Poppenreuther Ölbergkapelle
Bei der Ölbergkapelle der Poppenreuther Kirche St. Peter und Paul als südlichen Anbau des Ostchores handelt es sich um einen Raum, der ständig seinen Zweck änderte.
Beschreibung
Die Reste einer Gottvaterfigur deuten auf eine frühere Gethsemanegruppe mit den schlafenden Jüngern und einem betenden Jesus hin. Dafür spricht auch, dass diese Ikonographie traditionell besonders in einem Friedhofsbereich zu finden ist.[1]
Die Erklärung für das eigenartig, mitten im Raum aufsitzende Kreuzrippengewölbe könnte nun darin liegen, dass dieser Raum ursprünglich zum Kirchhof hin offen war. Der Kirchhof war ehemals Friedhof. Die fehlende Jüngergruppe mit Jesus wäre dann eventuell erklärbar durch die Zerstörungen im Zweiten Markgrafenkrieg 1552. Der offene Raum könnte demzufolge bei den Renovierungsarbeiten von 1583 (Jahreszahl unter dem Ostfenster des Chores) geschlossen worden sein.
Das gleiche Szenario wäre aber auch im Zusammenhang mit den Plünderungen und Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges denkbar. Spätere Kirchendarstellungen zeigen jedenfalls nur den geschlossenen Zustand der Seitenkapelle.
Lavabo/Piscina in Ölbergkapelle
Unerklärlich bleibt dagegen ein Lavabo/Piscina. Dieser Ausguss befindet sich hinter einem schmiedeeisernen Türchen schräg unterhalb der Gottvaterfigur. Ein Lavabo/Piscina wurde zur rituellen Waschung der Pfarrerhände, bzw. der Vasa Sacra (Abendmahlsgeschirr) verwendet und hat deswegen eine Abflussvorrichtung nach draußen, also dem damaligen Gottesacker. Auf so engem Raum passt nun ein Lavabo mit einer Gethsemanegruppe gar nicht zusammen. Vor dem Jahr 1522 und damit vor dem Ostchoranbau könnte an dieser Stelle - gewissermaßen mitten im Friedhofsbereich - eine Gethsemanegruppe gestanden haben, die mit einem Kreuzrippengewölbe überdacht gewesen ist. Aufgrund der Kirchenerweiterung mit dem neuen Ostchor musste dieser ältere Baukörper nun in das größere Gotteshaus integriert werden. Um einen geraden Mauerabschluss an der Südseite zum Kirchenschiff zu erhalten, nahm man 1522 in Kauf, dass das alte Kreuzrippengewölbe nicht mehr exakt in den Raumecken aufsaß.
Die Kirche selbst wurde mit dem neuen Ostchor auch auf das Friedhofsgelände gebaut und rückte im Osten ganz nah an den Mauerring der Wehrkirchenanlage heran. Dies wurde bei den Schürfarbeiten 2012 mit etlichen Knochenfunden (die notwendigerweise aus der Zeit vor 1522 stammen mussten) deutlich. Da heute mehr als eine auf Sicht behauene Sandsteinquaderschicht vom Erdreich bedeckt ist, wirkte der Choranbau in der Entstehungszeit sicher noch höher. Von der bereits erwähnten Gethsemanegruppe, die nun durch die Erweiterung an der Südseite des Chores zu stehen kam, blieb lediglich die Gottvaterfigur übrig. Die Jüngergruppe mit Jesus ist abgängig. Mit dem Lavabo/Piscina bekam der neu entstandene Raum an der Chorsüdseite nun seine eigentliche, damit aber auch neue Bestimmung. Diese bestand darin, dass hier nicht nur das Reinigen der Abendmahlsgeräte vorgenommen wurde, sondern nach der Reformation und der Einführung des Laienkelches der übrig gebliebene Abendmahlswein mittels der Lavabo/Piscina-Abflussvorrichtung in den Kirchhof geschüttet wurde. Damit hatten die Toten gewissermaßen noch Anteil an der vorangegangenen Abendmahlsfeier und die „Gemeinschaft der Lebenden und Toten“ war in diesem kleinen Akt noch einmal versinnbildlicht und ausgedrückt.
So bleibt eigentlich nur die Vermutung, dass es sich hier schon um eine Zweitverwendung des Raumes gehandelt haben muss. Der Ausguss so dicht an der Gott-Vater-Figur deutet klar darauf hin:
die heutige Ölbergkapelle muss zur Sakristei umfunktioniert worden sein.
