Louis Kissinger (geb. 2. Februar 1887 in Ermershausen, gest. 19. März 1982 in New York[1]) war von Beruf Lehrer und der Vater von Henry Kissinger.[2] Louis Kissinger wird als zweitältester Sohn von David und Lina Kissinger geboren. Seine Jugend verbringt Louis sorglos im unterfränkischen Ermershausen, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Haßfurt. Louis ist der erste Kissinger, der gewissermaßen eine Familientradition bricht, in dem er nicht mehr ausschließlich den Beruf des sog. "Judenlehrers" erlernt, sondern Lehrer im öffentlichen Dienst werden will und damit auch nichtjüdische Kinder unterrichten möchte.

Unterschrift Louis Kissinger

Ausbildung und Lehre

 
Louis Kissinger mit Vater David Kissinger, ca. 1945

Im Jahr 1900 kommt Louis Kissinger mit nur 13 Jahren auf die königliche Präparandenschule in Arnstein. Die Präparandenschule ist um die Jahrhundertwende eine Art untere Stufe der Volksschullehrerausbildung.[3] Bereits 1901 zählt er zu den "Besten seines Kurses".[4] Sein Jahreszeugnis zählt noch weitere postive Eigenschaften auf, u. a. heißt es darin: "Durch seine vielen Geistesanlagen, ... seinen lobenswürdigen Hausfleiß, verbunden mit Eifer und Aufmerksamkeit beim Unterricht, hat er in allen Gegenständen die Zufriedenheit seiner Lehrer erworben. Sein religiössittliches, sein disziplinäres Verhalten war durchaus tadelfrei".[5]

Kissingers Berufsleben in Fürth

Mit 18 Jahren bewirbt sich Louis Kissinger zum ersten Mal um eine Lehrerstelle und kommt somit auch zum ersten Mal mit Fürth in Berührung. Er bewirbt sich beim Vereinigten Heberlein’schen und Arnstein’schen Institut, das 1848 von Simon Geiershöfer als Privatinstitut für Mädchen gegründet wurde und 1883 mit der privaten Heberleinschen Töchterschule zusammengeführt wurde. Es ist die erste private höhere Mädchenschule in Fürth, die ursprünglich für Töchter aus jüdischen Häusern gegründet wurde. Um die Jahrhundertwende wurden auch Schülerinnen des christlichen Glaubens zugelassen, so dass die eine Hälfte jüdischen und die andere Hälfte christlichen Glaubens war, meist des evangelischen. Nach knapp 60 Jahren schließt 1907 die Schule ihre Pforten, nachdem das städtische Mädchenlyzeum an der Tannenstraße den Unterricht aufgenommen hatte.

 
Louis Kissinger mit Schülerinnen, ca. 1920

Im November 1905 hält Louis Kissinger jedoch erst einmal seinen Einstand in der Heberlein- und Arnsteinischen Höheren Mädchenschule. Er darf dort bis zu fünf Wochenstunden den isrealitischen Religionsunterricht in den unteren Klassen abhalten. Im März 1906 wird Kissinger durch das Rabbinat im Unterricht geprüft. In dem schriftlich verfassten Bericht über den Unterricht wird es später heißen: "Ich freue mich nun, sagen zu können, dass mich ... gründlich vorgenommene außerordentliche Visitation vollständig befriedigt hat. Im Interesse der Schule empfehle ich dringend, für dieses Jahr in dieser kombinierten Abteilung einen weiteren Lehrerwechsel zu verhüten, umsomehr als .. Herr Kissinger den richtigen Ton im Umgang mit seinen Schülerinnen zu treffen scheint."[6] Gleiches weiß sein Schulleiter über Louis Kissingers Leistungen zu berichten. Am 18. September 1906 schrieb der Schulleiter in das Zeugnis von Louis Kissinger: "Herr Louis Kissinger ... wirkt seit dem Schulbeginn 1905 an der ... Schule des Unterzeichneten als Lehrer der III. und IV. Klasse. Der Unterzeichnete bezeugt genau, dass der verhältnismäßig sehr junge Lehrer sich gleich zu anfangs seiner beruflichen Tätigkeit als ungemein fleißiger, fähiger und rühriger Pädagoge erwies, sich bisher als äußerst gewissenhaft, pünktlich und pflichtgenau nach jeder Richtung hin bewährte und infolge seiner Berufsfreudigkeit und Liebe zu den Kindern ganz vorzügliche Unterrichtsresultate erzielte."[7]

