Auch der Umzug der Sonderschule war im Jahre 1977
vollzogen, wenngleich die offizielle Einweihung erst im
Folgejahr stattfand. Mittlerweile betreute die Lebenshilfe
15 Kinder in der Frühförderung, 22 Kinder in drei Gruppen
der Schulvorbereitenden Einrichtung (SVE), 91 Kinder in
zehn Schulgruppen sowie vier Gruppen Berufsschule. Der
SVE und der Schule wurde die Tagesstätte angeschlossen.
In diesem Jahr wurden die Kinder der Lebenshilfe mehrfach zu Veranstaltungen eingeladen, so zum Beispiel von
den Schaustellern zum Fürther Frühlingsfest, das seinerzeit
am Lohnert-Sportplatz stattfand. Die Auszubildenden der
Schickedanz Kleiderfabrik feierten, wie im vorherigen Jahr,
bei der Lebenshilfe ihr Weihnachtsfest.
Zum 1. August 1977 wurde in Fürth ein „BehindertenTaxi“ eingeführt. Der Bezirk übernahm die Kosten für
vier Fahrten in der Woche, behinderte Menschen zahlten
je nach Einkommen eine Beteiligung.
Am 2. Juni 1978 lud die Lebenshilfe Fürth e.V. zur
Einweihung der - schon bezogenen - privaten
Sondervolksschule für geistig behinderte Menschen ein.
Die Sondervolksschule war mit einem Kostenaufwand
von 4,5 Millionen Mark errichtet worden. Sie enthielt
nicht nur nette und freundliche Schulräume, Lehrküche
und Arbeitszimmer, sondern auch Gymnastiksäle und im
Untergeschoß sogar ein Schwimmbad. Der Fürther Maler
Hans Langhojer hatte den nüchternen Zweckbau mit bunten Riesenbildern verschönert.
Ein Klassenraum der Sondervolksschule (Förderschule) im Oktober 1979. (Foto: Knut Meyer).
Architekt Bernhard Heid, der schon für die Planung der Werkstätte verantwortlich gewesen war, übergab anstelle eines Schlüssels - moderne Schlüssel seien zu schmucklos - Schulleiter Pschörer zur Eröffnung ein „Orffsches Musikinstrument“. Mit dem Neubau hatte die Lebenshilfe ihr langverfolgtes Ziel erreicht, ein Zentrum für behinderte Menschen zu schaffen. Karl Reinmann betonte zur Einweihung, dass dieses Ziel ohne die Hilfe der öffentlichen Hand - des Freistaates Bayern, der Stadt Fürth und des Landkreises Fürth - nicht zu schaffen gewesen wäre. Gleichzeitig kündigte er die Erweiterung der Beschützenden Werkstatt an. Für die Stadt Fürth sprachen Bürgermeister Heinrich Stranka und
Stadtschulrat Senator Karl Hauptmannl, für den Landkreis Landrat Dr. Dietrich Sommerschuh. Karl Hauptmannl führte in Bezug auf geistig behinderte Kinder unter anderem aus: „... hier müssen wir Staat und Gesellschaft anklagen, dass sie über Jahrhunderte hinweg diese Kinder einfach übersahen und nichts für ihre Entwicklung getan haben. Die Eltern waren auf sich allein gestellt und dabei oft finanziell und pädagogisch überfordert. So ist es dankbar anzumerken, dass sich auch in Fürth Mütter, Väter und Lehrer zusammentaten, um auch für die Stadt Fürth und den Landkreis Einrichtungen für geistig behinderte Kinder zu schaffen... Schier unlösbare Aufgaben taten sich damals vor den Beteiligten auf, aber Zielstrebigkeit, Zähigkeit und Ausdauer haben letzten Endes dazu geführt, dass wir heute dieses Zentrum für geistig behinderte Schüler und Jugendliche einweihen können. Besonderer Dank gebührt dem Vorsitzenden der Lebenshilfe, Herrn Karl Reinmann, der mit den weiteren Vorstandsmitgliedern dieses Werk geschaffen hat. Was er und seine Mitarbeiter in den vergangenen Jahren geleistet haben, kann von Außenstehenden kaum ermessen werden.“ Spontaner Beifall unterbrach an dieser Stelle die Rede.
2. Projekt Sprachheilschule Im September 1978 bemühte sich die Lebenshilfe, den Bekanntheitsgrad der Frühförderung zu steigern, da die Nachfrage noch relativ gering war. Die für die Eltern kostenfreie Betreuung beinhaltete Besuche von Fachkräften in der Wohnung, Aufstellung und Durchführung von Therapieplänen, Gruppentherapien mit anderen Kindern sowie die Betreuung der Eltern in heilpädagogischer Hinsicht. Die Frühförderung wollte möglichst alle Kinder erfassen, die aufgrund von klinischen Untersuchungen vom ersten Lebenstag an von einer Behinderung bedroht schienen. Die bedrohten Kinder sollten nicht etwa „kaserniert“ werden, wie manche Eltern befürchteten. Die Frühförderung wollte den Störungen durch Beratung und Anleitung der Eltern, durch gesteuerte Gesamtentwicklung des Kindes nach neuesten Erkenntnissen entgegenwirken. Die mobile Hausbetreuung und ambulante Dienste standen in zwei eigens eingerichteten Räumen der Lebenshilfe im Vordergrund. Am 16. Oktober 1978 begann die „Schulvorbereitende Einrichtung für Sprachbehinderte“ mit ihrer Arbeit; acht Kinder besuchten ab diesem Zeitpunkt die neue Einrichtung. Auch diese Einrichtung war, einschließlich Transport zur Lebenshilfe, für die Eltern kostenfrei. Eigentlich wäre die Stadt Fürth für diese Einrichtung zuständig gewesen und begann auch 1976 mit einer Sprachheilschule unter der Regie eines Kindergartens. Da in die Sonderklassen aber auch Schüler aus dem Landkreis aufgenommen werden sollten, hätte es eines Schulverbandes zwischen Stadt und Land bedurft, der nicht zustande kam. In die Bresche sprang die Lebenshilfe, die damit erstmals ihr angestammtes Terrain der Arbeit mit geistig behinderten Menschen verließ. Die Nerven des Vorstandes wurden im Oktober 1978 starken Belastungsproben ausgesetzt: Einerseits machte der
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