David Spiro

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Jean Mandel (links mit Zylinder), Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Fürth, und Rabbiner David Spiro (Bildmitte) beim Gottesdienst in der neuen Synagoge, 1968

David Spiro (eigentlich David Kahana-Spiro - דוד כהנא-שפירא, geb. 1901 in Ksionz-Wielki, Galizien, Österreich-Ungarn; gest. 17. Oktober 1970 in Jerusalem) war Rabbiner im Rabbinat Warschau und von 1945 bis 1970 der erste Rabbiner der jüdischen Gemeinde Fürth nach der Nazi-Diktatur. Spiro war verheiratet mit Freida, geb. Gutschechter. Aus der Ehe stammten vier Kinder.[1] Sowohl die Ehefrau, also auch die vier Kinder, überlebten den Naziterror nicht.

Leben und Wirken[2]

Spiro kam als Sohn einer orthodox jüdischen Familie 1901 in Ksionz-Wielki (Książ Wielki), Galizien, Österreich-Ungarn, zur Welt. Seine Kindheit war geprägt von der chassidischen Ausprägung des jüdischen Glaubens, die ein Teil des sogenannten ultraorthodoxen Judentums darstellt. Besonders sein Großvater Mosche Nathan Spiro als auch sein Onkel Samuel Bronstein - beides ebenfalls Rabbiner - schienen David Spiro in seiner religiösen Ausrichtung als Kind und Jugendlicher geprägt zu haben. Nach Abschluss seiner Ausbildung und Studium von Talmud und Thora heiratete Spiro die Tochter Freida des Warschauer Rabbiners Chaim Jehoschua Gutschechter. Im Jahr 1936 erhielt er als jüngstes Mitglied den Ruf zur Mitgliedschaft im Warschauer Rabbinat.

Warschauer Ghetto

In Warschau erlebte er im September 1939 den Überfall auf Polen und den Einmarsch in die polnische Hauptstadt durch die Deutsche Wehrmacht. Während der Zeit der deutschen Besatzung wurde Spiro in den sogenannten Judenrat im Warschauer Ghetto berufen, dem er bis zur Liquidierung des Ghettos im April 1943 angehörte. Mit Menachem Ziemba und Simson Stockhammmer gehörte er zu den letzten drei Rabbinern Warschaus und war der einzige, der den Nazi-Terror überstand.[3]

Die Zeit im KZ

Es folgte ein langer Leidensweg zur Zeit des Naziterrors in verschiedenen Konzentrationslagern, darunter u. a. die KZs Budzyn, Flossenbürg, Hersbruck und Dachau. Im Frühjahr 1945 erkrankte Spiro im KZ Dachau schwer und überlebte die Befreiung nur knapp. Sein Bruder Abraham Spiro, der einzig Überlebende seiner weitläufigen Familie, fand nach eigenen Angaben seinen Bruder mehr tot als lebendig im KZ Dachau.[4] Abraham Spiro konnte frühzeitig emigrieren und durchlief in den 1930er Jahren in einem Stipendium am Jewish Theological Seminary in New York die Rabbinerausbildung. Mit Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg meldete sich Abraham Spiro als Freiwilliger zur U.S. Army und versah seinen Dienst als Militär-Seelsorger (Chaplain) in der U.S. Army. Dadurch war er Teil der Landung der US-Truppen 1944 in der Normandie. Nach dem Krieg nahm Abraham Spiro seinen Dienst in der US-Distriktverwaltung in Bamberg auf. Neben seiner seelsorgerischen Arbeit engagierte sich der „Chaplain“ für die in Franken gestrandeten Juden (sogenannte „Displaced Persons“). Auf seine Initiative hin konnten nur wenige Monate nach Niederschlagung des Nationalsozialismus etwa 30 ehemalige jüdische KZ-Häftlinge und Partisanen ihr vorübergehendes Zuhause in Zettlitz bei Bayreuth beziehen. Die Gründung des Kibbuz Geulim (hebräisch: Erlösung) sorgte für Schlagzeilen; neben ausführlichen Reportagen in der jüdischen Presse berichtete auch die US-Soldatenzeitung „Stars and Stripes“ darüber.[4]

