Dr. Hans Georg Kleinschmidt (geb. 9. November 1905 in Fürth; gest. 1999 in Niederbayern) war Kinderarzt und ärztlicher Direktor des Kinderkurheims in Bad Dürrheim. Während der Zeit des Nationalsozialismus beteiligte er sich an der NS-Kinder-Euthanasie. Nach dem 2. Weltkrieg nahm er widerrechtlich Medikamentenversuche im Kindersolbad Bad Dürrheim vor. Kleinschmidt war verheiratet mit Elisabeth Clara, geb. Hünlich aus Neugersdorf in Sachsen. Die Hochzeit fand am 21. Dezember 1935 in Neugersdorf statt. Aus der Ehe stammen zwei Kinder.

Leben und Wirken

Kleinschmidt kam als Sohn des Fabrikbesitzers Paul Adolf Karl Kleinschmidt (geb. 3. Juli 1875 in Dortmund; gest. 2. März 1944 in Fürth) und Luise Karoline Ottilie (geb. Henkel) in Fürth auf die Welt. Die Familie lebte in der Tannenstraße 10. Aus der Ehe stammten zwei weitere Kinder, Wilhelm und Ilsa Kleinschmidt. Der Vater Paul kam ursprünglich aus Dortmund und wohnte dort mit seiner Frau bis zum 2. März 1944. Die Mutter und Ehefrau von Paul Kleinschmidt, Luise Kleinschmidt, stammte aus Hohenstadt bei Pommelsbrunn. 1959 ging sie nach Aufham bei Aschau in der Nähe vom Chiemsee, während Hans Kleinschmidt nach Bad Dürrheim in Baden Württemberg wechselte.[1]

Hans Kleinschmidt legte sein Abitur im Frühjahr 1926 am damaligen Reformrealgymnasium in Nürnberg ab. Nach dem Abitur studierte Kleinschmidt Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen und legte nach vier Semestern seine Vorprüfung ab. In den klinischen Semestern war er an der Medizinischen Universität Wien und Kiel, ehe er seine letzten vier Semester in Erlangen mit der ärztlichen Prüfung am 11. Dezember 1931 bei Prof. Wintz beendete. Sein Thema zur Erlangung des Doktortitels war: Das Mutterkorn und seine rektale Verordnung. Während seines Medizinalpraktikums arbeitete er an der orthopädischen Anstalt des Krüppelhilfe e. V. in Dresden und an der Universitäts-Kinderklinik in Erlangen.[2][3]

Anschließend ging er 1932 zunächst nach Dresden und wechselte später an die Uni-Klinik in Leipzig zu Prof. Dr. Werner Julius Eduard Catel, der bereits 1933 dem NS-Ärztebund beigetreten war und während des Nationalsozialismus als Gutachter im sog. Reichsausschuss im Euthanasieprogramm – und somit maßgeblich an der Kinder-„Euthanasie“ – beteiligt war. In dieser Zeit trat Kleinschmidt dem NS-Ärztebund, der Marine-SA und der NSDAP bei und diente im 2. Weltkrieg als Stabsarzt. Ab 11. Mai 1937 war Kleinschmidt in Ansbach als Kinderarzt gemeldet und ließ sich als Arzt nieder und behandelte dort u. a. auch mindestens ein Kind, dessen Tod ihn später juristisch belasten sollte.

Euthanasie - Der Fall Egon M.

Das Kind Egon M., geboren am 22. Mai 1939, wurde als zartes und oft kränkelndes Achtmonatskind beschrieben, das mittels Zangengeburt auf die Welt kam. Ende 1941 kam die Mutter Egons erstmals in die Sprechstunde von Kleinschmidt in Ansbach. Das Kind hatte offensichtlich nach einer Gehirnhautentzündung mit sechs Monaten einen bleibenden Gehirnschaden behalten. Kleinschmidt überwies das Kind an die Universitätsklinik in Erlangen mit der Bitte um Beobachtung und Beurteilung des Krankheitsbildes.

