Fritz Oerter
Fritz Oerter (geb. 1869 in Straubing, gest. 19. September 1935 in Fürth), war Lithograph, Schriftsteller und Buchhändler und wohnte in der Oberen Fischerstraße. Er war ein Anhänger des Anarchosyndikalismus. Fritz Oerter war verheiratet und hatte einen jüngeren Bruder, der ebenfalls politisch aktiv war. In der Pfarrgasse (Eingang Obere Fischerstraße) wohnte er gemeinsam mit seiner Frau und führte eine Buchhandlung und Leihbücherei.
Leben
Fritz Oerter wurde als Sohn eines Feldwebels in der Donaukaserne in Straubing geboren. Sein Vater kam mit einer Kriegsverletzung (durchschossener Arm) aus dem Deutsch/ Französischen Krieg 1870/71 zurück und musste somit den Dienst quittieren. Er wuchs in Straubing, Germersheim und später in Fürth auf. Er selbst schrieb zu seiner Jugend: So kam es, daß ich meine früheste Kindheit an der Donau, meine Jugend am Rhein, meine Flegeljahre zwischen Rednitz und Pegnitz verbrachte und mithin so ziemlich mit allen Wassern gewaschen bin. In Fürth besuchte ich mehrere Jahre die Realschule und erlernte dann die Lithographie. Mit Ausnahme von zwei Jahren, die ich auswärts zubrachte, lebe ich seit dieser Zeit in Fürth. Schon in jungen Jahren nahm ich lebhaften Anteil am öffentlichen Leben. Unter dem Einfluß der Schule und der häuslichen Erziehung war ich ein glühender Patriot, aber unter dem Druck des Erwerbslebens verwandelte ich mich schon bald in einen ebenso begeisterten Anhänger der Sozialdemokratie. Die Bewegung der Unabhängigkeit zu Anfang der neunziger Jahre führte mich dann ins Lager des Anarchismus[1].
1887 tritt Fritz Oerter in die SPD ein. Gleichzeitig engagiert er sich für den Anarchismus und schmuggelt gemeinsam mit seinem Bruder Sepp Oerter Agitationsmaterial von den Niederlanden nach Deutschland[2]. Beide Brüder werden im Dezember 1892 in Mainz wegen "aufrührerischen Reden" verhaftet - die Anklage lautet auf "Aufruf zum Sprengstoffattentaten". Während sein Bruder zu acht Jahre Zuchthaus verurteilt wird, wird Fritz Oerter lediglich zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. 1903 tritt er in die Anarchistische Föderation ein und beteiligte sich an der sog. Novemberrevolution 1918/19.
Fritz Oerter verstand sich als Verfechter der Anarcho-Syndikalistischen Bewegung [3] und als geistiger Nachfolger und Hauptvertreter Gustav Landauers, einem der wichtigsten Theoretiker und Aktivist des Anarchismus in Deutschland um die Jahrhundertwende[4].
Politisch aktiv war er als Mitglied in der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD)[5] (einem Zusammenschluss freier Gewerkschaften), sowie hauptverantwortlicher Redakteur der Zeitschrift "Der Syndikalist", einer deutsprachigen Zeitschrift des Anarchosyndikalismus und Organ der FAUD. Die Zeitschrift erschien wöchentlich mit einer Auflage von jeweils 70-80.000 Exemplaren (im Jahr 1922)[6]. Hierzu schrieb Oerter eine Vielzahl von Leitartikeln, in der er sich als Verfechter der Idee der Gewaltlosigkeit einsetzte. Sein politisches wie kulturelles Selbstverständnis beschrieb er im "Der Syndikalist" Nr. 2 im Jahr 1922: "Für mich ist Kultur Arbeit in rein sozialistischem Sinne. Ich fasse unter diesem Begriff alle aktive Wirksamkeit der Menschheit zusammen durch Hand- und Kopfarbeit der Erde und dem Leben eine möglichst große Menge von materiellen und ideellen Werten abzugewinnen, um diese allen Menschen ohne Ausnehme nutzbar und zugänglich zu machen. In der Art der ausgleichenden gerechten Verteilung oder Zugänglichkeit zu allen Kulturerrungenschaften erblicke ich den Höhen- oder den Tiefstand der Kultur (...) Nicht die Nation und nicht der Kapitalismus dürfen es wagen, sich als die Träger der Kultur aufzuspielen, einzig und allein ist es die werktätige