 
Louis Kissinger im Kreis seiner Kollegen, ca. 1920

Privat schien Kissinger zunächst in einem Zimmer in der Theaterstraße zur Untermiete gewohnt zu haben. Es folgt eine Wohnung beim Bäckermeister Berle Oppenheimer in der Hirschenstraße, bis er Anfang Dezember 1908 in der Schwabacher Straße 42 eine Wohnung bezog. Zur gleichen Zeit unterrichtete Louis Kissinger ebenfalls in der 1897 gegründeten privaten Heckmannschule, die er vermutlich als Dienststelle nutzte, nachdem das Heberlein- und Arnsteinische Institut 1907 schließen musste. Er unterrichtet nun - nach seiner Anstellungsprüfung am 20. September 1909 - die Knaben der Heckmannschule. Sein Jahresgehalt beträgt 1.000 Reichsmark. Seine Anstellung in der Heckmannschule dauerte knapp 10 Jahre. Dabei unterrichtete er in der reinen Knabenschule Deutsch, Rechnen und Realien (also Naturwissenschaften, wie Erdkunde, Geschichte, Biologie oder Physik/Chemie). Vom Kriegsdienst 1914 - 1918 als Lehrer befreit, sucht Kissinger nach Möglichkeiten seiner beruflichen Weiterentwicklung. Er bewirbt sich mehrfach an anderen Schulen, so z. B. 1910 an der Isrealitischen Präparandenschule Talmud-Thora in Burgpreppach, allerdings lehnt er diese Stellen immer wieder ab. Kissinger lehnt auch 1918 eine Stelle im oberschlesischen Beuthen ab, die ihm 4.000 Reichsmark für seine Tätigkeit "hauptsächlich in (der) Erteilung des Religionsunterrichts, Hebräisch und den damit verwandten Fächern in der Jüdischen Volksschule, Gymnasium, Realgymnasium und Lyzeum" geboten hatte.[8]

Am 29. April 1917 bewirbt sich Louis Kissinger, inzwischen 30 Jahre alt, beim Königlich Bayerischen Staatsministerium des Inneren für Kirchen- und Schulangelegenheiten für die Zulassung zur Reifeprüfung an Realgymnasien. Kurze Zeit später erfolgt die Zulassung zur Prüfung. Zur gleichen Zeit beantragt Kissinger in Fürth das Bürgerrecht, dass ihm am 20. November 1917 zugesprochen wird. Kissinger hatte bereits im Oktober 1917 das Studium der Kameralistik (Buchführung, öffentliche Verwaltung) und Philosophie an der Universität in Erlangen begonnen. Am 10. April 1919 erhält Kissinger erstmals ein Abgangszeugnis, so dass seiner Anstellung im öffentlichen Dienst nichts mehr im Weg steht. Im Jahresbericht der Städtischen Höheren Mädchenschule in Fürth wird Kissinger 1919/1920 erstmals als Hauptlehrer für Deutsch, Rechnen und Realien erwähnt. Am 3. März 1920 erhält Kissinger durch eine Regierungsentschließung die Festanstellung an der höheren Mädchenschule, dem heutigen Helene-Lange-Gymnasium. Seine Schüler nennen Kissinger "Kissus" und manche Mädchen beschreiben ihn als "stets korrekt gekleideten, mit Fliege, später vorzugsweise mit Krawatte zum meist dreiteiligen Anzug" gekleideten Lehrer, der gerne mit einem Buch unter dem Arm beschwingt - fast hüpfend - zum Pult im Klassenzimmer eilte mit den Worten "Setzen, setzen!". Während die Mädchen eher für ihn schwärmten, schienen die Knaben seine "Schwächen" bald erkannt zu haben, denn als besonders strenger Lehrer, der den Stock zur Disziplinierung einsetzt, wird er nicht beschrieben. Kissinger hatte zwar - wie damals üblich - einen Stock griffbreit, aber zum Einsatz kam er scheinbar so gut wie nie. Dies schien einige Schüler immer wieder zu Streichen gegen Kissinger anzuregen.

