Heinrich Stöhr

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Heinrich „Heiner“ Stöhr (geb. 12. September 1904 in Weißenburg i.Bay.[1]; gest. 9. Dezember 1958 in Treuchtlingen[2]) war Posamentierer (=Bandweber bzw. Bortenmacher) und SPD-Widerstandskämpfer gegen die Nazi-Diktatur. Zusammen mit Konrad Grünbaum baute er von Fürth aus eine Widerstandsgruppe während des Nationalsozialismus auf, die für den gesamten nordbayerischen Raum zuständig war. Stöhr war mit Else Stöhr (geb. Schultheiss) verheiratet. Von 1946 war Stöhr bis zum Zeitpunkt seines Todes 1958 als mittelfränkischer Abgeordneter der SPD Mitglied des Bayerischen Landtages.[3]

Widerstandsgruppe während der NS-Zeit

1922 trat Stöhr in die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) und SPD ein. Gleichzeitig engagierte er sich in der Gewerkschaftsbewegung und wurde schnell einer der führenden Köpfe innerhalb der Widerstandsgruppen in Fürth. Gemeinsam mit Grünbaum, Emil Hüls, Fritz Munkert und Otto Gellinger organisierte Stöhr eine illegale Untergrundorganisation zur Verbreitung von Informationsschriften und Zeitschriften gegen den Nationalsozialismus. Stöhr war als Kurier insbesondere für die Weiterverbreitung der Flugschriften aus der Tschechoslowakei für den Nürnberger Süden bis nach Weißenburg zuständig.[4]

Schema der Widerstandsgruppe in Franken, 1933/34

Im Jahr 1934 wurde nach einer erneuten Verhaftungswelle im April auch Heiner Stöhr verhaftet und im Januar 1935 am Oberlandesgericht München zu 5 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt. Trotz Strafverbüßung in Einzelhaft in den Zuchthäusern Ebrach und Amberg kam Stöhr am 24. Mai 1940 in sogenannte Schutzhaft in das KZ Dachau. Als KZ-Häftling wurde er im Lagerkrankenhaus als Krankenpfleger zur Arbeit eingeteilt.[4] Ab 1941 wurde Stöhr als „Oberpfleger“ in der septischen Chirurgie eingeteilt. Die Abteilung beschäftigte sich überwiegend mit eitrig entzündlichen Zellgeweben (Phlegmonen), die größtenteils auf Befehl von Himmler absichtlich bei Häftlingen als Versuchsreihen herbeigeführt wurden. Zeitweilig arbeitete Stöhr auf der hierzu extra eingerichteten Versuchsstation in Block 1, Stube 3 im KZ Dachau.[5]

Der KZ-Mithäftling Nico Rost[6], der mit Stöhr ab 1943 im KZ Dachau inhaftiert war und gemeinsam mit ihm die Befreiung Dachaus miterlebte, schrieb in seiner später veröffentlichten Biografie über Heiner Stöhr: Heini ist Bayer, in Nürnberg geboren. Kein Kommunist ..., sondern Sozialdemokrat und mehr Gefühlsmensch als Politiker. (...) Heini arbeitet schon seit über sechs Jahren im (Kranken-)Revier und hat in dieser Zeit Hunderten von Mithäftlingen das Leben gerettet. Pfarrer B., der ihn von früher her gut kennt, erzählte mir, daß Heini ursprünglich Arzt werden wollte, doch daß für sein Studium nicht genügend Geld da war und er in eine Fabrik arbeiten gehen mußte. In den Jahren hier hat er sich ein so gründliches medizinisches Wissen anzueignen gewußt, daß es bei den Ärzten immer wieder höchstes Erstaunen und auch Bewunderung erregt. In der Ecke über seinem Bett steht eine Anzahl wissenschaftlicher medizinischer Werke, in denen er oft studiert und die er sorgfältig behütet. Er hat sich auch selbst Latein beigebracht, so daß er nun imstande ist, die Krankengeschichten seiner Patienten auf lateinisch zu schreiben oder zu diktieren.[5]

In der Endphase des Krieges konnte Stöhr auf Grund seiner Stellung im KZ Dachau nachweislich viele Menschenleben retten. So fälschte er zum Teil Patientenakten, um den Abtransport in die Gaskammern zu verhindern, gab eine geringere Zahl von verstorbenen Patienten an, um die Verpflegungsrationen für lebende Patienten weiter zu erhalten oder behandelte schwerverletzte Patienten heimlich mit lebensrettenden Medikamenten. Nico Rost prägte für ihn den Begriff „Engel von Dachau“, auch wenn diese Bezeichnung häufig auch für andere Häftlinge im KZ Dachau verwendet wird. Kurz vor Kriegsende wurde Stöhr von einem SS-Arzt aus dem KZ herausgeschmuggelt. Er kam im Nebenlager Lindau am Bodensee im April 1945 in französische Hände.

