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4. Integrativer Kindergarten Allerdings wuchsen seit Anfang der achtziger Jahre die Schatten eines wirtschaftlichen Rückgangs in der Bundesrepublik, der sich vornehmlich am Arbeitsmarkt und auf die Chancen der beruflichen Eingliederung und Beschäftigung von behinderten Menschen auswirkte, aber auch die personelle Versorgung mancher Sonderschulen beeinflusste und schließlich zum stufenweisen Sozialabbau führte. Unversehens wurde die Erhaltung sonderpädagogischer Maßnahmen und Einrichtungen angesichts angespannter Haushaltslagen zum Thema. In Fürth verband man zum Beispiel in Zusammenhang mit dem zweiten Haushaltsstrukturgesetz im Frühjahr 1982 entsprechende Befürchtungen. Im Rahmen des Gesetzes mussten sich Eltern nun an betreuende Maßnahmen beteiligen. Zuvor war ihnen lediglich ein Betrag von 34 Mark pro Kind und Monat für die „häusliche Ersparnis“ abverlangt worden. Allerdings gab es im Bayerischen Sonderschulgesetz andere Richtlinien, die die Gesetzesänderung des Bundes wieder ausglichen, so dass im Ergebnis nur ein größerer Papierkrieg herauskam. Die Lebenshilfe befürchtete nun, dass wegen des überhöhten Verwaltungsaufwandes manche besser verdienenden Eltern ihre Kinder aus der Tagesstätte abmeldeten, was indirekt zu Kürzungen des Stellenplanes und zu einem geschmälerten therapeutischen Angebot führen würde. Bei der Lebenshilfe griffen Schule und Tagesstätte ineinander. Da das Haus als Ganztagesstätte konzipiert war, fielen auch die Therapien weg, sobald ein Kind aus der Tagesstätte genommen wurde. Eine Lehrkraft kommentierte das 1982 so: „Gleich nach dem Jahr der Behinderten werden die Leistungen zurückgeschraubt. Ein eindeutiger Rückschritt.“ Die am 28. Dezember 1981 - also noch im „Jahr der Behinderten“ - beschlossene Gesetzesänderung brachte in den meisten Fällen für die Eltern behinderter Kinder eine finanzielle Belastung (sofern nicht das bayerische Sonderschulgesetz griff), der Platz in einer Tagesstätte für behinderte Kinder kostet seinerzeit monatlich etwa 200 Mark (ein normaler Kindergartenplatz 60 Mark). Auch die Offenlegungspflicht der Einkommens- und Vermögensverhältnisse wurden als diskriminierend empfunden. Das Sommerfest der Lebenshilfe im Juli 1982 war wieder eine Großveranstaltung mit zahlreichen Entertainern und Shows. Im Juli 1982 besuchte das Infomobil der Aktion Sorgenkind Fürth. Die Berater des Infomobils wurden rege in Anspruch genommen. In der Frühförderung der Lebenshilfe unter der Leitung von Heidi Dröge betreute ein interdisziplinäres Team von sechs Fachkräften 94 Kinder in Stadt und Landkreis. Heidi Dröge und die Frühförderung schoben ein neues Projekt an, den integrativen Kindergarten. Behinderte und nicht behinderte Kinder zwischen drei und sechs Jahren sollten unter Anleitung von Fachkräften miteinander spielen und aufwachsen. Der am 1. Oktober 1982 eröffnete integrative Kindergarten war zunächst versuchsweise auf ein Jahr konzipiert. Es gab durchaus Widerstände gegen das Projekt. So standen beispielsweise Befürchtungen Eltern nicht behinder-

ter Kinder dagegen, dass ihre Sprösslinge durch den Kontakt mit behinderten Kindern auf deren Niveau „herabgezogen“ würden. Heidi Dröge hielt dem entgegen, dass behinderte Kinder im emotionalen Bereich nicht behinderten „haushoch überlegen“ seien. Von einem engen Kontakt hätten somit beide einen Nutzen. Die behinderten Kinder bekämen soziale Kontakte, die nicht behinderten könnten gesellschaftliche Grenzen überwinden. Aber auch manche Eltern behinderter Kinder hatten Bedenken: Hatte man nicht in den letzten Jahrzehnten mühsam die eigene Schule, eigene Einrichtungen für behinderte Kinder geschaffen? War das durch das Konzept der Integration nicht gefährdet? Die Bedenken wurden durchaus ernstgenommen, aber man wollte einen Versuch starten. Karl Reinmann gab die Zusage, dass im Vereinszentrum an der Aldringerstraße ein Domizil zur Verfügung gestellt würde. Das Jugendamt übernahm 80 Prozent der Kosten. Die Stadt und der Trägerverein machten der engagierten Gruppe um Heidi Dröge keinerlei Auflagen hinsichtlich der Ausrichtung und dem Umfang des Vorhabens. Anfang Juni 1982 billigte Karl Reinmann und der Vorstand das umfangreiche Konzept des Kindergartens – damit war das Versuchsstadium überwunden und der Kindergarten konnte ganz offiziell eingeweiht werden. Als dankbare Geste gegenüber dem kooperativen Vorstand bekam das Projekt vom Team den Namen „Karl-ReinmannKindergarten“. Der erste integrative Kindergarten - damals übrigens als 30. Kindergarten in Fürth - wurde am 2. November 1982 mit zehn nichtbehinderten und fünf behinderten Kindern eingeweiht. Inzwischen hatte das bayerische Kultusministerium das Projekt als Modellversuch anerkannt.

5. Erste zentrale Unterbringung der Sprachheilschule Schon vor der offiziellen Einweihung des integrativen Kindergartens kam die Lebenshilfe im August und September 1982 in einen gravierenden finanziellen Engpass, da die Regierung mit der Erstattung des Sach- und Personalaufwandes in Verzug geraten war. Zunächst fehlten 1,65 Millionen, im September immerhin noch 1,27 Millionen Mark. Die Summen betrafen den Betrieb der Sonderschule für geistig behinderte Kinder an der Aldringerstraße sowie die Schulen für stark sprachbehinderte Kinder, die mittlerweile provisorisch in vier Anwesen in der Stadt untergebracht waren. Die Mittel waren zwar bereitgestellt, aber die zur Freistellung notwendige Abrechnung des Sach- und Personalaufwandes der Sprachheilschule konnte erst verspätet vorgelegt werden, da die Schule erst kurz bestand. Zur Vorfinanzierung der Millionensumme musste sich die Lebenshilfe „total blankstellen“, der Kreditrahmen um 100.000 Mark überzogen werden. Abgesehen davon waren die Ansparungen schon von einer Reihe von Investitionen belastet. Der vereinte Einsatz der Fürther Landtagsabgeordneten beschleunigte die Freigabe der ausstehenden Mittel ganz erheblich. So konnten auch die 250.000 Mark für den Umzug der schulvorbereitenden Einrichtung für stark sprachbehinderte Kinder (vier „Provisoriumsstellen“) in das ehemalige BIGVerwaltungsgebäude an der Erlanger Straße in Anspruch

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