Paula Stern

 
Paula Kissinger, geborene Stern. ca. 1920

Während der Schulzeit trifft Kissinger seine spätere Frau Paula Stern. Paula Stern wird am 24. Februar 1901 als Einzelkind im fränkischen Leutershausen geboren. Ihre Eltern Falk (geb. 1. Juli 1870, gest. 16. Mai 1939) und Peppi Stern hatten zuvor Mitte November 1898 in Ansbach geheiratet. Der Vater war Viehhändler und hatte als solcher ein hohes Einkommen. Die Eltern schicken Paula Stern auf das Gymnasium in das 80 km entfernte Fürth, da es vor Ort keine höhere schulische Bildungsmöglichkeit gab. Die Schwester von Falk Stern, Berta Fleischmann, wohnte zu dieser Zeit in Fürth, so dass Paula Stern hier unterkommen konnte. Während Falk Stern in den 1. Weltkrieg als Freiwilliger eintritt und seine "Pflicht als Deutscher" versieht, verstirbt die Mutter Peppi Stern am 4. Juli 1915 mit gerade einmal 42 Jahren. Für die 14-jährige Tochter ist dies ein massiver Einschnitt in ihrem Leben, denn damit muss sie nun "ihre Frau" in der Familie stehen und den Küchenherd übernehmen, statt sich mit Mathematik oder Geographie zu beschäftigen. Falk Stern - der Vater - heiratete erneut 1918, die 1877 geborene Fanny Walter aus Sugenheim. Paula wird das Verhältnis zur Stiefmutter später als "gut" beschreiben. Anfang 1920 geht Paula Stern als Au-pair-Mädchen nach Norddeutschland in die Stadt Halberstadt, und kümmert sich um vier Kinder eines jüdischen Fabrikbesitzers. Zurück aus Halberstadt nimmt sie wieder ihre Schulausbildung auf und lernt dabei die "Liebe ihres Lebens" kennen, den 14 Jahre älteren Louis Kissinger. Am 28. Juli 1922 heiraten Paula und Louis Kissinger in Fürth.

Louis Kissinger ist inzwischen seit 1921 Hauptlehrer, der seit 1919 immerhin bei der Stadt Fürth festangestellt ist, wenn auch nur zu einem geringen Lohn. Die Inflation hat sein Erspartes aufgefressen, so dass die wirtschaftlichen Verhältnisse am Anfang alles andere als rosig aussahen. Beide ziehen zunächst in eine kleine Balkonwohnung in der Mathildenstraße 23. Ab 1924 verbessert sich langsam die finanzielle Lage, zumal Louis Kissinger am 1. September 1924 zum Oberlehrer befördert wird - und sich somit eine bessere Gehaltssitutation einstellt. Mit der Beförderung folgt auch ein Umzug aus der Mathildenstraße im Januar 1925 in eine geräumigere Wohnung in der Marienstraße 5. Die Wohnung war auch deshalb zu klein geworden, da am 27. Mai 1923 der Sohn Heinz Alfred Kissinger geboren worden war. Heinz Kissinger kommt mit Hilfe einer Hebamme in der Mathildenstraße 23 auf die Welt, bereits ein Jahr später folgt der Bruder Walter Bernhard Kissinger am 21. Juni 1924. Beide Söhne wachsen in einer typisch bürgerlichen Welt auf, werden aber gleichzeitig streng religiös durch die Eltern erzogen. Beide haben Klavierunterricht, der Besuch des Theaters gehört zum Pflichtprogramm.

