Gänsberg

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Stadtplan des Gänsbergviertels, ca. 1960

Der Gänsberg (färdderisch: "Goonsberch") war ein Fürther Altstadtteil. "Gänsberg" ist der Flurname für den Uferberg in Erstreckung zwischen Königstraße und jüdischem Friedhof. Der Name leitet sich von den Gänsen ab und nicht - wie um 1700 herum erfunden - vom Gehen. Als eine der ersten Erwähnungen dieser bis heute geläufigen Bezeichnung ist bereits der März des Jahres 1449 zu nennen. Um 1700 versuchte man, den Namen durch die an die erfundene Definition angepasste Phantasiebezeichnung Gänger oder Gängenberg zu verdrängen. Im Bereich des Gänsbergviertels war von 1617 bis zum Jahre 1938, als es dem Naziterror zum Opfer fiel, das Zentrum der Jüdischen Gemeinde von Fürth - der Schulhof.


Beschreibung

Der Goonsberch um 1900

Beschreibung des Gänsbergviertels anhand eines Stadtspaziergangs im Jahr 1933 von Dr. Eduard Rühl, ausgehend von der Maxbrücke:

Beim Rückweg biegen wir etwas rechts aus und steigen diesmal die Bergstraße hinauf, die der Eingeborene "Gänsberg" nennt. Das Häuser- und Straßengewinkel, das sich längs dieser findet, in der wir vielleicht die älteste Durchgangsstraße sehen dürfen, ist von ganz anderer Art als etwa die Königstraße oder der Marktplatz. Hier eine gewisse Weite und Behäbigkeit, dort (am Gänsberg) ist alles eng und dürftig und bescheiden. Während wir drüben an Marktplatz - Königstraße einen ständigen Verschönerungsprozess beobachten können, vom Fachwerk- bis zum dekorativen Empiregiebel, scheint hier nach dem Wiederaufbau von 1634 Entwicklung und Zeit stehengeblieben zu sein. Wir stehen im ursprünglichsten Teile von Alt-Fürth. Und doch hat, und das ist noch nicht so lange her, dieser eine Stadtteil sein äußeres auch einmal verändert. Zahlreiche Häuser dieses Viertels sind nämlich verschiefert und zwar nicht nur auf der Wetterseite, sondern allseits. Dieser Wechsel kann erst nach Erbauung der Eisenbahn erfolgt sein, denn Schiefer gibt es bei uns nirgends; erst die Eisenbahn brachte die Möglichkeit, dieses Werkmaterial verhältnismäßig billig zu bekommen. Wenn nun durch diese Verschieferung das alte Fachwerk fast restlos zugedeckt wurde und Schiefer einer malerischen Wirkung nicht gerade entgegenkommt, so kann doch auch diesen Häusern, besonders wenn sie irgendwie zu einer Gruppe zusammengefasst sind, ein gewisser Reiz nicht abgesprochen werden. Schreiten wir nun zum Beweise links durch den Schulhof (Hof vor der Synagoge), zu dem der Spitzturm der Michaelskirche herübergrüßt. Schon stehen wir wieder in der Königstraße und jetzt fällt uns auf, das auch auf sie die Verschieferung übergegriffen hat (...).[1]


Entstehung

Die bäuerliche Prägung Fürths bestimmte lange das Stadtbild, ehe im 16. Jahrhundert das Handwerk und die Gewerbetreibenden im Ortsbild dominanter wurden. Diese Entwicklung ging einher mit der Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen aus den Niederlanden und Frankreich und dem Zuzug von Juden, deren Ansiedlung u. a. in Nürnberg untersagt war. Letzteres war zumindest von dem Bamberger Domprobst und dem Ansbacher Marktgraf gewünscht bzw. bewusst als Ansiedlungspolitik betrieben worden, um z. B. die Einnahmen von Schutzgeldzahlungen zu erhöhen oder das Wachstum des Ortes durch Handel zu fördern.[2]

