Reichspogromnacht in Fürth
Thema noch in Bearbeitung
Ereignisse des Jahres 1938 im Vorfeld der Reichspogromnacht
Am 10. August 1938 wurde die Hauptsynagoge in Nürnberg auf Anordnung städtischer Behörden abgebrochen.[1] Da den radikalen Antisemiten in der NSDAP nun die bloße Ausgrenzung der Juden nicht mehr reichte, stellte sich die jüdische Gemeinde in Fürth auf künftige Repressalien und Ausschreitungen ein. So wurden "die wertvollsten Schriftrollen und Kultgeräte ... zur sicheren Aufbewahrung aus den Synagogen entfernt.[2]
Zerstörung in der Reichspogromnacht
Wie überall im Deutschen Reich fand am 9. November 1938 die alljährliche Gedenk- und Totenfeier der NSDAP für die getöteten Anhänger beim Hitlerputsch am 8. und 9. November 1923 in München statt. Die Fürther Parteiführer versammelten sich im Stadttheater, das sie eine Stunde später verließen, um in ihrem Stammlokal, im Café Fink, weiterzufeiern. Erst nach Mitternacht soll Oberbürgermeister Franz Jakob von bevorstehenden Aktionen gegen die Juden erfahren haben. Dieses Gerücht beinhaltete auch das "Inbrandstecken jüdischer Gebäude". Da diese in Fürth über die Stadt zerstreut lagen und sonderlich die Synagogen sich im dicht bebauten Altstadtviertel befanden, bestand für die Altstadt akute Brandgefahr.[3] [4] Jakob befahl dem technischen Leiter der Feuerwehr, Johannes Rachfahl, alle Gebäude neben den vorgesehenen Brandherden - die große und kleine Synagoge, Waisenhaus, Realschule, jüdisches Krankenhaus - unter allen Umständen zu schützen.[3]
SA-Obersturmführer von Obernitz mobilisierte seine Truppe; zum größten Teil handelte es sich um Mitglieder der SA-Schule im Fürther Stadtwald. Gegen 1:00 Uhr sprengten sie mit Rammwerkzeugen die schweren Eisentore auf, die den jüdischen Besitz zwischen König- und Mohrenstraße abgrenzten. In der Synagoge zerschlugen sie den Thoraschrein, holten die Gebetsrollen heraus, warfen alles, was sie von den Wänden rissen, auf einen Haufen und zündeten es an. Das Feuer breitete sich schnell auf die ganze Synagoge aus. Weisungsgemäß schützte die Feuerwehr die angrenzenden Häuser, wollte jedoch auch im Gotteshaus selbst löschen, was aber durch SA-Männer verhindert wurde. Bis zum Morgen brannte die Synagoge vollständig aus. In dieser Nacht kam es zu weiteren Ausschreitungen: Die Schaufenster jüdischer Geschäfte zerbarsten, das Inventar wurde zertrümmert, die Warenbestände teilweise geplündert. Fast alle Juden wurden aus ihren Häusern geholt und auf dem Schlageterplatz zusammengetrieben.[5]
Während der Reichspogromnacht war das Jüdische Krankenhaus mit Verletzten aus Nürnberg, Fürth und den umliegenden Landgemeinden überfüllt. Die Mehrzahl litt an von Schlägen ausgelösten Kopfverletzungen. Einigen Frauen, die ihre Männer zu schützen versuchten, hatten SA-Leute die Handgelenke gebrochen.[6]
Auch die 42 Kinder aus dem Waisenhaus in der Julienstraße mussten, teilweise nur mit ihren Nachthemden bekleidet, in der kalten Novembernacht bis zum Morgen ausharren. Frauen und Kinder entließ man nach Hause. Der Chronist berichtet, dass 132 Männer in Autobussen nach Dachau abtransportiert wurden.[7]
Mit der zynischen Umschreibung Reichskristallnacht verharmlosten die Nationalsozialisten ihr zerstörerisches Werk und die Untaten jener Nacht im November 1938. In ihrer Propagandamaschinerie machten sie den lange aufgestauten Volkszorn verantwortlich, es handelte sich aber um einen gezielt geplanten Schlag. In dieser Nacht wurde die Hauptsynagoge komplett zerstört. Die ausgebrannte Ruine wurde danach abgerissen. Durch Vernichtung und Neubebauung erinnert heute an den Schulhof nur noch ein Denkmal in der Geleitsgasse, von Kunihiko Kato, aus dem Jahr 1986.