Verfolgung während der NS-Zeit

 
Ausreiseerlaubnis, Mai 1938

Nach dem 1. April 1933 werden durch den reichsweiten Boykott gegen jüdische Geschäfte die ersten Aktionen spürbar für die jüdische Bevölkerung. Für Walter und Heinz Kissinger ist zunächst die Schulzeit an einer öffentlichen Schule beendet, da Ende April 1933 die faktische Schließung öffentlicher Bildungseinrichtungen für jüdische Schuler und Studenten den Besuch einer öffentlichen Schule unmöglich machen. Gleiches gilt auch für die Eltern Louis und Paula Kissinger. Durch die "Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" wird Kissinger als Gymnasiallehrer über Nacht arbeitslos, die letzten Zeugnisse unterschreibt Kissinger am 6. April 1933 - am 2. Mai 1933 wird er zwangsbeurlaubt.[9]

Am 9. Oktober 1933 wird der 47-jährige Kissinger durch das Bay. Staatsministerium des Innern zum Beginn des Schuljahres 1933/1934 in den "dauerhaften Ruhestand" versetzt. Die Tatsache, dass er weiterhin seine vollen Bezüge erhält, ändert nichts daran, dass Kissinger in eine schwere Krise stürzt. Erschwerend kommt für ihn hinzu, dass seine ehemaligen Kollegen zunehmend auf Distanz gehen - kein einziger will nach 1933 zu ihm stehen. Auch im Privaten gehen Freunde und Bekannte zunehmend auf Distanz, so dass sich die Kissingers recht schnell in Fürth isoliert fühlen. Es ist Paula Kissinger, die schließlich die Entscheidung trifft, Deutschland zu verlassen. Am 24. April 1938 beantragt Louis Kissinger schließlich die Ausstellung von Pässen beim Polizeiamt Fürth, da sie die "Absicht haben", mit der Familie in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Bereits eine Woche später, am 29. April 1938, genehmigt die Gestapo die Ausreise. Am 10. August 1938 - nur einen Monat vor der Reichspogromnacht - meldet Louis Kissinger sich und seine Familie beim Polizeipräsidium Fürth offiziell ab. Kurz darauf sind sie auf dem Weg nach London, bis sie schließlich am 30. August 1938 per Schiff an Bord der "Ile de France" von Le Havre nach New York übersetzen.

Neuanfang in den USA

Für Louis Kissinger ist die Ankunft in den Vereinigten Staaten ein Kulturschock. Aufgrund seines hohen Anspruches an sich und seinen Beruf als Lehrer, kann er nicht an seine urprüngliche Form anknüpfen. Der Beruf des Lehrers scheint für ihn unerreichbar, zumal er im Englischen sehr unsicher ist. Es folgt eine Zeit der Depression für Kissinger, die seine Frau Paula zum Handeln zwingt. Die deutlich jüngere Ehefrau kann sich besser anpassen und mit Hilfe ihrer Sprachkenntnisse gelingt ihr die notwendige Integration. Sie kommt über das "Council of Jewish Women" in das Dienstleistungsgewerbe und erlernt den Beruf der Köchin, auch wenn sie das Kochen nach eigenen Angaben hasst. Paula Kissinger bietet bald einen Partyservice an, so dass das Einkommen der Familie gesichert scheint. Die Söhne unterstützen die Familie, in dem sie vor Schulbeginn die Zeitung austragen oder in einer Rasiererpinselfabrik arbeiten. 1940 findet Louis Kissinger wieder eine Anstellung, jedoch nicht als Lehrer, sondern als Buchhalter einer metallverarbeitenden Firma. Durch das Einkommen von Louis Kissinger und durch den zunehmenden Erfolg Paula Kissingers - auch im Bereich des nicht-koscheren Essens - kann sich die Familie wieder etablieren und in das bessere Viertel Washington Heights umziehen. Noch während die beiden Söhne das Studieren anfangen, werden sie zum Kriegsdienst eingezogen.

Vor allem an Louis Kissinger schien die psychische Belastung während des 2. Weltkrieges nicht spurlos vorbei zu gehen. Er verharrt während der Kriegsjahre in einer depressiven Grundstimmung. Bald wird er nicht mehr berufsfähig sein, und die Ärzte diagnostizieren zu allem Überfluss auch noch einen Bauchspeicheldrüsenkrebs (Pankreaskarzinom). 1945 kommt es zur Operation Louis Kissingers, wofür Henry Kissinger sogar einige Tage Heimaturlaub bewilligt bekam. Zum Glück stellte sich die todbringende Diagnose als harmlose Gallenblasenentzündung heraus, so dass einer Gesundung nichts im Weg stand. Auch die Tatsache, dass beide Söhne den 2. Weltkrieg überlebten, verhalf Louis Kissinger wieder zu vollen Genesung.