Steinerne Zeitzeugen der bäuerlich geprägten Zeit sind heute noch die bestehenden Bauernhöfe, z. B. im Bereich der Gustavstraße der Rednitz- und Traubenhof. Mit den Zuwanderungswellen kamen ebenfalls neue Gewerbearten und Berufsgruppen nach Fürth, so z. B. die Gewerbearten der Gieß- und Kohlehütten sowie Messingbetriebe, Tabakanbau, Uhr- und Brillenmacher. Am förderlichsten für das Wirtschaftsleben war, insbesondere im 18. Jahrhundert, die Konkurrenz zu Nürnberg. Durch eine restriktive Auslegung der Zunftordnung wurde sowohl den Juden als auch vielen anderen Handwerkern die Ausübung ihrer Tätigkeit in der Reichsstadt Nürnberg untersagt, so dass diese sich in Fürth – vor den Toren Nürnbergs – ansiedelten und damit das städtische Wirtschaftsleben deutlich beförderten. Diese berufliche Verdrängung der landwirtschaftlichen Betriebe spiegelte sich auch in der Entwicklung des Gänsbergs wieder, in dem die bäuerlichen Betriebe zunehmend räumlich aus dem Siedlungskern an den Rand verdrängt wurden.

Ansicht Fürths von Norden, 1631. Hervorgehoben sind Geleitshaus u. Synagoge - die Anfänge der Bebauung am Gänsberg

Siedlungskerne der Altstadt waren zunächst der Königshof und die Michaeliskirche, die sich auf der Terrasse am Zusammenfluss von Rednitz und Pegnitz befanden. Die Grenzen der mittelalterlichen Siedlung verliefen vermutlich zwischen der heutigen Ammonstraße, der oberen Fischergasse und Waaggasse. Die genaue südliche Abgrenzung ist umstritten, lag aber vermutlich hinter der ehem. Synagoge im Bereich der heutigen Lilienstraße.

Der Chronist Wilhelm Funk schrieb in den Fürther Heimatblättern 1952, dass die Besiedlung des Gänsbergs vermutlich erst im 17. Jahrhundert erfolgte.[3] Die Ortsentwicklung erfuhr jedoch eine jähe Zäsur durch die nahezu vollständige Zerstörung der Siedlung am 8. September 1634 während des Dreißigjährigen Krieges durch das kroatische Regiment. Bis auf wenige Häuser aus Stein, wie z. B. die Michaeliskirche, das Geleitshaus und die Synagoge, wurden nahezu alle Häuser in Fürth vollständig zerstört. Auch die Bevölkerung halbiert sich fast auf knapp 800 Menschen.[2] Erst mit dem Friedenschluss 1648 begann in Fürth der Wiederaufbau, wobei sich dabei die massive Bauweise mittels Steinen im Hausbau durchsetzte.

Die erste größere Ortserweiterung erfolgte bereits 1672. Dabei wurden Flächen des Ansbacher Markgrafen südlich des Geleitshauses überwiegend an Juden verkauft, so dass bis 1720 das Gelände bis zur heutigen Gartenstraße nahezu vollständig bebaut war. Der Wiederaufbau erfolgte in einem geschlossenen System, in dem sich benachbarte Häuser häufig eine Brandmauer teilten. Die Bebauung war in einer typisch „fränkisch engen Reihe“ erfolgt, die lediglich schmale Zwischenräume für den Brandschutz und den Regenablauf zuließen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wird statt des geschlossenen Systems im Städtebau das offene System Fuß fassen, dessen Ansätze heute noch in der Villenbebauung an der Hornschuchpromenade zu erkennen sind.