Zeitzeugenberichte
Paul Rieß
Bei dem Fürther Stadtchronisten Paul Rieß findet sich zum 10. November 1938 der Eintrag: " ... In vergangener Nacht sind viele jüdische Läden demoliert worden. Im jüdischen Schulhof an der Königsstraße wurde die Synagoge in Brand gesteckt, desgleichen die Kaalschule, die Scharr, der alte Betsaal an der Mohrenstraße. Sämtliche Gebäude brannten völlig aus. Die Feuerwehr war mittags mit dem Ablöschen der Trümmerhaufen beschäftigt. Sämtliche jüdische Verkaufsläden sind heute geschlossen. ... An den demolierten Verkaufsläden ... ist mit Kreide angeschrieben: "Rache für Paris!" Mehrere hochstehende Juden wurden festgenommen. ... Vor dem Eingangstore zum Synagogenhof in der Königs- und Mohrenstraße standen den ganzen Tag über viele Zuschauer. In der heutigen Nacht und morgens wurden bei vielen Juden durch SA-Leute Haussuchungen vorgenommen. Wo Widerstand geleistet oder nicht geöffnet wurde, ist demolierend vorgegangen worden. Viele Juden wurden in Schutzhaft genommen und tagsüber im Volksbildungsheim untergebracht. Abends wurden sie in drei großen Autobussen fortgefahren. ...”
Daniel Lotter
Bei Daniel Lotters Tagebuchaufzeichnungen findet sich am 10. November 1938: "Sämtliche Auslagen der jüdischen Geschäfte waren im Laufe der Nacht von Gruppen uniformierter SA-Leute eingeschlagen worden. Die Gegenstände in den Auslagen und den Lagern waren wüst durcheinandergeworfen. Es war ein Bild des Grauens. Sämtliche Juden, gleich welchen A>lters und Geschlechts, waren früh um 3 h aus den Betten geholt und auf den Schlageterplatz (heute Fürther Freiheit) zusammengetrieben worden. Selbst 70jährige Frauen und kleine Kinder, darunter Zwillinge von einem Jahr, wurden nicht verschont. Der Rabbiner Dr. Behrens wurde gesondert bewacht. Kinder schämten sich nicht, denselben anzuspeien. Auch angesehene Männer und Frauen, wie der allseitig geachtete Krankenhausdirektor Dr. Frank - um wenigstens einen Namen zu nennen - erfuhren keine bessere Behandlung. Das Publikum verhielt sich. soweit man hört, im Allgemeinen zurückhaltend. Nur fanatische Weibspersonen ließen sich zu schmählichen Rohheitsäußerungen hinreißen. Einige FRauen, die sich über die Behandlung wehrloser Menschen entrüsteten, wurden verhaftet. Später führte man die Zusammengetriebenen ins Berolzheimerianum - eine jüdische Stiftung - wo anscheinend der größere Teil wieder entlassen wurde. Ein Teil wurde inhaftiert, andere - darunter Rechtsanwalt Dr. Stahl - kamen nach Dachau."
Lotter ergänzte am 12. November 1938: "Heute wird bekannt, daß die Stadt Fürth das Eigentum der Kultusgemeinde, den Schulhof mit Gebäuden, den alten jüdischen Friedhof und das Waisenhaus um 100,-- Mark erworben habe. Also zur Brandstiftung noch offenkundiger Raub, dem man in schamloser Weise einlegales Mäntelchen umhängt."