Menschheit, welche wahre Kultur schaffen kann, wenn sie die Grenzen der Staaten nicht mehr anerkennt, sich international solidarisch vereinigt, den Kapitalismus, diese internationale Landplage und Völkergeißel in die Versenkung verschwinden lässt, indem sie ihm alle weiteren Dienstleistungen entzieht und die freie, herrschaftslose Bedarfs- und Gemeinwirtschaft begründet (...) niemand wird es wagen, das was uns heute umgibt, Kultur zu nennen. Kapitalismus und Kultur, Militarismus und Kultur, Justiz und Kultur, Kirche und Kultur: das sind unvereinbare Begriffe, die sich gegenseitig ausschließen. Alle diese Mächte gehen auf die Vergewaltigung des Menschen aus, sie begünstigen die Einen und unterdrücken die Andern (...) In jeder Form ist Gewalt Unkultur (...) Wahre Kultur muß erst geschaffen werden. Ihr Träger kann und wird nur die alle geistigen und materiellen Werte schaffende international solidarisch verbundene Menschheit sein, die den engstirnigen Nationalismus wie auch den Kapitalismus siegreich überwunden hat."[7]
Als Zeitzeuge und Aktivist der Räterepublik in Bayern und in Fürth schrieb Fritz Oerter Erich Mühsam 1929: „Wir alle täuschten uns in der Psychologie der Massen. Wir glaubten sie fähig, sozialistisch zu denken und zu handeln. Ich glaube, ein von der sozialdemokratie unverbildetes Volk wäre vielleicht zu besseren Resultaten gelangt. (...) Auch wir in Fürth hatten vier Tage Räterepublik. Bekannte Arbeiter vielen mir vor Freude um den Hals. ‚Kinder‘, sagte ich, wir haben bis jetzt nur den Namen, die Räterepublik müssen wir erst schaffen`. Es ist nichts daraus geworden und am vierten Tage wurden die Räterepublikaner von den Sozialdemokraten überstimmt. (...) Du siehst, was in München sich zur fürchterlichen Tragödie entwickelte, ward in Fürth zur Posse“[8].
Fritz Oerter gelang in den 1920er Jahren zu einer gewissen Bekanntheit und wurde laut Rudolf Rocker, einen damals ebenfalls sehr bekannten Anarchist und Autor, "zu einem der begabtesten Schriftsteller der anarchistischen Bewegung"[9]. Seine Texte sind jedoch heute meist in Vergessenheit geraten und seine Bücher finden sich, wenn überhaupt, nur noch antiquarisch in diversen Archiven. Zu seinen engsten Vertrauten zählten wichtige Persönlichkeiten der Münchner Räterepublik wie z.B. Gustav Landauer, aber auch Schriftsteller wie Erich Mühsam oder Ernst Toller. Toller soll 1924 in Fürth bei Oerter kurzfristig Unterschlupf bekommen haben, nachdem er aus der Haft wegen "Hochverrates" entlassen wurde. Weiterhin soll sich am 19. September 1926 der indische Dichter und Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore bei Oerter aufgehalten haben.
Die Anfänge des Nationalsozialismus beschrieb Oerter in seinem Tagebuch im März 1933 wie folgt: „Die ‘Kultur’ schreitet voran (…) dass man bald von einem geistigen Deutschland nicht mehr reden kann…“ Das Ergebnis bzw. den Sieg der NSDAP bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 kommentierte er in seinem Tagebuch resignierend mit einem Schiller-Zitat: "Das war kein Heldenstück, Octavio." Seine kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus, die er stets auch in seinen Publikationen zum Ausdruck brachte, und seine Kontakte zum demokratischen Widerstand gegen Nationalismus und Großkapital führte immer wieder zu Verhaftungen. Zuletzt wurde Oerter im Alter von 66 Jahren im September 1935 verhaftet und durch die SA verhört. Während der einwöchigen Haft wird Oerter offensichtlich be- oder gar misshandelt, so dass er geschwächt und gebrochen die Haft verlässt. Nur kurze Zeit später verstirbt Oerter am 19. September 1935 an den Folgen einer Lungenentzündung im Krankenhaus, vermutlich in Folge der Misshandlungen durch die SA und den Haftbedingungen[10].