Zentrum der Altstadt war der Marktplatz/Grüne Markt, an dem sich später mit die wichtigsten öffentlichen Häuser befanden – das Amtshaus und das Geleitshaus. Geistliche Zentren bildeten der Platz um die Michaeliskirche, deren Ursprung ein ummauerter Friedhof war, und der Synagogenplatz, der im 17. Jahrhundert seinen Ursprung hatte. Beide Plätze waren nicht direkt an die Hauptstraßen des Ortes angebunden, sondern nur über zum Teil verwinkelte Gassen zu erreichen. Die noch bestehenden Bauernhöfe wurden in der Folgezeit meist umgebaut und entwickelten sich im Netzwerk der Straßen häufig zu Sackgassen.

Mit zum Teil bis zu 40 Hausgrundstücken pro Hektar wies die Altstadt mit die engste Parzellierung auf. Ab 1670 versuchten zum Teil die Territorialherren in Ansbach, Bamberg und Nürnberg systematisch durch verschiedene Initiativen Einfluss auf die Stadtentwicklung zu nehmen. So wurde u. a. durch die Dompropstei in Bamberg im späten 17. Jahrhundert die verwinkelte und noch typisch altstädtische Schindelgasse an christliche und jüdische Bauwillige vergeben zur Verbesserung der Erschließung der Gegend, während gleichzeitig die Markgrafen von Ansbach ihren Hoheitsbereich um das ehem. Brandenburger Haus – dem Standort des heutigen Rathauses – gradlinig ausbauten, z. B. durch die Besiedlung der heutigen Ludwig-Erhard-Straße (Sternstraße), Wasser- und Gartenstraße, sowie den Bereichen der Mohrenstraße und Obstmarkt. Die Ausdehnung nach Osten wurde um 1700 von Bamberger Juden initiiert, die die ersten Häuser auf dem Königsplatz errichteten und von dort aus die Häuser an der Baulinie des Brandenburger Hauses ausrichteten. In der Folge entstanden dann die heutige Bäumen- und Alexanderstraße als völlig geradlinige Straßenzüge mit parallelen und typologisch einheitlichen Häuserzeilen.

Während des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Stadt rasant weiter, allerdings konnte sie sich ausschließlich Richtung Süden und Osten weiterentwickeln. Durch die Randlage im Mündungsbereich zweier Flüsse vermochte sich der Siedlungskern nur einseitig weiterzuentwickeln, da die Bereiche nördlich und westlich als Überschwemmungsgebiet nicht in Frage kamen.

Wohn- und Arbeitsplatz Gänsberg

Waschtag in einem Hinterhof der Markgrafengasse

Infolge der großen Zuwanderung wuchs das „nach der Einwohnerzahl nur mittelgroße Fürth … in seinem städtebaulichen Habitus als Teil der Agglomeration in großstädtische Dimensionen hinein."[4] Das heißt, dass die zum Teil drastische Bevölkerungsvermehrung mit der Wohnraumbeschaffung in vielen Fällen kaum mithalten konnte. Dies galt insbesondere für die sozial schwächeren und ärmeren Schichten der Bevölkerung, die für die Produktion von Gütern in zum Teil extrem prekären Arbeitsverhältnissen ihr Auskommen verdienen mussten. Wohnten um 1700 noch ca. 6.000 Menschen in Fürth, waren es keine 100 Jahre später bereits doppelt so viele. Bis 1900 hatte sich die Bevölkerung innerhalb von nur 200 Jahren fast verzehnfacht. Der Zuzug der Menschen wirkte sich u. a. in der Stadtentwicklung vor allem baulich dadurch aus, dass eine massive Verdichtung der bestehenden Siedlung am Gänsberg vollzogen wurde. In vielen Hinterhöfen entstanden zusätzliche Gebäude, bestehende Gebäude wurden aufgestockt und selbst die Haupthäuser der Eigentümer wurden so umgebaut, dass sie weitere Mieter aufnehmen konnten. Auf diese Art wurden besonders im späten 17. und im 18. Jahrhundert viele Grundstücke in ihrer Bausubstanz verändert, um Raum zu schaffen. Schon 1799 stellte der Zeitgenosse J. K. Bundschuh das alte Fürth als völlig übervölkerte Ansiedlung dar: „Die große Anzahl der Einwohner (steht) in keinem Verhältnisse mit der Häuserzahl – so wohnen gewöhnlich fünf, sechs, zwölf bis fünfzehn Familien in einem Hause und im sogenannten langen Hause sogar 36 Haushaltungen.“[4] Gemeint war hier ein besonders großes Haus an der Baldstraße aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, einem Vorläufer der Mietskaserne, das 1886 durch eine modernere Mietshausgruppe ersetzt wurde.