Auf Drängen der Söhne Walter und Henry Kissinger unternehmen Louis und Paula Kissinger 1952 erstmals wieder eine größere Reise nach Europa, um u. a. die Gräber der eigenen Familie und Angehörigen zu besuchen. Die meisten Familienmitglieder, denen die Flucht ins rettende Ausland nicht gelang, kamen nach Izbica und wurden vermutlich in den Gaskammern von Sobibor und Belzec ermordet. Mit dem ersten Besuch schwinden die Ängste, wieder in die Heimat zurück zu kehren, dennoch kehren die Kissingers während der fünfziger Jahre Fürth und Leutershausen den Rücken zu, "wo einst die Heimat" war. Vermutlich ist der Schmerz der Erinnerung zu groß, der nächste Besuch in Fürth wird erst wieder 1975 sein.

Besuch in Fürth 1975

 
Redeauszug von L. Kissinger, Dez. 1975

Am 15. Dezember 1975 besucht die Familie Kissinger erneut Fürth. Inzwischen ist Henry Kissinger seit 1973 Außenminister der USA unter Richard Nixon und aufgrund seiner Mitwirkung am Vietnamkrieg höchst umstritten. Das Bayerische Staatsministerium des Innern ordnet deshalb beim Besuch in Fürth die Sicherheitsstufe II an, und schließt ein "abstraktes Gefährdungsmoment" nicht aus, da man befürchtete, dass "bestimmte linken Gruppen" den Besuch zum Anlass nehmen könnten, um mit Aktionen auf ihre Organisation und Ziele aufmerksam zu machen.[10] Neben einigen amerikanischen Sicherheitsbeamten wurden rund 400 Polizisten bei dem Besuch in Fürth aufgeboten. Nach Berechnung der Fürther Nachrichten sind bei dem Besuch Kissingers in Fürth genauso viele Polizisten im Einsatz wie bei einem Besuch von Willy Brandt. Für den Besuch in Fürth wurde eigens aus Bonn ein gepanzerter Mercedes Benz 600 eingeflogen, und während ihrer Anwesenheit in Fürth kreisten ständig Hubschrauber über dem Ort des Aufenthaltes der Gäste. Im festlich geschmückten Stadtheater haben sich 400 geladene Gäste eingefunden, zuvor standen hunderte von Fürthern an der Straße, so dass die New York Times den Besuch in Fürth mit folgenden Worten titelte: "Kissinger besucht seine Heimatstadt und bekommt großen Applaus". Im Stadttheater begrüßen der bay. Ministerpräsident Alfons Goppel und der Außenminister Hans Dietrich Genscher die Familie Kissinger, die sich sichtlich davon beeindruckt zeigen. Die Nürnberger Nachrichten berichteten am nächsten Tag: "Wenn etwas rührend war an dieser kurzen Stippvisite eines vielbeschäftigten Stardiplomaten, dann war es das liebe und respektvolle Vater-Sohn-Verhältnis... also ob vor allem die Verbundenheit mit dem greisen Vater, mit der immer noch agilen Mutter ihn eine Lücke im randvollen Terminkalender für den Fürther Trip finden ließ."[11]

