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51 – 17/18�  Altstadtverein Fürth

Übergabe der Oertertagebücher an das Stadtarchiv. V.l.nr.: Dr. Schramm, Alfred Hierer, Kamran Salimi und Leo Seidl

Tagebuchseiten aus dem Tage­ buch 1933

tig die fatalen Folgen der jeweiligen Regierungsentscheidungen präzise voraussagen. So schreibt Oerter als Chronist der Stadtgeschichte über die weltpolitischen Geschehnissen, wie z. B. den Beginn des 1. Weltkrieges: „Die ganze Bevölkerung der Stadt befindet sich in einer wüsten Aufregung und die meisten wissen nicht was sie wollen. Seit sich die Verhältnisse so zugespitzt haben, sind sie wie toll geworden. Der Sensationshunger trägt natürlich auch dazu bei, die Aufregung zu steigern. Auch macht sich eine ekelhafte Sentimentalität breit, die von wirklicher Gefühlsverfeinerung weit entfernt ist. In Massen rennt der Pöbel, der noch über einige Gro-

schen verfügte, in die Spezereihandlung und kaufte die Vorräte auf, so dass in Fürth und Nürnberg viele Läden geschlossen werden mussten ... Ach und, die erschreckende Kurzsichtigkeit der Menschen. Diejenigen, die sich überhaupt etwas denken, meinen, der Krieg werde sich selbstverständlich abspielen so wie im Jahr 1870. Vielen, namentlich den Jüngeren, ist der Krieg nur eine Gaudi, andere erhoffen eine bessere Geschäftslage nach dem Krieg. Wieder ein Teil, darunter auch Arbeiter halten an dem Ehrenkodex der Staatsmänner fest; das seltsamste ist, dass es tatsächlich die Leute mit den dümmsten Gesichtern sind, die an der Krisis sich erfreuen. Andererseits begegnet man unter den Arbeitern und auch unter den

Juden sehr ernsten Gesichter, die nachdenken. … Der Kaiser spricht in seiner Thronrede von seinen friedlichen Absichten, noch friedlicher drückt sich der Präsident Poincaré in seinem Aufruf an das franz. Volk auf. Vom russischen Volk hört man, dass es den Krieg nicht will. Ja, zum Teufel, wer will denn dann den Krieg? … Heute hatten wir trotz dem Ernst der Lage in nächster Nähe ein komisches Abenteuer. Der Verlauf der Geschichte ist ungefähr folgender: Ein Automobilist kam vom Rathaus her in die Gustavstraße und wurde dort angehalten. Seine Sache hatte wohl wenig Eile. Drum stieg er aus und begab sich in das Seitengässlein ins Duckla. Beobachter, die gegenwärtig recht zahlreich sind, mochten den Weggang des Mannes gesehen haben und dachten wohl, er sei entflohen. Sofort entstand das Gerücht, ein Russe sei entwischt und müsste verhaftet werden. Es erhob sich ein großes Geschrei und Gerenne,

an dem sich auch Militärsmänner beteiligten und suchten alles durch. Dann rannten sie den Fischerberg hinunter, wo am Eck der dicke Morlok stand, um den Russen aufzufangen. Es kam auch einer dahergelaufen, dem ein ganzer großer Schwarm von Menschen nachlief, ein Kerl mit offener Brust und hemdsärmlich. Der dicke Wirt stellte sich in Positur, um den Verdächtigen festzuhalten. Da gabs nun einen fürchterlichen Zusammenstoß wie von Kugel und Keil. „Maulaff, saudummer“, schrie der nachlässig gekleidete Kerl den Wirt an, „siehst du denn nicht, dass ich den Russen fangen möchte?“ Der sperrte nun das Maul auf und glotzte dem Burschen nach mit dem dümmsten Gesicht von der Welt. Aber die Phantasie war einmal erhitzt und suchte weiter; sie wollten absolut ihren Russen haben. Also begaben sie sich zum Lagerplatz von Gebsattel und forschten nach. Das Tor ging nicht auf, sie überklet15