Maßgeblich für die Baudichte im Stadtkern waren letztendlich eine Korrelation des hohen Bodenwertes und der Anspruch einer hohen Rentabilität bei optimaler „Mietshausbauweise“. Deshalb wurde abhängig vom Grundstücksanteil der Gärten und Hofräume stets die größtmögliche Verdichtung angestrebt. Tendenziell bestand von Seiten des Eigentümers der Anspruch, die hohen Erschließungskosten niedrig zu halten, wodurch schmale und tiefe Baufelder und der Bau von Rückgebäuden einen hohen Stellenwert genossen. Dabei spielte die Funktion eines Gebäudes keine Rolle. Ein weiterer begünstigender Faktor der dichten Bebauung mag auch der fehlende öffentliche Nahverkehr dargestellt haben, die die Erschließung von Wohnraum und Arbeitsplatz notwendig machte. Eine Trennung von Arbeitsplatz und Wohnraum war bis weit in das 19. Jahrhundert nicht üblich, so dass die Menschen stets dort wohnten, wo sie arbeiteten.

Die Folgen der Verdichtung waren fatal. Die verbliebenen Höfe und Zwischenräume zwischen einzelnen Gebäuden waren häufig zu klein, um deren Funktion als Belüftung und Belichtung gerecht zu werden. Die Rückgebäude der Altstadt waren meist schmucklose Kleinhäuser aus Backstein in regloser Stellung, einzig mit dem Ansinnen, die ehemalige Hoflage auszufüllen. Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde das klassische Wohnhaus durch sog. Mietshäuser abgelöst, während man gleichzeitig bemüht war, die Zusammensetzung der Bewohner nach sozialen Kriterien zu unterscheiden.

Drechslerei in der Rednitzstraße

Die enge Verzahnung der unterschiedlichen Funktionen verursachte weitere Probleme. Bedingt durch den geringen Platz wurden auch zunehmend hauswirtschaftliche Tätigkeiten im Wohnbereich wie Wäschetrocken oder Holzspalten in den Wohnraum verdrängt mit der Konsequenz, dass die unzureichende Belüftung in den Gebäuden zusätzlich die mangelhaften Wohnsituationen verschärfte. Mit dem Funktionswechsel im privaten ging häufig aber auch ein Funktionswechsel im gewerblichen Bereich einher. Spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden viele Gebäude im Erdgeschoss häufig als Gewerberaum genutzt – mit der Tendenz der zunehmenden Vergrößerung der Flächen. Eine reglementierende Bauordnung, die man in dem Zusammenhang hätte vermuten können, wird aber erst gegen 1900 erlassen und greift faktisch erst gegen Ende des Ersten Weltkrieges. Viele Arbeitsstätten befanden sich in Wohnungen oder zumindest im Bereich der Mietshäuser, da Wohn- und Arbeitsstätte in der frühindustriellen Zeitphase nahezu identisch waren. Dr. Adolf Mair schrieb in der Topo- und Ethnographie des Physikatsbezirks Fürth 1861, dass „als Eigentümlichkeit Fürths genannt werden muss, dass selbst lärmende Gewerbe, z. B. Schreiner, Drechsler, in den höchsten Etagen wohnen … die Arbeitslokale sind meist zu klein, zu niedrig und schlecht… [es] darf nicht wundern, wenn man erwägt, dass mit Mühe passende zu erstellen sind und meist gewöhnliche Zimmer dazu eingerichtet werden.“[5] Auch die Einrichtung von Industriebetrieben in diesem Kernbereich war keine Seltenheit. Hinter den einheitlichen Fronten eröffneten sich im Blockinneren meist kleinteilige und individuelle Hofbebauungen, die zum Teil unhaltbare Zustände für die Bewohner schufen. Nur wenige Betriebe mussten auf Grund ihrer Gefährdungssituation sich außerhalb des Stadtgebietes ansiedeln.

