Mit dem Beginn der bayerischen Zeit in Fürth ab 1806 wurde auch das Schulwesen neu geordnet - und damit auch der Religionsunterricht. Der jüdische Religionsunterricht sollte für die Kinder am Sabbath und an Feiertagen analog der christlichen Sonntagsschule stattfinden [1]. Die ehemals berühmte Talmudschule wurde lediglich als gehobene Religionsschule angesehen und entsprach nicht mehr dem Zeitgeist [2].
Der liberale Teil der jüdischen Gemeinde Fürth fand in dem 1836 errichteten Privaterziehungsinstitut des Heinrich Brentano eine Ausbildungsmöglichkeit für seine Kinder. Dem orthodoxen Teil hingegen war dieser Ansatz zu säkular. Auf eine reine Religionsschule ohne jede Allgemeinbildung wollte man aber auch nicht mehr zurückfallen. Die Ausrichtung der orthodoxen Schulgründungen des 19. Jahrhunderts war durch die Bildungskonzeption des Rabbiners und Pädagogen Samson Raphael Hirsch (1808-1888) geprägt. Seine Bildungskonzeption war im orthodoxen Judentum Deutschlands sehr einflussreich und wollte religiöse und profane/säkulare Bildungsinhalte miteinander verbinden [3].

Die Gründung der israelitischen Bürgerschule

Im Vorfeld der Gründung einer israelitischen Schule kam es zwischen der liberalen und orthodoxen Partei der jüdischen Gemeinde Fürths zu heftigen Auseinandersetzungen um die Ausrichtung der neuen Schule. "Dass in der öffentlichen Unterrichtsanstalt Mischnah und Gemara gelehrt werden sollte, rief einen gewaltigen Sturm und eine unglückliche Zersplitterung hervor“ [4]. Bei der Wahl für einen vorläufigen Verwaltungsausschuss, der das weitere Vorgehen bestimmen sollte, riefen die Orthodoxen eiligst selbst "Entfernte herbei und brachten Kranke mittelst Fuhrwerks zur Abstimmung“ [5]

Am 1. November 1862 nahm die neue Israelitische Bürgerschule ihren Betrieb auf. Bei der Eröffnung fanden sich als Redner auch Rabbiner Dr. Isaak Loewi und der Königliche Bezirksinspektor Pfarrer Röder, der die königliche städtische Schulkommission vertrat, ein [6]. Als Leiter hatte man den erst 21-jährigen Dr. Selig Auerbach gewinnen können, der "bereits sein 'Doktor-Examen' und 'Thoras Harooh' (Anerkennung als Rabbiner) zu dieser Zeit glänzend bestanden hatte“ [7]. "Die Unterrichtsanstalt, welche von dem orthodoxen Teil der Gemeinde gegründet wurde, berechtigt unter der Direktion des Dr. Sg. Auerbach zu den größten Hoffnungen und wird dadurch die Liebe zur Tora und das Lernen der Tora so recht von Grund auf anerzogen, indem in dieser "israelitischen Bürgerschule" nicht nur dem Zeitgeist Rechnung getragen, sondern auch gründlicher Unterricht in Tanach (Bibel), Mischnah und Gemara erteilt wird. Aber diese Jehudim wissen auch Opfer zu bringen; sie bringen einen jährlichen Zuschuss von ca. 4.000 Gulden auf [8].

Die Schulstandorte

ehem. Israelitische Bürgerschule, Blumenstraße 31
  • Die Schule, die mit 42 Schülern eröffnet wurde, war zuerst in Mieträumen in der Theaterstraße - im Hause der späteren Post[9],
  • vom zweiten Jahre ab in der Hirschenstraße, untergebracht [10]. Die Frequenz stieg in wenigen Jahren auf 110 Schüler.
  • Die Schule erwarb ein Grundstück in der Blumenstraße, auf dem ein Schulgebäude errichtet wurde, das 1869 bezogen wurde. Am 21. Juli 1869 konnte das neue Schulgebäude feierlich durch Dr. Auerbach als Direktor der Anstalt, Rabbiner Dr. Isaak Loewi und Stadtpfarrer Lehmus eingeweiht werden. Mittels freiwilliger Gaben war so viel zusammengekommen, dass der Ankauf des Grundstücks und der Neubau zu diesem Zeitpunkt bereits zu 3/4 gedeckt war [11]