Neubeginn in Fürth

Da sein Bruder Abraham in der US-Zone in Bayern (Region Nürnberg) stationiert war, beschloss David Spiro seinem Bruder zu folgen. Er hatte während des Naziterrors seine ganze Familie verloren - Frau, Kinder, Eltern und Geschwister - und wollte so zumindest in der Nähe seines Bruders sein. So fand er den Weg nach Fürth, wo er sich ab Anfang Juli in der Königswarterstraße gemeinsam mit einer anderen jüdischen Familie ein kleines Zimmer teilte.[5] Als bekannt wurde, dass der letzte Rabbi Warschaus noch lebte, kamen immer mehr Überlebende nach Fürth und mit dem damals großen Lager der sogenannten Displaced Persons (DP) - dem Camp Finkenschlag - wuchs die wieder eröffnete Kehillah von Fürth auf 2000 Menschen.[6] Schnell avancierte der charismatische Spiro zum spirituellen Führer. Er prägte die Gemeinde wie kein Zweiter. Gemeinsam mit Jean Mandel wiederbelebte er die jüdische Gemeinde in Fürth unmittelbar nach Kriegsende. Er reaktivierte ein jüdisches Ritualbad in einem Gebäudekeller, das er zuvor entdeckt hatte - führte die koschere Küche im DP-Lager ein und hielt regelmäßig Gottesdienste und Lehrstunden im ehemaligen Jüdischen Waisenhaus ab. Mit Spiro wurde die jüdische Gemeinde in Fürth ein neues Zentrum für Orthodoxie im Nachkriegsdeutschland und seine Beratung in allen Lebenslagen, insbesondere in der Fragestellung bei Scheidungen und Eheschließungen, war weit über die Stadtgrenze Fürths geschätzt. Insbesondere der fehlende Nachweis eines verstorbenen Ehepartners durch den Nazi-Terror erschwerte die erneute Heirat des Überlebenden im jüdischen Glauben. Spiro galt als umfassender Experte im halachischen Wissen, der sogenannten rechtlichen Überlieferung des Judentums, mit dessen Hilfe schwierige Eheentscheidungen nach dem orthodoxen jüdischen Ritus erneut möglich wurden. Dieses Wissen führte im Sommer 1946 sogar dazu, dass die Rabbinerkonferenz - als Teil des späteren Zentralrates der Juden in Deutschland - Spiro ganz offiziell mit dieser schwierigen Aufgabe betraute.

Auf Initiative Spiros wurden ab 1947 zwei Talmud-Thora-Schulen gegründet - in der ehemaligen städtischen Religionsschule war zunächst Platz für 12 und im Camp-Cheder[7] für 15 Jungen.[8]

Mit der Auflösung der Camps im Jahr 1949 - und der damit einhergehenden Übersiedlung eines Großteils der Bewohner in den neu geschaffenen Staat Israel oder nach Übersee - veränderte sich auch in Fürth das aktive religiöse Leben. Die Mitgliederzahlen und Aktivitäten in der jüdischen Gemeinde gingen dramatisch zurück, selbst der Besuch der koscheren Küche sank dramatisch. Im Gemeindeblatt der jüdischen Gemeinde war zu lesen: Die Gemeinde ist am Bestehen dieser idealen Einrichtung sehr interessiert; sie ist eine unbedingte Notwendigkeit für unsere Stadt. Umso unbegreiflicher ist es, dass die Küche heute so einen mangelhaften Besuch aufweist und viele unserer Leute, die nicht zu hause essen können, lieber andere Gaststätten aufsuchen.[9] Spiro wurde mittels finanzieller Hilfestellung die Übersiedlung der Gemeinde angeboten, z. B. durch die Bereitstellung einer Wohnung und eines Betsaals in Israel. Zu dieser Übersiedlung kam es allerdings nicht und auch Spiro entschied sich zunächst in Fürth zu bleiben.