Eine Untersuchung der Wohnverhältnisse aus dem Jahr 1907 belegt eindrucksvoll, dass um die Jahrhundertwende nach wie vor 35 % aller Fürther Betriebe in Nebenräumen von Wohnungen untergebracht waren, die häufig in den älteren und kleinindustriell durchsetzten Vierteln in den unteren Geschossen existierten. Von 1.930 Wohnungen waren 14 % mit einer gewerblichen Nutzung in den Nebenräumen und Rückgebäuden zu finden, während weitere 41 % der gewerblich genutzten Räume sich in den Obergeschossen befanden. Allerdings sind diese Zahlen schon damals kritisiert und als geschönt bewertet worden, da laut Definition die Überbelegung erst dann der Fall war, wenn in einem heizbaren Raum mehr als vier Personen wohnten bzw. in zwei Zimmer mehr als sieben und in drei mehr als zehn Personen wohnten. Damit lag die Bewohnerzahl je Hausgrundstück um 1900 bei 24,8 Personen pro Anwesen. Lediglich Berlin mit 77 und München mit 37 Personen pro Anwesen lagen deutlich darüber.

20. Jahrhundert

Gänsberg im Winter, 1938

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gänsberg nach dessen völliger Zerstörung im Jahre 1634 sich nur langsam baulich wieder erholte. Dabei konnte aber das Wachstum der baulichen und infrastrukturellen Substanz nicht mit dem Wachstum der Bevölkerung mithalten, so dass es in vielen Bereichen zu eklatant schlechten Wohnverhältnissen kam. Die gleichzeitige Industriealisierung und Zunahme der gewerblichen Betriebe führten zu einer weiteren Verschlechterung der Gesamtsituation. In der Summe – neben dem weiteren Aspekt des steigenden Verkehrsaufkommens – konnte sich die Stadtentwicklung nur südlich bzw. südöstlich weiter ausdehnen, wie es das 18. und vor allem das späte 19. Jahrhundert sehr anschaulich belegen durch die Vielzahl der entstanden Häuser in der Ost- und Südstadt. Die meisten Investitionen der Grundstückseigentümer, aber auch der Kommune, konzentrierten sich auf die neuen zentralen Bereiche der Stadt und deren Erweiterungsgebiete, womit sich die Mitte der Stadt immer weiter nach Osten verschob. Im Gegensatz zu anderen Städten wie Nürnberg, Regensburg oder Rothenburg war die Fürther Altstadt zu diesem Zeitpunkt für die Bevölkerung nicht identitätsstiftend genug, um einen weiteren Verfall der Altstadt aufzuhalten. Vielmehr beginnt eine Abwanderungsbewegung aus der Altstadt. Wer es sich leisten kann, versucht bereits im späten 19. Jahrhundert aus dem Gänsberg wegzuziehen, in die weit modernen und besseren Stadtteile Fürths.