Von der Bürgerschule zur Realschule

Stellenausschreibung an der israelitischen Bürgerschule 1866

Die Israelitische Bürgerschule war von 1862 bis 1879 vierklassig mit acht Jahreskursen und wurde 1879 in eine sechsklassige Realschule umgewandelt, der eine vierklassige Vorschule vorgeschaltet war [12]. Das Verdienst als vollberechtigte Realschule durch die königliche Regierung anerkannt zu werden gebürt Dr. Samuel Dessau, dem Nachfolger Auerbachs in der Leitung der Schule. Zudem gestatteten die Reichsbehörden 1882 dem Leiter der Anstalt das Recht zur Ausstellung von Zeugnissen für den Einjährig-Freiwilligendienst. [13]
Fortan hatte die Einrichtung in der Blumenstraße den Ruf eine aus vier Elementar- und sechs Realklassen lateinlose Realschule zu sein. Damit war sie "in den süddeutschen Staaten die einzige jüdische Anstalt, deren Abgangszeugnisse zum Einjährigen-Freiwilligen-Dienst in der deutschen Armee berechtigen." [14]. Für die Elementarklassen war ein Rückgebäude im Hof erstellt worden, wärend die Realschule im Vorderhaus Platz hatte [15]

Stellenausschreibung israelitische Bürgerschule 1895

Später hieß es: "Am 6. August fand an der israelitischen Bürgerschule in Fürth unter Vorsitz des Ministerialkommissärs, des königlichen Professor am Realgymnasium zu Augsburg, Herrn L. König, die diesjährige Absolutorialprüfung - die 10. dieser Anstalt - statt. Die 4 Abiturienten bestanden dieselbe sämtlich mit glänzendem Erfolg." [16]

Ende August 1899 hieß es endlich: "Die hiesige Bürgerschule hat vom Reichskanzleramte die Erlaubnis erhalten, ihren Namen in israelitische Realschule umzuwandeln, welche Titeländerung wohl vom derzeitigen Rektor, Herrn Dr. Moritz Stern, erstrebt wurde" [17].

Der Jahresbericht der israelitischen Realschule von 1903 erwähnte: "Die israelitische Realschule nebst Vorschule wurde zu Beginn des Schuljahres von 51 Vorschülern und 67 Realschülern besucht. Im Laufe des Schuljahres trat 1 Schüler in die Vorschule, 1 in die Realschule ein; dagegen traten 3 Schüler aus der Realschule aus, sodass sich nunmehr eine Frequenz von 52 Vorschülern und 65 Realschülern ergibt." [18]

NS-Zeit und Nachkriegsepoche

1939 wurde die Schule von den Machthabern wegen "zu geringer Frequenz" geschlossen.

Kurz nach der Besetzung Fürths durch amerikanische Truppen wurde am 9. Juni 1945 von der US-Militärregierung ein Komitee für jüdische Angelegenheiten [19] eingesetzt [20] [21]. Diesem Komitee wurde 1955/56 Immobilien der Kultusgemeinde rückerstattet, u.a. auch die ehem. Israelitische Realschule in der Blumenstraße 31[22].
Seit 1945 diente das Gebäude als Wohnhaus und nach der Übereignung durch die US-Militärregierung auch verschiedene Räume der Israelitischen Kultusgemeinde Fürth. Das Rückgebäude im Hof (vormals die Elementarschule) nutzt die Verwaltung der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG Fürth).