Die Zeit nach 1945

Heinrich Stöhr, ca. 1958

Nach der Befreiung Bayerns ging Stöhr wieder in seine alte Heimat zurück, nach Weißenburg. Im Rahmen der Nürnberger Prozesse war Stöhr am 17. Dezember 1946 Zeuge der Anklage gegen die NS-Ärzte und deren Menschenversuche in Konzentrationslagern.[7]

Am 27. Oktober 1945 gründete Stöhr wieder den SPD-Ortsverband Weißenburg und wurde zum 1. Vorsitzenden gewählt. Neben der örtlichen SPD war Stöhr auch an der Wiedergründung der deutschen und bayerischen Sozialdemokratie beteiligt. So fuhr er vom 5. bis zu 7. Oktober 1945 zur Konferenz von Wennigsen bei Hannover, die das erste Zusammentreffen der Sozialdemokraten nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei wurde u.a. die Gründung der sogenannten Westzonen-SPD unter der Leitung von Kurt Schuhmacher beschlossen.[8]

Stöhr war ab dem 30. Juni 1946 Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung und ebenfalls ab 1946 Abgeordneter des Wahlkreises Mittelfranken im 1. Bayerischen Landtag. Er wurde jeweils in den Jahren 1950, 1954 und 1958 wiedergewählt. Nach seiner letzten Wiederwahl im Jahr 1958 war Stöhr auf dem Weg zur Landtagseröffnung am Treuchtlinger Bahnhof zusammengebrochen. „Ich habe im letzten halben Jahr zu viel gearbeitet“ waren seine letzten Worte, bevor er unerwartet am 9. Dezember 1958 an den Folgen eines Herzinfarktes verstarb.[3]

Auszeichnungen und Ehrungen

Aufgrund seines sozialen Engagements vor Ort in Weißenburg gründete er gemeinsam mit seiner Frau über die Arbeiterwohlfahrt ein Seniorenheim. Nach seinem und dem Tod seiner Ehefrau Else Stöhr wurde das Seniorenheim am 10. Dezember 1959 in den Namen „Else-und-Heiner-Stöhr-Senioren-und-Pflegeheim“ umbenannt. Stöhr erhielt noch zu Lebzeiten am 19. Oktober 1955 das Bundesverdienstkreuz. Posthum wurde am 19. Juni 1980 eine Straße nach ihm in Weißenburg benannt.

Literatur

  • Nico Rost: Goethe in Dachau. Ein Tagebuch, Berlin 1948, zitiert nach List Taschenbuch 2001, S. 82 f.
  • Martin Broszat & Harmut Mehringer (Hrsg.): Bayern in der NS-Zeit - Die Parteien KPD, SPD, BVP in Verfolgung und Widerstand. R. Oldenbourg Verlag München Wien 1983, S. 362 ff.
  • SPD-Landtagsfraktion Bayern: Nationalsozialismus - Zweiter Weltkrieg - Neubeginn. Widerstand 1933 - 1946, S. 76 ff.

Weblinks

  • StadtWiki Weißenburg: Heinrich Stöhr, Volkshochschule Weißenburg und Umgebung e.V., Weißenburg i.Bay. - online
  • Wikipedia: Heinrich Stöhr - online
  • Profil Heinrich Stöhr. In: Abgeordnete von A-Z. Herausgeber: Bayerischer Landtag, Landtagsamt, München, aufgerufen am 8. September 2024 - online
  • Person im Detail. Heinrich Stöhr. In: Bavariathek. Geschichte des Bayerischen Parlaments seit 1819. Herausgeber: Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg, aufgerufen am 8. September 2024 - online

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Weißenburg i.Bay., eine Große Kreisstadt im mittelfränkischen Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen
  2. Treuchtlingen, eine Stadt im südlichen Teil des mittelfränkischen Landkreises Weißenburg-Gunzenhausen.
  3. 3,0 3,1 Pressemitteilung „SPD gedenkt Heinrich Stöhr, Christa Naaß spricht anlässlich des 50. Todestages des 'Engels von Dachau'“
  4. 4,0 4,1 Martin Broszat & Harmut Mehringer (Hrsg.): Bayern in der NS-Zeit - Die Parteien KPD, SPD, BVP in Verfolgung und Widerstand. R. Oldenbourg Verlag München Wien 1983, S. 362 ff.
  5. 5,0 5,1 Nico Rost: Goethe in Dachau. Ein Tagebuch, Berlin 1948, zitiert nach List Taschenbuch 2001, S. 82 f.
  6. Nico Rost, geb. 21. Juni 1896 in Groningen; gest. 1. Februar 1967 in Amsterdam. Befreundet mit Egon Erwin Kisch, Gottfried Benn, Carl Einstein, Else Lasker-Schüler, Joseph Roth, Bert Brecht und Alfred Döblin. Er übersetzte Werke von Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Ernst Toller, Joseph Roth, Gottfried Benn sowie Anna Seghers ins Niederländische und machte dadurch die Werke dieser Schriftsteller in den Niederlanden bekannt. Mitglied der KPD, Teilnehmer am Spanischen Bürgerkrieg. Am 6. Mai 1943 wird Nico Rost von den Nazis wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ verhaftet, verbringt einige Wochen im Wehrmachtsgefängnis Forest, dann eine halbjährige Strafe im Gestapogefängnis in Scheveningen, kommt von dort ins KZ Vught, und anschließend im Juni 1944 ins Konzentrationslager Dachau. Nach dem Kriegsende Mitglied im Niederländischen als auch im Internationalen Dachau-Komitee. Er ergriff mit anderen die Initiative, um aus dem KZ Dachau eine Gedenkstätte zu machen. Siehe: Biographie auf StadtWiki Weißenburg sowie wikipedia.de.
  7. Harvard Law School Library - Digital Document Collection, online abgerufen am 22. April 2015 | 0:42 Uhr - online
  8. Artikel Wennigser Konferenz aus der freien Enzyklopädie Wikipedia. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.