Luftbild des "alten" Gänsbergs zu Beginn der Flächensanierung, der Parkplatz gegenüber der Kirche St. Michael ist der Bereich des zerstörten "Schulhofs"

Während der Bevölkerungszuwachs in Fürth vor dem 20. Jahrhundert primär noch durch die Landflucht bedingt war und durch die Industrialisierung verschärft wurde, spielte der Zuwachs der Bevölkerung durch Kriegseinflüsse zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Das sollte sich im 20. Jahrhundert massiv ändern. Bereits um 1930 – so der 2. Bürgermeister Johann-Adam „Hans“ Segitz – wurden erstmals Überlegungen laut, den Gänsberg einer Sanierung zuzuführen bzw. dessen Abriss in Erwägung zu ziehen. Doch hierzu kam es nicht mehr, da die Kriegswirren solche Überlegungen in den Hintergrund treten ließen. Dies wäre aus heutiger Sicht dennoch der günstigste Zeitpunkt gewesen – zwischen den beiden Weltkriegen – wenn man ernsthaft den weiteren Verfall des Gänsbergs hätte aufhalten wollen. Denn was nach dem Zweiten Weltkrieg folgte, führte nun endgültig zum Aus des Altstadtviertels.

Zunächst hatte Fürth den Vorteil, dass die Bausubstanz während des Zweiten Weltkrieges weitestgehend erhalten geblieben war, dass sich jetzt aber gewissermaßen zu einem Nachteil für die Stadt auswirkte. Die meisten umliegenden Städte waren ausgebombt und boten somit keinen Wohnraum – nur Fürth nicht - hier befanden sich noch intakte Häuser und Wohnungen, gerade im Altstadtbereich bzw. im Gänsberg. Während also die Zuwanderungswellen in der Vergangenheit noch in der Quantität überschaubar waren, stellte es nun nach 1945 die Stadt vor fast unlösbare Probleme. Noch zum Kriegsende wohnten in Fürth knapp 60.000 Menschen, doch das änderte sich schnell. Zunächst mussten die Menschen aus den ausgebombten Nachbarstädten in dem bestehenden Wohnbestand untergebracht werden (ca. 10.000 Menschen alleine aus Nürnberg), gefolgt von den Kriegsflüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten des Reiches. Gleichzeitig kamen die Heimkehrer und Kriegsgefangenen langsam wieder in ihre Stadt zurück (ca. 8 – 10.000 Menschen) und zusätzlich mussten noch Ausländer und Staatenlose mit aufgenommen werden, die eine Bleibe suchten. Erschwerend kam hinzu, dass die US-Militärregierung ca. 600 bis 700 Wohnungen für ihre eigenen Zwecke beschlagnahmt hatte.[6] Bereits nach kurzer Zeit war im Sommer 1945 die Einwohnerzahl wieder gleich die der Vorkriegszeit, nämlich ca. 79.000 Einwohner – innerhalb von nur ein paar wenigen Wochen ein Plus von knapp 20.000 Menschen. Nur wenige Monate später waren es erneut 10.000 Einwohner mehr und im Oktober 1946 erreicht die Stadt knapp die 100.000-Einwohner-Marke. Das Zuzugsverbot, dass bereits am 27. Juli 1945 durch die US-Militärregierung erlassen wurde, hatte faktisch keine Bedeutung. Bis 1955 kamen insgesamt 17.010 Vertriebene aus den ehem. Ostgebieten und nochmals 3.629 Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone, der künftigen DDR, nach Fürth.[7] Ein Großteil der Zuwanderer fand erst einmal ein Bleibe im völlig überfüllten Gänsberg, ehe neue Wohnsiedlungen fertig gestellt wurden und für eine Entlastung im Wohnungsmarkt sorgten.


"Flächensanierung"

Gedankenspiele zur Neubebauung
Stand der Abrissarbeiten um 1973
Aufnahme vom Gänsberg während der Flächensanierung, ca. 1970