Leiter der Israelitischen Bürgerschule/Realschule

  • Dr. Selig Auerbach war von 1862 bis 1873 Direktor. Er unterrichtete während der ersten Jahre in den verschiedensten Fächern, namentlich in Geschichte, deutsche Literatur und in den fremden Sprachen. Seine Haupttätigkeit aber wandte er dem Religionsunterricht zu [23]. Neben dem Jugendunterricht stellte er sein Wissen auch den Erwachsenen zur Verfügung und hielt Vorträge am Sabbatvormittag. Sein Wirken fand in Fürth eine Grenze durch den Tod seines Vaters. Er wurde darum 1872 auf das Rabbinat in Halberstadt berufen [24].
  • Dr. Samuel Dessau stand der Schule von 1873 - 1900 vor. Unter ihm hat die Schule vom Jahr 1881 ab die Einjährig-Freiwilligen-Berechtigung erlangt und die Anerkennung zur Realschule.
  • Dr. Moritz Stern war in Fürth nur für ein gutes Jahr - vom September 1898 bis Dezember 1899 - Direktor der israelitischen Bürgerschule. Unter ihm wurde der Bürgerschule offiziell der Titel "Israelitische Realschule" verliehen.
  • Dr. S. Herzstein war im Sommer bei der Schlussfeier interimistischer Direktor [25].
  • Dr. Alfred Feilchenfeld übernahm im September 1900 die Stelle des Direktors der israelitischen Realschule in Fürth, die er bis zu seinem Tod am 15. Juli 1923 in Berlin leitete. Ein Höhepunkt war das 50-jährige Jubiläum der israelitischen Realschule, zu der Feilchenfeld eine Festschrift über die Geschichte der Einrichtung erstellte.
  • Dr. Markus Elias - in Wien geboren - übernahm die Leitung der israelitischen Realschule in Fürth von 1923 - 1928, bis er als Studiendirektor nach Frankfurt berufen wurde. In seiner Amtszeit waren nur etwa zwei Fünftel der Eltern in der Lage, das Schulgeld (in den Volksschulklassen RM 120.-, in den Realschulklassen RM 180.- jährlich) voll zu bezahlen. Aber selbst bei Vollzahlung wären die Gehälter mit RM 48.000,- und der Pensionen für sechs Bezugsberechtigte mit RM 14.000.- nicht ausreichend gewesen. So lastet auf dem Anwesen eine Hypothekenschuld von RM 20.000.- neben einer ungedeckten Bankschuld von RM 11.000.-. Daher wandte sich die Schule an alle Glaubensbrüder Bayerns mit der Bitte um Förderung [26].
Lehrerkollegium der Israelitischen Realschule 1934/35; vlnr: Heinemann, Mandelbaum, Eldod, Falkenmeier, Kohn, Direktor Prager (sitzend)
  • Als Nachfolger des nach Frankfurt am Main berufenen Direktor Dr. Elias wurde Oberlehrer Dr. Fritz Prager zum Direktor der Israelitischen Realschule Fürth gewählt. [27] In "Kissinger 1923 - 1968: The Idealist" lauten die Erinnerungen an Prager und die Schule: ... the Jewish Realschule, where both his sons (Walter und Henry) began studying in the summer of 1933. It is not entirely clear from the existing records why they went there so early - before the Jewish quotas had been imposed on the public schools. According to Kissinger, his parents intended that he should go to the Gymnasium after four years at the Realschule (which would not have been unusual for a boy from an Orthodox family). ... The Realschule, which was just around the corner from the Kissingers´ home, was by no means a bad institution. Its director, Fritz Prager, had recruited at least one able teacher, Hermann Mandelbaum, who taught arithmetic, geography, and writing as well as economics and shorthand. [28]

Weitere Lehrer [29]

Im 19. Jahrhundert:

  • Prof. Dr. Jos. Werner
  • Simon Nordheimer
  • Salomon Eldod
  • Dr. Herzstein (Nspr.)
  • Freudenberger
  • Dr. Emanuel Blüth
  • Fronmüller (Math. u. Physik)
  • Kugelmann (Chemie und Nat.)
  • Wälzlein (Schönschreiben)
  • Weinhöppel (Zeichnen)
  • Wiedenmann (Turnen)
  • Käufl (Gesang)

1880 unterrichteten hier: [30]

  • Salomon Eldod
  • Dr, Gustav Heide
  • Salomon Merzstein
  • Benzion Ellinger
  • Simon Nordheimer
  • Franz Müller
  • Dr. Ernst Linhardt
  • Moses Stern
  • Anton Wankel
  • Pedell Schuhmann

Im 20. Jahrhundert:

  • Reallehrer Dr. Emanuel Blüth
  • Hauptlehrer Benzion Ellinger
  • Elias Godlewsky kam als Lehrer von Nördlingen an die Bürgerschule in Fürth am 20. Oktober 1911.