Bruder Sepp Oerter
Fritz Oerter hatte einen jüngeren Bruder namens Josef "Sepp" Oerter (geb. 24. September 1870 in Straubing, gest. 14. Dezember 1928 in Braunschweig). Wie Fritz Oerter war auch sein Bruder Sepp in verschiedenen sozialistischen Vereinigungen und als Anarachist aktiv. 1918 gelang es Sepp Oerter in der Phase zwischen der Räterepublik und Parlamentarismus in Braunschweig mehrere politische Siege. So gelang es Ihm nach der erzwungenen Abdankung des Welfen-Herzogs Ernst August von Braunschweig und Lüneburg während der Novemberrevolution in Braunschweig (1918) die Übernahme der politischen Führung im Arbeiter- und Soldatenrat. Sepp Oerter wurde in der Folge von November 1918 bis April 1919 Minister für Inneres und Finanzen. Den größten Wahlsieg erzielte Sepp Oerter 1920 mit der USPD. Oerter gelang die Regierungsbeteiligung für seine Partei. Oerter wurde am 22. Juni 1920 zum Ministerpräsidenten des Landes Braunschweig gewählt. Bereits ein Jahr später musste Oerter am 24. November 1921 sein Amt aufgrund von Korruptionsvorwürfen und Vorteilsannahme im Amt niederlegen. Zusätzlich hatte sich Oerter mit der USPD inhaltlich verstritten, so dass der im Frühjahr 1922 aus der USPD ausgeschlossen wurde. Einer Gefängnisstrafe entging Oerter lediglich durch eine Amnestie der Regierung ihm gegenüber. In den letzten Jahren seines Lebens vertrat Oerter völkische Ansätze und wurde sogar im Januar 1924 Mitglied der NSDAP, die er auch im Landtag von Braunschweig politisch vertrat. 1925 zog sich Sepp Oerter aus der Politik zurück, ehe er am 14. Dezember 1928 in Braunschweig im Alter von 58 Jahren an einem Herzinfarkt verstarb. Zeitzeugen charakterisierten Sepp Oerter wie folgt: „Geistig ist Oerter seinem Gesinnungskollegen Merges (1. Präsident im Braunschweiger Landtag) unzweifelhaft überlegen. Merges wußte nie recht, was er wollte, Oerter dagegen ging strikte und rücksichtslos auf sein Ziel los; er wußte was zu erreichen mit Hilfe seiner chamäloeonartigen Anpassungsfähigkeit und seiner Eloquenz, womit er allen Einwänden der Zauderer zu begegnen verstand.“[11]
Siehe auch
Weblinks
- Sepp Oerter Wikipedia
Einzelnachweise
- ↑ Konrad Beisswanger: Stimmen der Freiheit - Blütenlese der besten Schöpfungen unser Arbeiter- und Volksdichter. Mit 100 Porträts und Textbildern. Nürnberg, 1914
- ↑ Wikipedia-Artikel: Sepp Oerter - online abgerufen am 6. Mai 2015 | 11 Uhr online abrufbar
- ↑ Bergriffsbestimmung aus Wikipedia: Die Geschichte in Deutschland wurde zunächst durch den Begriff des „Lokalismus“ geprägt. Dieser bezeichnet dabei gleichzeitig die Herkunft und die Motivation der (anarcho-)syndikalistischen Bewegung. Sie entstammte der Sozialdemokratie und wandte sich im Zuge der Verhältnisse unter den sogenannten „Sozialistengesetzen“ (1878–1890) einem föderalistischen Gewerkschaftsmodell zu, in welchem die Ortsvereine Souverän ihrer Entscheidungen blieben und sich keiner Zentralinstanz unterordnen mussten. Das lag darin begründet, dass die regionalen Vereinsgesetze oftmals nur lokale Vereinigungen zuließen und zum anderen daran, dass die „Lokalisten“ die zentralistische Organisationsform als anfälliger für Repressions- und Korruptionsmaßnahmen ansahen. Des Weiteren kritisierten sie die Tendenz, die Aufgaben der Gewerkschaften lediglich auf die Tagesfragen nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen festzulegen. Der Klassenkampf der Arbeiterklasse solle nicht die alleinige Aufgabe der sozialdemokratischen Partei sein. Hier lag der Keim für die weitere Ausformung des (Anarcho-)Syndikalismus begründet, die Gewerkschaften gleichermaßen als ökonomische, politische und kulturelle Bewegung anzusehen und auszurichten. Wiki
- ↑ Gustav Landauer. Wikipedia, abgerufen am 14.2.14 Wiki
- ↑ Freie Arbeiter-Union Deutschlands in Wikipedia, abgerufen am 14.2.14 Wiki
- ↑ Institut für Syndikalismusforschung (Syfo), Berlin
- ↑ Fritz Oerter in Der Syndikalist, 4. Jg. Nr. 2, Berlin, 1922
- ↑ Anfifaschistische Linke und Jugendantifa: Arbeiter_innenwiderstand in Fürth. Eigenverlag Fürth, 2012, S. 10 f.
- ↑ Hg.: M. Melnikow/H. P. Duerr: Aus den Memoiren eines deutschen Anarchisten. Suhrkamp, Frankfurt 1974
- ↑ Bernd Noack: Spurensuche, Fritz Oerter. ars vivendi Verlag 2013
- ↑ Teutonicus (Pseudonym von Hermann Schroff): Braunschweig unter der Herrschaft der roten Fahne: Meinungen, Stimmungen und Tatsachen. Goebel, Braunschweig 1919