Die Beurteilung fiel für das Kind vernichtend aus: "Macht einen vollkommen idiotischen Eindruck. Schielt. Dicke Zunge. Schnorchelnde Atmung. Blöder Gesichtsausdruck." Das Resümee: "Besserung wohl kaum zu erwarten." Was folgte war die Überweisung von Egon M. durch Kleinschmidt an die Heil- und Pflegeanstalt Ansbach – mit dem Wissen, dass dies das Todesurteil für das Kind war.[4] Wie nicht anders zu erwarten – und stereotypisch für die Ermordung von Kindern in solchen Einrichtungen zur damaligen Zeit – starb Egon M. am 16. Dezember 1942 an den „Folgen einer Lungenentzündung“. Letzteres war häufig die Umschreibung der Tötung von Kindern durch die Gabe des Medikamentes Luminal – ein Barbiturat, das zur Atemlähmung führt.

Ungewöhnlich an dem Fall ist zusätzlich, dass die Einweisung des Kindes nicht wie üblich über das jeweilige Gesundheitsamt / Fürsorgeamt lief, sondern in diesem Fall direkt über den niedergelassenen Kinderarzt - also Hans Kleinschmidt. Auch in einem weiteren Fall war Kleinschmidt unmittelbar beteiligt. Dabei handelte es sich um Geschwister, dessen Vater selbst Mediziner war. Das ältere Kind ist nachweislich im Rahmen der Kinder-Euthanasie getötet worden, während die Todesumstände zum zweiten Kind noch nicht abschließend geklärt sind.

Entnazifizierung

In dem Entnazifizierungsverfahren in Ansbach fand Kleinschmidt eine Vielzahl von Fürsprechern aus dem Bereich der Kirche und Musik, die ihm attestierten, dass er sich politisch niemals engagiert hätte. Als auch noch Prof. Dr. Catel ihm einem sog. Persilschein im Spruchkammerverfahren ausstellte, schien der Bogen überspannt worden zu sein. Kleinschmidt wurde zunächst als „minderbelastet“, im Revisionsverfahren als „Mitläufer“ eingestuft. Eine weitere Revision zog Kleinschmidt zurück, da ein befreundeter Arzt ihm zu verstehen gab, dass Dr. Catel als Leumund ihm eher schaden als nutzen würde.[5] Somit erhielt er eine Haftstrafe von einem Jahr und eine Geldbuße in Höhe von 5.000 Mark. Nach seiner Haftentlassung zog er mit seiner Familie nach Bad Dürrheim, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1973 mit seiner deutlich jüngeren Frau und fünf Kindern wohnte.

Menschenversuche in Bad Dürrheim

1956 wechselte Kleinschmidt an das Kindersolbad in Bad Dürrheim in Baden-Württemberg, südlich von Villingen-Schwenningen. Zu dieser Zeit war das Kindererholungsheim eines der größten in Deutschland. Als ärztlicher Direktor des DRK-Kindersolbads war Kleinschmidt von 1959 bis 1973 zudem auch als Arzt in mehreren privaten Kinderkurheimen tätig. Im Kindersolbad wurden Verschickungskinder betreut und an ihnen ohne deren Wissen oder Zustimmung der Eltern Medikamententests durchgeführt.[6]

