberg, ehe neue Wohnsiedlungen fertig gestellt wurden und für eine Entlastung im Wohnungsmarkt sorgten. | Zunächst hatte Fürth den Vorteil, dass die Bausubstanz während des Zweiten Weltkrieges weitestgehend erhalten geblieben war, dass sich jetzt aber gewissermaßen zu einem Nachteil für die Stadt auswirkte. Die meisten umliegenden Städte waren ausgebombt und boten somit keinen Wohnraum – nur Fürth nicht - hier befanden sich noch intakte Häuser und Wohnungen, gerade im Altstadtbereich bzw. im Gänsberg. Während also die Zuwanderungswellen in der Vergangenheit noch in der Quantität überschaubar waren, stellte es nun nach [[1945]] die Stadt vor fast unlösbare Probleme. Noch zum Kriegsende wohnten in Fürth knapp 60.000 Menschen, doch das änderte sich schnell. Zunächst mussten die Menschen aus den ausgebombten Nachbarstädten in dem bestehenden Wohnbestand untergebracht werden (ca. 10.000 Menschen alleine aus Nürnberg), gefolgt von den Kriegsflüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten des Reiches. Gleichzeitig kamen die Heimkehrer und Kriegsgefangenen langsam wieder in ihre Stadt zurück (ca. 8 – 10.000 Menschen) und zusätzlich mussten noch Ausländer und Staatenlose mit aufgenommen werden, die eine Bleibe suchten. Erschwerend kam hinzu, dass die US-Militärregierung ca. 600 bis 700 Wohnungen für ihre eigenen Zwecke beschlagnahmt hatte.<ref>Barbara Ohm: Fürth – Geschichte der Stadt. Jungkunz Verlag, Fürth, 2007, S. 319</ref> Bereits nach kurzer Zeit war im Sommer [[1945]] die Einwohnerzahl wieder gleich die der Vorkriegszeit, nämlich ca. 79.000 Einwohner – innerhalb von nur ein paar wenigen Wochen ein Plus von knapp 20.000 Menschen. Nur wenige Monate später waren es erneut 10.000 Einwohner mehr und im Oktober [[1946]] erreicht die Stadt knapp die 100.000-Einwohner-Marke. Das Zuzugsverbot, dass bereits am [[27. Juli]] [[1945]] durch die US-Militärregierung erlassen wurde, hatte faktisch keine Bedeutung. Bis [[1955]] kamen insgesamt 17.010 Vertriebene aus den ehem. Ostgebieten und nochmals 3.629 Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone, der künftigen DDR, nach Fürth.<ref>Hirt, W.: Fürth – Wiederaufbau eines Gemeinwesens – Entwicklung einer Großstadt 1946 – 1955, Fürth, 1956, S. 105</ref> Ein Großteil der Zuwanderer fand erst einmal ein Bleibe im völlig überfüllten Gänsberg, ehe neue Wohnsiedlungen fertig gestellt wurden und für eine Entlastung im Wohnungsmarkt sorgten. | ||
<br clear="all" /> | |||
== "Flächensanierung" == | |||
[[Bild:'Alter'_Gänsberg.jpg|thumb|right| Luftbild des "alten" Gänsbergs zu Beginn der Flächensanierung, der Parkplatz gegenüber der [[Kirche St. Michael]] ist der Bereich des zerstörten "[[Schulhof]]s"]] | [[Bild:'Alter'_Gänsberg.jpg|thumb|right| Luftbild des "alten" Gänsbergs zu Beginn der Flächensanierung, der Parkplatz gegenüber der [[Kirche St. Michael]] ist der Bereich des zerstörten "[[Schulhof]]s"]] | ||
[[Bild:Utopia.jpg|thumb|left|Gedankenspiele zur Neubebauung]] | [[Bild:Utopia.jpg|thumb|left|Gedankenspiele zur Neubebauung]] | ||
[[Datei:A1722 Gänsbergabriss.jpg|thumb|right|Stand der Abrissarbeiten um 1973]] | [[Datei:A1722 Gänsbergabriss.jpg|thumb|right|Stand der Abrissarbeiten um 1973]] | ||
Zeile 55: | Zeile 57: | ||
* Siehe '''Hauptartikel [[Flächensanierung]]''' | * Siehe '''Hauptartikel [[Flächensanierung]]''' | ||
[[Datei:Luftbild Gänsberg Abriss.jpg|miniatur|rechts|Aufnahme vom Gänsberg während der Flächensanierung, ca. 1970]] | [[Datei:Luftbild Gänsberg Abriss.jpg|miniatur|rechts|Aufnahme vom Gänsberg während der Flächensanierung, ca. 1970]] | ||
<br clear="all" /> | |||
==Literatur== | ==Literatur== | ||
Zeile 66: | Zeile 68: | ||
* Susanne Rieger, Gerhard Jochem: ''Die Abräumer: 20 Jahre nach Abschluß der Flächensanierung des Gänsbergviertels in Fürth'', 13. Juli 2006 - [http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_FU_TO_gaensber.pdf PDF-Datei] | * Susanne Rieger, Gerhard Jochem: ''Die Abräumer: 20 Jahre nach Abschluß der Flächensanierung des Gänsbergviertels in Fürth'', 13. Juli 2006 - [http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_FU_TO_gaensber.pdf PDF-Datei] | ||
* Birgit Heidingsfelder: ''[http://www.nordbayern.de/region/fuerth/furths-verlorenes-viertel-gluckliche-kindheit-am-gansberg-1.5554583 Fürths verlorenes Viertel: Glückliche Kindheit am Gänsberg]'' In: [[Nordbayern.de]] vom 16. Oktober 2016. | * Birgit Heidingsfelder: ''[http://www.nordbayern.de/region/fuerth/furths-verlorenes-viertel-gluckliche-kindheit-am-gansberg-1.5554583 Fürths verlorenes Viertel: Glückliche Kindheit am Gänsberg]'' In: [[Nordbayern.de]] vom 16. Oktober 2016. | ||
<br clear="all" /> | |||
==Siehe auch== | ==Siehe auch== | ||