Willi Adelhardt
Als damals 10-jähriger bin bis zum Goldenen Schwan gelaufen, als es hieß, dass es in der Altstadt brenne. Das Areal südlich der Königstraße war abgesperrt. Am Löwenplatz sah ich, wie aus der Bäckerei eines jüdischen Inhabers Brot und Semmeln auf die Straße geworfen wurden. Fenster waren und wurden eingeworfen. Ich konnte nicht begreifen, warum mit den jüdischen Bürgern derart umgegangen wurde. Und dass selbst Grabsteine im jüdischen Friedhof umgeworfen wurden. Ich selbst hatte nur die besten Erfahrungen, so mit dem Kinderarzt Dr. Hollerbusch. Dieser wohnte in der Königstraße beim Judengässla und hat mich behandelt.[8]
Literatur
- Grete Ballin: Chronik Fürth 1933 - 1945; 1943; S. 27 - 40
- Manfred Mümmler: Der Pogrom zu Fürth. Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. In: Fürther Heimatblätter, 1988/4, S.101 - 112
- Manfred Mümmler: Der Progrom 1938 in Fürth 1933 - 1945. Emskirchen: Verlag Maria Mümmler, 1995, 224 S., ISBN 3-926477-13-X; Seite 148 ff
- Lothar Berthold, Peter Krauss, Andy Reum, Josh Reuter (Redaktion): „Kristallnacht“ in Fürth In: Sondernummer der Fürther Freiheit, Fürth: (ehemals Wissenschaftlich-Publizistischer Verlag) heute: „Städtebilderverlag Fürth“, Postfach 1212, 90702 Fürth V.i.S.d.P.: Andy Reum, Erlanger Str. 71, 8510 Fürth - im Internet
- Eckert, Alfred: In welchem Ghetto warst Du denn als Kind, Mutti? - Zum Gedenken an den 70. Jahrestag der ersten Deportationen von jüdischen Bürgerinnen und Bürgern aus Fürth und Franken. In: Altstadtbläddla, Altstadtverein St. Michael Fürth, Ausgabe 45, 2011/12
weblinks
- Edgar Rosenberg: "Kristallnacht Memories" online verfügbar aus Fürth
- "Die Reichspogromnacht 1938: Gewalt gegen Juden in Franken" mit 14 Bildern Nordbayern vom 9. November 2016
- Chajms Sicht: Unfassbare Bilder der Pogromnacht - online abrufbar
- Solveig Grothe: Was ist das Besondere an den neuen Bildern aus der "Kristallnacht"? in: SPIEGEL vom 11. November 2022
- Unseen Kristallnacht photos published 84 years after Nazi pogrom in: The Guardian vom 9. November 2022
- 84 Years later, a Rare Look at the Nazi Attacks of Kristallnacht in: The New York Times vom 10. November 2022
- Leo Sands: Secret photos of Kristallnacht show Nazi officers’ role in night of terror in: The Washington Post vom 10. November 2022
- Yad Vashem veröffentlicht seltene Aufnahmen aus Pogromnacht in: Jüdische Allgemeine vom 11. November 2022
- Kristallnacht: Pictures capture horrors of 1938 Nazi pogrom in: BBC NEWS vom 10. November 2022
Einzelnachweise
- ↑ vgl. Nürnberger Prozess, Verhandlungsprotokoll vom Montag, 29. April 1946 in der Nachmittagssitzung - online verfügbar, auch Niall Ferguson: "Kissinger - der Idealist", S. 97
- ↑ Edgar Rosenberg: " Kristallnacht Memories" zitiert nach Niall Ferguson: "Kissinger - der Idealist", S. 97
- ↑ 3,0 3,1 Manfred Mümmler: "Fürth 1933 - 1945", S.150
- ↑ Niall Ferguson: "Kissinger - der Idealist", S. 98
- ↑ Paul Rieß in seiner Chronik zum 10. November 1938
- ↑ Monika Berthold-Hilpert: Orte der Verfolgung und des Gedenkens in Fürth, S.13
- ↑ Manfred Mümmler: Der Pogrom zu Fürth. Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. In: Fürther Heimatblätter, 1988/4, S.101 - 112
- ↑ Zeitzeugenbericht, Archiv FürthWiki, Aktennr. '22'
Siehe auch
Bilder
Das Synagogendenkmal in der Geleitsgasse, 2017
Das Synagogendenkmal in der Geleitsgasse vor Gebäude Königstraße 44, im Hintergrund Marktplatz 2 im September 1986
Die jüd. Synagoge nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Blick von der Mohrenstraße; links die Neuschul, Mitte die Altschul, rechts das intakte Gebäude die Mohrenstraße 26
Die jüd. Synagoge nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938; Blick von der Südseite
Die jüd. Synagoge nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, rechts der zerstörte Westgiebel der Hauptsynagoge (=Altschul), gleich daneben, links hinten die zerstörte Mannheimer Schul
Die jüd. Synagoge nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938; auf der linken Seite die niedergebrannte Neuschul oder Kaalsschul und dahinter die Ruine der Hauptsynagoge, der Altschul.
Foto vom Schulhof nach der Reichspogromnacht; Ansicht von der Mohrenstraße, hinter dem Tor links Schulhof 2 ("Neuschul"), rechts die "Altschul"