Das diese Art der medizinischen Untersuchung – ohne Einverständnis des Patienten oder der Eltern – vor dem Hintergrund der 1946/47 durchgeführten Nürnberger Ärzteprozesse umstritten war bzw. größtenteils rechtswidrig durchgeführt wurde, war ihm durchaus bewusst und belegen verschiedene öffentliche Aussagen. So gab er 1954 gegenüber von Vertretern der Bundesregierung im Rahmen einer Anhörung anlässlich der Erprobung eines neuen Impfstoffes der Behring-Werke an: [es sei]...„nicht mehr wie früher, als man aus Waisenhäusern und Kliniken Kinder nehmen konnte ohne die Eltern zu befragen.“ Diese Praktiken riefen unter den damaligen Medizinern kaum Empörung hervor, sondern waren vielmehr als Denkmuster fest im beruflichen Kontext verwurzelt. Der Mehrwert eines neuen Präparates oder Medikamentes wäre sozusagen „wichtiger“ als der Wille eines vermeintlichen Patienten.[7] Deshalb war für Kleinschmidt das Kindersolbad Bad Dürrheim ein ideales Betätigungsfeld. Kleinschmidt selbst gab gegenüber der damaligen Presse an, dass die Versuchsgruppen in dieser Einrichtung ideale Bedingungen aufwiesen: „... unsere Kurpatienten bleiben sechs Wochen in der Heilstätte, reisen gemeinsam an und ab [...] Dadurch sind die Versuchsbedingungen ideal [...].“[6]

Die Kinder wurden hierzu meist mit Sedativa ruhiggestellt. Mit unbehandelten Vergleichsgruppen (Placebo-Gruppen) nahm Kleinschmidt wissenschaftliche Studien vor, über die er später publizierte. So testete er demnach Antibiotika, Hustentherapeutika, Asthma-Präparate, Tabletten gegen Masern und Mittel gegen Wurmmaden-Befall für namhafte deutsche Hersteller wie Janssen-Cilag in Neuss oder Schaper & Brümmer in Salzgitter. Nach einem später erstellten Gutachten der Landesärztekammer Baden-Württemberg nahm er dabei auch billigend in Kauf, dass Unverträglichkeiten bei den Probanden auftraten. Auch die Überdosierung von Schlaf- und Beruhigungsmittel wurde billigend in Kauf genommen.[8]

Weiterhin sind während seiner Amtszeit verschiedene Formen der Misshandlung belegt. In über 70 von Hans Kleinschmidt verfassten Schriften findet man u. a. auch einen zweiseitigen Strafenkatalog für Kurkinder, der überschrieben ist mit dem Begriff: „Sanktionen“. Die Sanktionen dienten vor allem den sog. ungezogenen Kindern, die für Kleinschmidt nichts anderes waren als „Straffällige“. Dabei handelte es sich im Wesentlichen um Schläge gegen den Körper, Demütigungen und Ausschluss einzelner Kinder aus der Gemeinschaft bis hin zu prangerartiger Bestrafung.[4] Selbst nachdem 1963 körperliche Strafen an Kindern in Kurheimen verboten wurden, kamen diese weiter unter der Leitung von Kleinschmidt in seiner Einrichtung vor, wie ein Gutachten des NRW-Landtages in Düsseldorf unter Einbeziehung einer 1964 veröffentlichten Schrift von Kleinschmidt verdeutlicht. In dem 1964 erschienen Band zum Thema „Kinderheime, Kinderheilstätten“ empfahl Kleinschmidt weiterhin dem Aufsichtspersonal als Reaktion auf Straftaten: „Man soll sich dann aber nicht hinreißen lassen, ins Gesicht zu schlagen - es gibt eines bessere Stelle.“[8]

Ruhestand

Im Alter von 68 Jahren beendete Kleinschmidt seine berufliche Laufbahn in Bad Dürrheim, ohne sich jemals für sein Handeln juristisch verantworten zu müssen. Der Tod von Egon M. war zwar im Rahmen eines Prozesses für Beihilfe zum Mord 1963/64 gegen den ehemaligen SS-Obersturmführer und Chefarzt der Universitätsklinik Erlangen Albert Viethen öffentlich geworden, führte aber weder für Viethen noch für Kleinschmidt zu einer weiteren juristischen Belastung. Kleinschmidt siedelte nach Niederbayern über.