1935 unterrichteten hier:

  • Lehrer Oppenheimer
  • Rabbiner Breslauer
  • Herr Mandelbaum
  • Dr. Benno Heinemann
  • Dr. Shimon Eldod
  • Herr Falkenmeier
  • Herr Kohn

Einzelnachweise

  1. Barbara Ohm: Geschichte der Juden in Fürth. Hrsg. Geschichtsverein Fürth e. V., Fürth, 2014, S. 172
  2. ebenda
  3. Rebecca Heinemann, Jüdisches Schulwesen in Bayern (1804-1918), publiziert am 16.12.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns - online verfügbar
  4. Der Israelit“ vom 30. Mai 1866
  5. ebenda; später lobte „Der Israelit“ vom 26. Dezember 1860 dann in dem Zusammenhang die Wahl von "Bernhard Ullmann, Max Neubauer und Is. Wedeles, zum Glücke Männer von Besonnenheit, Kenntnissen und vielfacher Erfahrung, weder vom prinzipiellen Oppositionsgeiste beseelt noch für rapide Reform eingenommen."
  6. "Der Israelit" vom 12. November 1862
  7. "Der Israelit" vom 8. Oktober 1901 im Nachruf zu Dr. S. Auerbach
  8. "Der Israelit"vom 30. Mai 1866
  9. "Der Israelit" vom 18. November 1901; Barbara Ohm hält die Theaterstraße 11 für die damalige Schullokalität, siehe Fürth - Geschichte der Stadt (Buch), 2007, Seite 241. Allerdings ist eine Post ist an dieser Adresse noch nicht nachgewiesen. Als weiterer Standpunkt wäre dagegen Königstraße 115 später 136 in Geschichte der Fürther Post nachgewiesen. Jedoch stimmt dabei die Ortsangabe aus der Zeitschrift "Der Israelit" nicht überein genauso wenig wie bei der „Herion-Post“ in der Rosenstraße 1
  10. ebenda
  11. "Der Israelit" vom 11. August 1869
  12. Rebecca Heinemann, Jüdisches Schulwesen in Bayern (1804-1918), publiziert am 16.12.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns - online verfügbar
  13. "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 25. März 1904
  14. "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 8. Juni 1894
  15. Die Schule "besitzt ein eigenes Haus nebst dazu gehörigem Rückgebäude und geräumigem Hof und an ihr wirken 10 ständige Lehrer und die einschlägigen Fachlehrer bei einer Anzahl von etwa 140 Schülern." Siehe Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 25. Mai 1894
  16. "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 22. August 1890
  17. "Der Israelit" vom 4. September 1899
  18. "Der Israelit" vom 20. Juli 1903
  19. das Komitee bestand aus Leo Rosenthal, Bernhard Früh und Max Lambert Stern
  20. Julius Hans Schoeps: "Leben im Land der Täter: Juden im Nachkriegsdeutschland", 2001, Seite 159 - online verfügbar
  21. Gisela Naomi Blume: Der neue jüdische Friedhof in Fürth, 2019, Seite 322
  22. vgl. dazu Gisela Naomi Blume: "Der neue jüdische Friedhof in Fürth", 2019, Seite 294
  23. "Der Israelit" vom 18. November 1901
  24. "Der Israelit" vom 8.Oktober 1901
  25. Der Israelit" vom 23. Juli 1900: "Fürth, 18. Juli
  26. "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung" vom 1. März 1928
  27. "Der Israelit" vom 22. November 1928
  28. Niall Ferguson: "Kissinger 1923 - 1968: The Idealist", 2015, Seite 67 f
  29. Angaben nach "Jahrbuch des höheren Schulwesens", Bd. 12, 1891 und Bd. 13, 1892
  30. Adressbuch der Stadt Fürth von 1880; Seite 98

Siehe auch

Weblinks

  • Alfred Feilchenfeld: Zur Geschichte der Israelitischen Realschule (vorm. Isr. Bürgerschule) in Fürth: "Festschrift zur Feier des 50jähr. Bestehens der Anstalt; 1862 - 1912" - online
  • "Schulzeugnis der Israelitischen Realschule Fürth für Henry Wuga (geb. 1924)" in den Sammlungen des Jüdischen Museums Berlin - online
  • Foto "Lehrer der Israelitischen Realschule Fürth" in den Sammlungen des Jüdischen Museums Berlin - online
  • Israelitische Kultusgemeinde Fürth: Internetauftritt

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