Die Diskussion bzgl. einer Sanierung der Altstadt hatte 1956 die FDP im Stadtrat begonnen. Insbesondere der FDP-Stadtrat und Anwohner des Gänsbergs Hans Lotter hatte die Diskussion um den Abriss der Altstadthäuser angeheizt. "Von der Altstadt aus entwickelte sich das heutige Bild der Stadt, jahrhundertelang lag dort das Zentrum unseres Gemeinwesens … Heute verfallen Gebäude, ohne Möglichkeit, dem Einhalt zu gebieten. Es ist ein Wohnen dort in drangvoller Enge mit all den bekannten unerfreulichen Folgeerscheinungen für Gesundheit, Familie und Hausfrieden. Die Verhältnisse sind rückständig, die Straßen dem Verkehr nicht gewachsen."[8] Der Umstand, dass das nötige Geld für eine Sanierung fehlte, und die vorherrschende Wohnungsnot die Sanierung verhindere, ließ Lotter das Projekt der Sanierung wie folgt titulieren: „… das [geht] über die Kraft einer Generation[9] – und er sollte damit recht haben, auch wenn das noch zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen konnte. Zwar stieß Lotters Idee bei der Stadt auf offene Ohren, aber der Kulturreferent Dr. Schwammberger drückte sich dazu wie folgt aus: Das Vorhaben sei wie „Wasser in den Fürther Wein gießen“, da die Sanierung letztendlich nur eine finanzielle Frage darstellen würde; vor allem zum aktuellen Zeitpunkt – bei noch über 2.000 fehlenden zusätzlichen Wohnungen und Wartezeiten von über 10 Jahren auf die Zuteilung einer Wohnung – wäre der Abriss des Gänsbergs grob fahrlässig. Die Fürther Nachrichten berichten am 31. Oktober 1956: „Leider eben das alte Lied: die Notwendigkeit der Altstadtsanierung wird von jedermann erkannt, dringend ist sie auch, weil ja eine Reihe von noch bewohnten Häusern schon so baufällig sind, dass sie schon längst geräumt werden müssten, doch fehlt es an dem nötigen Geld, um diesen Plan in absehbarer Zeit durchzuführen.“[9]


Was folgt ist eine 13-jährige Bausperre für das Sanierungsgebiet Gänsberg, die den Eigentümern jede Form der Sanierung oder Renovierung versagte. Auch die verfehlte Bundespolitik, die eine Sanierung des Gebietes finanziell nur unterstützte, wenn zuvor die bestehende Bausubstanz beseitigt wurde, führten u. a. in der Folge zum Untergang des Gänsbergs.


Literatur


Siehe auch

Weblinks

  • Die Abräumer: 20 Jahre nach Abschluss der Flächensanierung des Gänsbergviertels in Fürth - PDF-Datei

Einzelnachweise

  1. Dr. Eduard Rühl: Das Gesicht von Alt-Fürth. In: Fränkische Heimat, Sonderheft, 12. Jahrgang, Juni 1933, S. 192
  2. 2,0 2,1 Bernd Windsbacher: Geschichte der Stadt Fürth, C. H. Beck, München, 2007, S. 31
  3. Wilhelm Funk: Zur Stadtentwicklung von Fürth. Königshof - Markt - Stadt. In: Fürther Heimatblätter, 1952/1, S. 1 - 20
  4. 4,0 4,1 Heinrich Habel: Denkmäler in Bayern – Stadt Fürth V.61. Karl-M.-Lipp-Verlag, München, 1994, S. XVII
  5. Mair, A., Ott, H.: Fürth zu Beginn des Industriezeitalters. Hrsg. vom Geschichtsverein Fürth e. V., Fürth, 1989/1861, S. 52
  6. Barbara Ohm: Fürth – Geschichte der Stadt. Jungkunz Verlag, Fürth, 2007, S. 319
  7. Hirt, W.: Fürth – Wiederaufbau eines Gemeinwesens – Entwicklung einer Großstadt 1946 – 1955, Fürth, 1956, S. 105
  8. Fürther Nachrichten, Befragung bei den Altstädtlern - Des alten Gänsbergs verheißungsvolle Zukunft, vom 2. August 1958
  9. 9,0 9,1 Fürther Nachrichten, Lebhafte Diskussion bei der FDP um das Problem der Sanierung der Altstadtverhältnisse, vom 31. Oktober 1956

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