Seinen Lebensabend beendete Kleinschmidt mit 94 Jahren im niederbayerischen Pfarrkirchen. Erst im Jahr 2021 bzw. 2024 wurden die Misshandlungen und Medikamentenversuche einer größeren Öffentlichkeit gegenüber bekannt. Die Aufarbeitung der Misshandlungen in Bad Dürrheim erfolgte im Rahmen eines Programms des Landes Baden-Württemberg mit Unterstützung des ehemaligen Trägers des Heimes, dem Deutschen Roten Kreuz. Gegenüber der Presse gab Hanno Hurth, Präsident des Badischen Roten Kreuzes, zu den Misshandlungen der Kinder an: „Ich entschuldige mich im Namen des DRK bei allen, die im Haus Hohenbaden Opfer von psychischen und physischen Verletzungen wurden.“[9]

Veröffentlichungen

  • Hans Kleinschmidt: Über die Durchführung von Kindererholungs- und Heilkuren, in: Sepp Folberth (Hg.), Kinderheime, Kinderheilstätten in der westdeutschen Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz, 2. Auflage 1964, S. 25–90

Literatur

  • Sebastian Funk, Johannes Karl Staudt: Haus Hohenbaden: Das DRK-Kindersolbad Bad Dürrheim in der Überlieferung des Badischen Roten Kreuzes. Akademische Verlagsgemeinschaft, München, 2024, ISBN 3954771721, 736 Seiten
  • Sabrina Freund, Dorothea Rettig, Susanne Ude-Koeller, Marion Voggenreiter, Karl-Heinz Leven (Hg.): NS-„Euthanasie“ in Franken - Die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen, die „Aktion T4“ und das „Hungersterben“ - Teil 1: Ereignis und Geschichte. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage, 2024, ISBN 978-3-412-52969-7

Siehe auch

(Lokal-)Berichterstattung

  • SWR: Bericht bestätigt: Ehemaliger Nazi-Arzt testete Medikamente an Verschickungskindern. In: Tagesthemen vom 24. Oktober 2024 - online
  • Alexander Michl: Die Versuchskaninchen von Bad Dürrheim: Früherer NS-Arzt testete an Kindern heimlich Medikamente. In: Südkürier vom 31. August 2023 - online

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Stadtarchiv Fürth, Meldekarte Hans Kleinschmdit
  2. Hans Kleinschmidt: Das Mutterkorn und seine rektale Verordnung. Inanugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, Eigenverlag, 1931
  3. Universität Erlangen, Protokoll über die Promotionsprüfung vom 11. Dezember 1931, UAE-C3, 3 Nr 1931-32-6
  4. 4,0 4,1 Hilke Lorenz: Ein Nazi-Arzt im Kindersolbad. In: Stuttgarter Zeitung vom 10. Dezember 2021
  5. Spruchkammerakte Ansbach - Findmitteldatenbank der Staatlichen Archive Bayerns - online
  6. 6,0 6,1 Dr. Sylvia Wagner zu Medikamentenversuchen im Kindersolbad Bad Dürrheim. In: Verschickungsheime.de, online abgerufen am 28. Oktober 2024 | 15:40 Uhr - online
  7. Niklas Lenhard-Schramm, Dietz Rating, Maike Rotzoll: Arzneimittelprüfungen an Minderjährigen im Langzeitbereit der Stiftung Bethel in den Jahren 1949 bis 1975, Abschlussbericht für Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel Bielefeld, März 2020, S. 61 ff.
  8. 8,0 8,1 Prof. Dr. Marc von Miquel: Verschickung in Nordrhein-Westfalen nach 1945. Auftraggeber: Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW. sv:dok - Dokumentations- und Forschungsstelle der Sozialversicherungsträger - 11. Januar 2022 - S. 44 ff. - online
  9. Tagesschau vom 24. Oktober 2024, online abgerufen am 31. Oktober 2024 | 12:47 Uhr - online

Bilder