Bei den Sanierungsarbeiten während des Sommers 2013 wurde u. a. auch das Fundament des Chores freigelegt und die Ausschachtungen brachten erstaunliche Ergebnisse zutage. So lässt sich heute die Situation des Ostchores der Poppenreuther Kirche St. Peter und Paul mit den beiden Anbauten besser erklären. Vor allem wurde die These mit dem Vorgängerbau untermauert. Gestützt wurde sie vor allem dadurch, dass beide Choranbauten (Ölbergkapelle und Sakristei) offensichtlich und durch archäologischen Befund nachgewiesen, nicht zum gleichen Zeitpunkt erfolgten.
Ursprünglich sollte die Ölbergkapelle als Sakristei dienen. Als dieses Bauwerk dann 1522 in den Choranbau integriert worden ist, verstärkte man die kurze Ostmauer derart, dass die verstärkte Wand ebenso in der Lage war die Schubkräfte des Chores zu tragen. Die an anderen Stellen vorgesehene Säulenstrebe im Außenbereich der Chorwände wurde hier nicht bis unten ausgebildet sondern läuft in dem Mauerwerk aus. Die unterschiedlichen Ölbergkapellenmaße von innen und außen ergeben an dieser Stelle eine Wandstärke von 77 cm. Dazu kommt, dass mit der Verbreiterung der Mauer das Fundament von Ölbergkapelle und Chor miteinander verzahnt werden konnte und daher baugleiche Gesteinsquader besitzt (vgl. Bild).
Sakristeianbau mit Renaissancemerkmalen
Andererseits muss diese bauliche Ergänzung des nördlichen Sakristeianbaus aber auch schon recht bald nach 1522 erfolgt sein. Diesen Schluss legt jedenfalls das Aussehen der beiden Sakristeifenster nahe. Ihre steinernen Umrahmungen außen zeigen ein in Sandstein ausgearbeitetes „Birnstabprofil“, das noch typisch für die Epoche der Gotik ist. Allerdings weist die rechteckige Ausformung statt z. B. eines Kielbogens bzw. Eselsrückens bereits deutlich in die Formensprache der Renaissance. Der Anbau könnte also bereits 20 bis 30 Jahre später erfolgt sein, als man nämlich feststellte, dass die „Ölbergkapelle“ als Sakristei doch zu klein war und man eventuell auch wieder über etwas Geld verfügte.
Bemerkenswert ist im Zusammenhang der beiden Choranbauten auch die jeweilige Türsituation. Man kann davon ausgehen, dass Martin Behaim d. Ä. als Baumeister normal darauf geachtet hätte, dass beide Türen in einer Flucht sitzen. Dies ist aber nicht der Fall (vgl. Planskizze).
Offensichtlich gab es Sachzwänge, die ihn davon abhielten eine Symmetrie im Chorraum herzustellen. Das könnte eventuell durch die vorgegebene Ölbergkapelle, die in die Chorerweiterung zu integrieren war, der Fall gewesen sein. Die Türe ins Innere der Kirche ist nämlich genau in die Mitte des kleinen Nebenraumes platziert, ist aber nicht auf einer Linie mit der gegenüber liegenden Sakristeitüre.
Völlig anders ist die Situation bei der Sakristei im Nordbereich. Hier ist das Fundament wesentlich kleinteiliger als beim Chor (vgl. Bild). Außerdem stößt es stumpf an die Chorfundamentierung an. Dies ist als ein deutlicher Hinweis zu werten, dass der Sakristeiraum erst später angebaut wurde. Als weiteres Indiz kann die Säulenstrebe in der Sakristei dienen. Sie war vorher außen an der Chornordwand gestanden. Mit dem Anbau kam sie nun ins Innere, konnte aber aus statischen Gründen nicht aufgegeben werden. Nun wirkt sie fast wie ein Fremdkörper in der Sakristei und schneidet relativ unvermittelt in das Kreuzrippengewölbe der Sakristei ein (vgl. nebenstehendes Bild rechts). Jedenfalls hätte wohl kein Baumeister dies von Anfang an so geplant.
Einzelnachweise
- ↑ Diese Gethsemanegruppe bildet die biblische Geschichte ab, in der Jesus von vier schlafenden Jüngern im Garten von Gethsemane kurz vor seiner Verhaftung umgeben ist. Dabei betet er, dass dieser Kelch an ihm vorübergehen möge.
Siehe auch
Bilder
Chor mit dem nördlichen Anbau der Sakristei und dem südlichen Anbau der Ölbergkapelle; der blaue Pfeil markiert, dass die beiden Türen nicht exakt auf einer Linie sitzen; grün die Mauerverstärkung, die den Schub der äußeren Säulenstrebe trägt; rot das nicht in den Raumecken sitzende Kreuzrippengewölbe der Ölbergkapelle