 
Unterschriften der Familie Kissinger, vermutlich Dez. 1975

Im Anschluss findet ein kleiner Festakt mit Fürths Oberbürgermeister Kurt Scherzer und geladenen Gästen im Casino der Stadtsparkasse statt. Dabei übergibt der Bürgermeister von Ermershausen, der auf ausdrücklichen Wunsch von Louis Kissinger eingeladen war, den Eltern nicht nur einen Zinnteller, sondern auch eine Schallplatte "Ermershausen", auf dem ein Bild des Geburtsortes Louis Kissingers zu sehen war. Kurt Scherzer übergibt ein sorgfältig ausgesuchtes Geschenk, nämlich den zweiten Band der fünf Bücher des jüdischen Pentateuch mit dem Titel "Exodus". Das Buch wurde 1802 von David Zirndorfer gedruckt und zeigt auf dem Titelblatt das Fürther Wappen in den Fängen des preußischen Adlers.[12] Louis Kissinger liest anschließend eine vorbereitete Rede, die alle mit Spannung erwarteten. Louis Kissinger spricht in Deutsch und gesteht "ich bin kein geborener Fürther, aber ich haben den größten Teil meines Lebens in Deutschland in Fürth verbracht. Hier habe ich meine Familie gegründet, hier wurden meine zwei Söhne geboren, hier waren die glücklichen Jahren meines beruflichen Schaffens." Nach seiner Ansprache spricht Louis Kissinger über Henry Kissinger und seine Rolle im Friedensprozess in Vietnam. Niemand widerspricht ihm, auch wenn es zu diesem Zeitpunkt schon Zweifel an seiner Rolle aufkamen.

Nach dem Treffen in der Stadtsparkasse geht es zum ersten und einzigen Mal seit 37 Jahren gemeinsam zum israelitischen Friedhof in Fürth. Falk Stern, Paulas Vater, der Großvater von Henry und Walter Kissinger ist hier beigesetzt; die Öffentlichkeit ist zum ersten Mal an diesem Tag gänzlich ausgeschlossen. Danach geht es im Familienkreis im Parkhotel für die Familie weiter, mit Ausnahme von Henry Kissinger, der bereits auf dem Weg nach Paris ist.

Am nächsten Tag besuchen Louis und Paula Kissinger Leutershausen, wo ihnen unerwartet ein "großer Bahnhof" bereitet wird. Die früheren Freunde Karl und Babby Hezner, die bis zuletzt zu Louis Kissinger gehalten haben, sind bereits verstorben. Lediglich die Töchter Lore und Erika sind noch am Leben und begrüßen die Familie aufs Herzlichste. Am Abend des 16. Dezember 1975 trifft Louis Kissinger ehemalige Schülerinnen aus seiner Lehrerzeit. Am letzten Tag seines Besuches geht es zur Israelitischen Kultusgemeinde in der Blumenstraße, wo er auch Hugo Oppenheimer wiedersah, bei dessen Eltern er während seiner Junggesellenzeit gewohnt hatte. Letzte Anlaufstelle in Fürth wird nach der Synagoge in der Julienstraße die Tannenstraße - seine letzte Wirkungsstätte in Fürth als Lehrer. Am 18. Dezember 1975 treten Paula und Louis Kissinger wieder den Rückweg nach Amerika an. Ein erneutes Wiedersehen mit Fürth wird es nicht mehr geben.

 
Todesanzeige, 1982

Louis Kissinger stirbt im Alter von 95 Jahren am 19. März 1982 in New York[13], seine Frau Paula Kissinger verstirbt 16 Jahre später am 15. November 1998 im Alter von 98 Jahren in ihrem Apartment an der Fort Washington Avenue 615, das die Familie 1940 bezogen hatte.

Louis-Kissinger-Preis

Der Louis-Kissinger-Preis ist ein von der Stadt Fürth erstmalig 2012 für vorbildhaft engagierte Pädagoginnen und Pädagogen jeglicher Schularten ausgelobter Preis. Er geht auf eine Schenkung von Walter und Henry Kissinger zurück, die aus der Lebensversicherung ihres Vaters Louis Kissinger einen Sockelbetrag von 4.700 Euro spendeten. Weitere Beiträge aus der Privatwirtschaft sollen das Vermögen aufstocken, aus dem der Preis ausgeschüttet wird.

Literatur

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. In einigen Quellen wird der Todestag mit dem 14. März 1982 angegeben.
  2. Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 50 ff.
  3. Präparandenanstalt. Wikipedia, abgerufen am 6. Juni 2015 | 18:34 Uhr online abrufbar
  4. Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 50
  5. Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 50
  6. Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 51
  7. Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 52
  8. Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 54
  9. Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 89
  10. Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 168
  11. Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 170
  12. Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 173
  13. Jüdisches Unterfranken, Biographische Datenbank. Abgerufen am 7. Juni 2015 | 2:59 Uhr online abrufbar

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