David Spiro zu Gedenken am Schulhof in: „Nachrichten für den Jüdischen Bürger Fürths“, 1954

Rabbiner David Spiro regte 1954 an, den zerstörten Ort des ehemaligen Schulhofs zum Andenken als Grünfläche mit einem Gedenkstein (םצבה, Mazewa) zu gestalten.[10] Damit wäre die Würde gewahrt und ebenso die Heiligkeit, die nach der Zerstörung und Verwüstung weiterbesteht. In den Nachrichten für den Jüdischen Bürger Fürths schrieb er 1954: Wir kamen „zu dem Entschluß den verwahrlosten Schulhof in eine Andenkungsstätte für die ums Leben gekommenen Kedoschim, gewesene Mispallim von diesen Botei T´fillos, - zu verwandeln. Es soll eine Grünfläche auf den ganzen Platz angelegt werden und eine Mazewa, ein „Monument lesecher Olam“ (לזכר עולם, ewiges Andenken) aufgestellt werden. Das Monument wird gleichzeitig dienen als Mahnung für Generationen, gegen das größte Verbrechen, gegen den schrecklichsten Vandalismus in der menschlichen Geschichte. Mit dem Realisieren dieser Idee wird die Kehilla sich ein ruhmreiches Kapitel in ihrer Tätigkeit verschreiben.“[11]

1954 wurde David Spiro eine große Ehre zu Teil, in dem am 31. Oktober 1954 die Gründungsversammlung der „Vereinigung für Thoratreues Judentum“ aus prominenten Vertretern der Orthodoxie aus ganz Deutschland in Fürth abgehalten wurde. Rabbiner Spiro nahm an dieser Versammlung teil und eröffnete die Veranstaltung feierlich, deren Schirmherr er auch war. Ergebnis der Versammlung war, dass „den in Deutschland lebenden Juden nach den Jahren der Vernichtung und Vertreibung ein Leben im Geist der Tradition“ zu ermöglichen sei, wobei „das Gesetz der Thora allein verbindlich (unabänderlich)“ als Grundlage zu gelten habe. Allerdings sind keine weitere Aktivitäten dieser Vereinigung bekannt, sodass davon ausgegangen werden muss, dass die Organisation im Anschluss ihre Arbeit nie aktiv aufgenommen hat.[12]

Mitte der 1960er Jahre initiierten Emigranten in Zusammenarbeit mit David Spiro eine Talmudhochschule in der israelischen Stadt Bnei Brak, nordwestlich von Jerusalem. Die Hochschule (Jeshiwa) namens Beit David. Ende der 1960er Jahre erkrankte David Spiro unheilbar. Nach eigenen Angaben wollte er nicht im Galut (Diaspora) sterben, weshalb er kurz vor seinem Lebensende Fürth für immer verließ und nach Jerusalem umsiedelte.

Am 17. Oktober 1970 verstarb der erste und langjährige Rabbiner Fürths nach dem Zweiten Weltkrieg in Jerusalem. Er ist auf dem Har HaMenuchot Friedhof in Jerusalem beerdigt.

Rabbiner-Spiro-Preis

Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern (Sitz: München) vergibt seit seinem 60-jährigen Jubiläum 2007 den „Rabbiner-Spiro-Preis“. Der Preis soll an den großen Fürther Rabbiner erinnern, der trotz seiner Erlebnisse durch den Naziterror an eine jüdische Zukunft in Deutschland glaubte und so zum wirkungsvollen Ratgeber für viele wurde.

Die Auszeichnung geht an Persönlichkeiten, die zur Aufrechterhaltung und Entwicklung jüdischer Gemeinden in Bayern beigetragen haben. Erster Preisträger war 2007 Edmund Stoiber, der ehemalige bayerische Ministerpräsident.[13]

  • 2007: Edmund Stoiber, ehemaliger bayerischer Ministerpräsident
  • 2009: Johannes Friedrich, Landesbischof[14]
  • 2014: Karl Freller[15]

Literatur

  • Dr. Mosche Rosenfeld: The Rav of Fürth. Israel, Eigenverlag, 2021
  • Sascha Freese und Kim Graf, Staatl. BOS Nürnberg, Klasse VKTB: Fürth - das „fränkische Jerusalem“. Dokumentation der Arbeit, 11. Mai 2007, 17 Seiten - PDF-Datei History-Award 2007
  • Michael Trüger: Rabbiner David Spiro sel. A. - 60 Jahre Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern. In: Jüdisches Leben in Bayern. Mitteilungsblatt des Landesverbandes der israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, 23. Jahrgang, Nr. 106, April 2008, S. 6
  • Esther Farbstein: Hidden in Thunder. Perspectives on Faith, Halachah and Leadership during the Holocaust, Jerusalem, 2007
  • Julius H. Schoeps (Hg.): Der Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde Fürth nach 1945. In: Julius H. Schoeps (Hg.), Leben im Land der Täter. Juden im Nachkriegsdeutschland 1945-1952, Berlin, 2001
  • Jim G. Tobias: Vorübergehende Heimat im Land der Täter. Jüdische DP-Camps in Franken 1945-1949, Nürnberg, 2002
  • Peter Honigmann: Die Gründung der „Vereinigung für Thoratreues Judentum“ 1954 in Fürth. In: Nachrichten für den jüdischen Bürger Fürths, (NJBF), 1994
  • Monika Berthold-Hilpert: Die frühe Nachkriegsgeschichte der jüdischen Gemeinde Fürth (1945-54). In: Julius H. Schoeps (Hg.), Menora, Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 1998

Siehe auch

Weblinks

  • Talmud Thora Schulen in Deutschland - Rabbiner David Spiro 1901–1970 - Homepage
  • Fürth - das „fränkische Jerusalem“. In: BR-online vom 27. Januar 2005 - online
  • Israelitische Kultusgemeinde Fürth - IKG Fürth
  • David Spiro (Wikipedia)
  • David Spiro (Jewiki)
  • Yizhak Ahren: Jüdische Allgemeine Rezension „The Rav of Fürth“, 16.12.2021

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Biografische Angaben nach Rabbi David Kahana-Spiro Geni
  2. zitiert nach "Rabbiner David Spiro 1901–1970 - Eine fromme und hochgebildete Autorität" in: Talmud-Thora Schulen in Deutschland
  3. Mose N. Rosenfeld: The Rav of Fürth, 2021, S. 239
  4. 4,0 4,1 Jim G. Tobias: Trainingskibbuz Zettlitz: Jüdischer Neubeginn in Oberfranken. In: Nachrichtenmagazin haGalil.com, München, vom 13. März 2006, aufgerufen am 4. August 2024 - online
  5. Mose N. Rosenfeld: The Rav of Fürth, 2021, S. 233 und 365
  6. Mose N. Rosenfeld: The Rav of Fürth, 2021, S. 234
  7. Jiddisch "Chejder" sonst Cheder
  8. siehe auch Talmud-Thora Schulen in Deutschland
  9. Jüdisches Gemeindeblatt, Ausgabe 1950
  10. David Spiro: „Boruch Haschem“ in: Nachrichten für den Jüdischen Bürger Fürths, Ausgabe 1954, Seite 3f
  11. David Spiro: „Boruch Haschem“ in: Nachrichten für den Jüdischen Bürger Fürths, Ausgabe 1954, Seite 4
  12. Peter Honigmann: Die Gründung der „Vereinigung für Thoratreues Judentum“ 1954 in Fürth. In: Nachrichten für den jüdischen Bürger Fürths, (NJBF), 1994
  13. JA/zu: Festakt zum 60. Jubiläum. In: Zukunft, 7. Jahrgang Nr. 12 / 21. Dezember 2007 - 12. Tewet 5768. Nachrichten des Zentralrats der Juden in Deutschland - online
  14. Landesbischof Friedrich erhält den Rabbiner-Spiro-Preis. In: epd - Landesdienst Bayern vom 3. Juli 2009 - online
  15. Rabbiner-Spiro-Preis erinnert an herausragenden Gelehrten in: Nordbayern vom 12. Februar 2014

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